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(c) Pester Lloyd / 41 - 2013   POLITIK   10.10.2013

 

Insulanertreffen

“Versuchsanstalt Ungarn” - Orbán zu Gast in Großbritannien

Ungarn sei ein "echtes Laboratorium". So stellte Orbán sich und seine Politik im Londoner Chatham House, einem konservativen Think tank, vor und hoffte im verstaubten Teil Englands so auf Gegenliebe zu stoßen. Anschließend traf sich der Festlandinsulaner mit Premier Cameron und stimmte ein Loblied auf die Kernkraft an. Seine antieuropäische Haltung trifft in London zwar auf Verbündete, die Einschränkung "traditioneller" liberaler Werte betrachtet man auf der Insel jedoch diskret angewidert. David Cameron vermied - britisch-vornehm - eine Konfrontation.

Orbáns Reden gleichen sich mehr oder weniger seit vier Jahren, egal ob die Version für das Ausland oder die Variante fürs heimische Pack, sie sind stets voll von Eigenlob, Behauptungen, Attacken, Kleinmütigkeiten, ideologischem Schwulst und einem äußerst schrägen Menschen- und Weltbild voller Widersprüche - manchmal in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen. Sie schwanken zwischen Operettenlibretti und  exemplarischem Anschauungsmaterial der Psychoanalyse: Einige Auszüge aus London, diesmal ohne weiteren Kommentar. Die gesamte Rede - gehalten auf Englisch - ist hier bei Youtube sehbar: http://youtu.be/pJjqUUWrjjw

- politischen Radikalismus sieht Orbán nicht als europäischen Wert, Ungarn mache nicht einfach Reformen durch, sondern eine "echte Erneuerung", die Krise sei "eine Möglichkeit, tiefe, strukturelle Veränderungen" vorzunehmen. "Gemeinschaften und Familien" müssen dabei "ermutigt" werden ihre "Lebensstrategien zu ändern".

- Die EU sollte "stark, selbstbewußt und optimistisch" sein, "ist aber das Gegenteil und hat keine Vorstellung von der Zukunft", "Nicht-Euro-Staaten" sollte eine uneingeschränkt "eigene Wirtschaftspolitik" zugestanden werden, die Grenzen zwischen nationaler und gemeinschaftlicher Kompetenz und Gesetzgebung sind "klarer zu ziehen". Differenzen zwischen Mitgliedsländern sollten "berücksichtigt" werden, die Nationen "als solche" sind anzuerkennen.

- Ungarn sei ein “echtes Laboratorium”, in dem "Antworten auf der Basis traditioneller Werte auf die Herausforderungen der modernen Welt gesucht" würden. Aber: "traditionelle Werte wie die Nation, die Familie und die Religion werden in Europa angegriffen" und zwar von "den Roten und den Grünen", die "Europäische Demokratie" wurde aber "auf dem Christentum aufgebaut" und "die Familie spielt die Schlüsselrolle bei der Lösung demographischer Herausfoderungen".

- er habe - sehend, was da kommt - "den Wohlfahrtsstaat beendet" und baut in seinem Laboratorium nun an einer "arbeitsbasierten Gesellschaft", deren Wohltaten man sich erwerben müsse. Als Beispiele dafür nannte er die Flat tax, Familienfreibeträge, Kürzungen der Körperschaftssteuer, "ein neues, flexibleres Arbeitsrecht", "die Umgestaltung der Hochschulbildung" und das "alles bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der sozialen und politischen Stabilität". 5 Millionen wolle er letztlich "in Arbeit bringen", statt der knapp über 3 Millionen vor ein paar Jahren.

- Zum Thema Extremismus meinte Orbán, dass die "Mitte-Rechts"-Kräfte, also seine Partei, die "radikalen politischen Parteien nicht fürchten sollten". Das war die Antwort auf eine Frage aus dem Auditorium, ob man Jobbik nicht lieber verbieten sollte. Mehr als 16% der Stimmen haben diese Gruppen nie bekommen, "wir sollten uns aber um die anderne 84% sorgen", und hej, immerhin halte Fidesz ja schonmal 2/3. Im übrigen: politischer Extremismus ist, laut Orbán, "kein Produkt der Krise", sondern eines "Mangels an Regierungsgewalt"...

"Unbritischer" Europafeind

Am Mittwochnachmittag traf sich Orbán mit seinem Amtskollegen Cameron, dieser bekam via namhafter Zeitungen wie "Guardian" oder "Telegraph" durchaus hilfreiche Ratschläge zur Hand, sich von den Anti-EU-Parolen Orbáns nicht täuschen zu lassen. Tenor: Orbán ist nicht unser Verbündeter, denn in dessen Land stellt dieser traditionelle Freiheitswerte in Frage, die Großbritannien groß gemacht haben und die - bei aller Europadebatte - überhaupt nicht in Frage zu stellen seien. Er gehört eher zur Sorte Nigel Farage, mit einem Hauch Sozi. Orbán vermische Neoliberalismus mit "sozialistischen" und paternalistischem Wahn und dem Abbau demokratischer Werte. Man solle ihm daher mit Vorsicht begegnen. Im Nachklang des eintägigen Besuches zeigten sich die Medien enttäuscht, dass Cameron seinen Gast so ohne weiteres hatte davon kommen lassen.

Atomkraft, ja bitte!

 

In einer Pressekonferenz nach dem Treffen in Downing street No. 10 fokussierte Orbán dann auch recht ausweichend auf Energiefragen, in denen man sich mit den Briten einig sei. "Atomenergie ist notwendig", nur billige Energie steigere die Wettbewerbsfähigkeit von Ländern, "Ungarn" teile daher "die Ansichten von Gegnern der Kernenergie" nicht. Orbán und Cameron halten die internationalen Regularien zur Aufsicht von Atomenergie für ausreichend und wenden sich strikt gegen die Schaffung einer Behörde auf europäischem Level.

Sein Land, so Orbán, wolle die Energiepreise in den nächsten Jahren um ein Drittel senken, gar das Niveau der USA erreichen. Dass seine Strategie der Energiepreissenkungen (für Private) "von Brüssel angegriffen" würde (
die EU-Kommission leitete eine Pilot-Prozedur ein), war ihm klar, halte ihn aber nicht davon ab, darin fortzufahren. Es überrascht ihn nicht, dass die EU die "geringeren Profite für einige Multis" bekämpfe, man werde aber eine "professionelle Antwort" erteilen.

red.

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