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(c) Pester Lloyd / 40 - 2013   BUDAPEST   04.10.2013

 

Wer fragt eigentlich die Kinder?

Der Vidámpark in Budapest ist nun endgültig geschlossen - MIT VIDEO

Die Ankündigung schwebte schon seit Jahren über dem Vidámpark, in der vorigen Woche wurde der Vergnügungspark unweit des Heldenplatzes unwiderruflich geschlossen. Für die Schließung der städtischen Anlage, die für Generationen untrennbar zum Ausflugs-Ensemble von Stadtwäldchen, Zoo, Museumsviertel, Eislaufbahn und Zirkus gehörte, gibt es eine ganze Palette von Gründen, für sein Überleben hätte es auch welche gegeben, doch diese zählen nicht mehr...

Der Park auf rund 17 Hektar, in seiner heutigen Form seit 1950 geöffnet, aber fußend auf einer Anlage mit Fahrgeschäften und schaustellerischen Attraktionen, die seit wenigstens 175 Jahren an dem Standort tätig waren, ist wegen fehlender Modernisierungen seit langem unrentabel und - laut offizieller Erklärung - nicht mehr "zeitgemäß", jedes Jahr fuhr man Verluste ein, jedoch nicht in unbeherrschbaren Größenordnungen, das operative Minus soll zuletzt 70 Mio. Forint, also rund 230.000 EUR pro Jahr betragen haben. Schon im Vorjahr kündigte man die Schließung an, ein Jahr Gnadenfrist hängte man an.

Zoo will Teile der alten Anlagen integrieren

Doch die Perspektive war schlecht: Action- und Themenparks müssen heute andere Anforderungen erfüllen, um Publikum anzulocken, das nur bei entsprechenden Kicks auch bereit zu sein scheint, zuweilen horrende Eintrittsgelder zu zahlen. Teuer war der Vidámpark nicht, aber offenbar zu langweilig geworden. Dabei sind es gar nicht zuerst die Kids, sondern die Erwachsenen, ihre Businesstrategien und Werbetrailer, die festlegen, was heute angesagt ist und die diese "Wünsche" auf die Kinder übertragen.

Der angrenzende Zoo, ein Publikumsmagnet, leidet schon lange unter Platznot, Teile des Vidám werden nun von diesem einverleibt, immerhin soll die 1922 errichtete, hölzerne Achterbahn, nur eine von zehn weltweit noch betriebenen, saniert und ins Zoogelände integriert werden, ebenso ein Karussel aus dem Jahre 1906 und eine Minieisenbahn von 1912. Ob Zoos heute noch "zeitgemäß" sind, wird nicht hinterfragt, zu prestigereich sind knuffelige Züchtungserfolge, die sich medial besser ausschlachten lassen als ein sich ewig im Kreise drehendes altes Holzpferd.

Ein Teil des Geländes soll aber auch für "private Entwicklungsprojekte" veräußert werden, heißt es aus "internen Quellen", worin Kritiker der Schließung die eigentliche Motivation für den Schritt sehen, denn immer dort, wo Politik und Wirtschaft sich überschneiden, können einige mitschneiden.

Vorhang zu: “Der Budapester Vidámpark hat endgültig seine Tore geschlossen!”
So informiert die Webseite des Parks die Kundschaft über das Ende.

Der Vidámpark überlebte zwei Weltkriege und die "Kommunisten"...

Beeindruckend ist, dass der Vidámpark, ein originärer Zeuge der Metropolen-Werdung Budapests, sowohl den Ersten wie den Zweiten Weltkrieg überlebte, auch die sozialistische Misswirtschaft und das wildwestkapitalistische Nachwendechaos. An der Fidesz-Regierung und ihrer Interpretaion von "nationalem Interesse" scheiterte das Projekt schließlich doch. Man verweigerte in der Stadtverwaltung schon lange, doch seit 2010 sehr konsequent die nötigen Investitionen, zuletzt auch die Zuschüsse für den Betrieb. Seinen Höhepunkt erreichte der Park Mitte der Siebziger Jahre, wo in den Sommermonaten über 2 Millionen Menschen pro Saison hineinströmten, 2012 sah man dann noch 300.000.

Leuchte Augen vs. Effizienz: der Vidám war das Revier der Kinder

 

Der Vidampark ist sozusagen ein Augenzeuge der Metropolen-Werdung Budapests gewesen, erlebte die Höhen und Tiefen der Stadt mit und durchstand sie. Er gehörte einfach immer zur Stadt. Kulturhistorisch ist er deshalb bedeutend, auch oder gerade weil er so abegliebt wurde. Seine Schließung ist kein großer Weltuntergang, aber der Untergang von vielen kleinen Welten. Wer die leuchtenden Kinderaugen der kleinen Besucher gesehen hat, ihre zuckerwattebeschmierten Münder, ihr Jauchzen auf den Karrussels hörte, der kann sich nicht vorstellen, dass sie ihren Park einfach aufgeben wollen. Kinder habe große Freude auch an kleinen Dingen, sie brauchen keine Superlative. Der Vidám war sozusagen ihr Revier. Er war das Symbol einer einfachen, glücklichen Kindheit. Dass ausgerechnet eine sich so überbetont auf Heimat und traditionelle Werte berufende Politikerkaste dieser Stätte nun den Todesstoß versetzt, ist auch ein Beleg von Verlogenheit und Zynismus. Wer fragte eigentlich die Kinder?

ms.

Ein Leser hat ein Abschiedsvideo bei seinem letzten Besuch im Vidámpark gedreht:

 

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