THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 42 - 2013   POLITIK   14.10.2013

 

Fürchtet Euch nicht...!

Die Wahlschlacht von Baja: ein bitterer Vorgeschmack auf Ungarn 2014

Die Wiederholung der Zwischenwahl in Bajas 32. Wahlsprengel hat der Kandidat der Regierungspartei gewonnen. Doch das Ergebnis ist nebensächlich, denn bei diesem Urnengang ging es nicht mehr um das Was, noch das Wer, sondern nur um das Wie. Was in der südungarischen Kleinstadt ablief, ist ein neuer Tiefpunkt der Gulaschdemokratie, einer abgrundtiefen Polit"kultur", aber nur ein laues Lüftchen gegen das, was auf Ungarn im Frühjahr 2014, wenn es ums große Ganze geht, zukommen wird.

"Liebe Bajaer! Am 13. Oktober findet die Nachwahl statt. Lasst Euch von den Gyurcsány-Mesterházy-Bajnai-Leuten nicht einschüchtern oder zum Narren halten, fürchtet Euch nicht! Glaubt den Hetzreden der linken Kandidatin und ihren Leuten nicht! Fidesz wird Euch beschützen! Eure Stimme wird gebraucht, kommt und wählt am Sonntag Csaba Kovács, den Fidesz-Kandidaten!" Mit diesem Alarm fuhren in der Woche Lautsprecherwagen der Regierungspartei durch den Wahlsprengel 32. Offenbar geht es in dem kleinen Örtchen um viel mehr als nur um die Nachbesetzung eines Stadtrats-Mandates. Es klingt eher nach: Krieg oder Frieden, Ungarn oder Barbarei, Leben oder Tod.

“Fürchtet Euch nicht...! - Fidesz beschützt Euch...”

Vereinigte Opposition blies zur Generalprobe

Was war geschehen? In einem Wahlbezirk von Baja wurde aufgrund eines Todesfalles eine Nachwahl fällig, an sich nichts Aufregendes, die Fidesz-Dominanz im Parlament und auch in den Stadt- und Landtagen ist nicht durch einige Mandate erschütterlich. Doch die linke Opposition von MSZP, E2014 und DK trat - erstmals - mit einer gemeinsamen Kandidatin in den Ring (Plakat unten), der noch dazu als Fidesz-Hochburg gilt und inszenierte damit eine Art mobilisierungstechnische Generalprobe für ihre Strategie im kommenden Jahr, wo man sich im Kampf um die 106 Direktwahlbezirke möglichst wenig, wenn es geht, keine Konkurrenz machen will, um die rechtsnationale Hegemonie von Fidesz-KDNP, auf der äußerten rechten Flanke abgesichert durch die Proteststimmenklauer der Jobbik, zu durchbrechen.

Sogar Orbán wurde das Schlachtfeld zu schmutzig

Fidesz erkannte die Symbolkraft des Ausganges dieser Zwischenwahl, war durch einen knappen Sieg und eine Niederlage bei zwei vorherigen Zwischenwahlen gewarnt und schickte einiges an Politprominenz ins Rennen Daraufhin zogen die drei Oppositionschefs nach und erschienen in persona in dem kleinen, mit den Aufmärschen etwas überforderten Stadtteil. Pöbeleien, Gegendemos, Rämpeleien und handfeste Übergriffe waren die Folge, auf Flugblättern und Plakaten beider Seiten wurden Teufel an die Wand gemalt, Fidesz führte auch in der Polemik klar mit 2/3. Der Kandidat trat umringt von martialischem Sicherheitspersonal auf, um die Gefahr um seine Person zu dramatisieren, die Kandidatin der Linken wurde auf rechten Blogs sexistisch diffamiert, zur Tussi stilisiert, es gab Vorwürfe des Drogenmissbrauchs, umgekehrt Anschuldigungen, die praktisch das ganze Strafrecht durchkonjugierten. Zuletzt war die Atmosphäre so am Boden, dass selbst Orbán, dem sonst kein Schlachtfeld zu schmutzig ist, kurzfristig einen Auftritt mit seinem Fidesz-Kandidaten platzen ließ.

Am Wahltag des 22. September ging es in 5 Wahllokalen zur Sache, am Ende siegte in drei davon die Oppositionskandidatin, das vierte lieferte ungefähr ein Unentschieden und im fünften obsiegte der Regierungskandidat und zwar genau mit dem Abstand von 68 Stimmen, der genügte, um die Ergebnisse der anderen Wahllokale wettzumachen und knapp, mit 467: 406 Stimmen, aber doch als Sieger vom Feld zu ziehen. Die Wahlbeteiligung lag unter 40%.

Gegendemo zur Bajnai-Veranstaltung, die Vordrucke für die Plakate gibts beim Fidesz-Ortsbüro,
meistens der Zigarettenladen...

Eigenartige Vorgänge im und um das Wahllokal

Doch Komisches tat sich in eben jenem so herausragenden Wahllokal, ein Funktionär der Fidesz-nahen Roma-Organisation Lungo Drom chauffierte eifrig Gruppen von Wählern, Roma des Ortsteils zum Wahllokal. Ein anderer Wahlhelfer sandte ständig SMS aus dem Wahllokal - wie sich herausstellte mit Infos darüber, wer schon wählen war und auch, wer noch nicht. Die Opposition schrie auf und wandte sich an die örtliche, staatliche Wahlkommission. Diese zuckte die Achseln, kein Verstoß, hieß es. Erst ein Gericht in Kecskemét erkannte, dass organisierte Fahrdienste am Wahltag vom Gesetz untersagt sind, nur Alte und Behinderte dürfen diese - auf eigene Anforderung - in Anspruch nehmen. Die Wahl im betreffenden Sprengel mit 500 Einwohnern sei zu wiederholen.

Die Opposition tirumphierte, sei doch nun gerichtlich erwiesen, dass die Regierungspartei, das "Orbán-Regime" sich "nur noch durch Betrug" an der Macht halten könne. Da schritt die Wahlkommission wiederum ein, "Betrug" sei es nicht, nur ein Ordnungsverstoß, sie mahnte die Sozis ab. Fidesz macht daraus "Lügen und Einschüchterungen" einer Achse des Bösen um die Führer der drei maßgeblichen linken Oppositionsparteien, der "verinigten linken Mafia", wie die offizielle Bezeichnung des politischen Kontrahenten im "Land der Anständigen" (Vizepremier Navracsics) lautet. Die darauf fußende Lautsprecheraktion forderte eine erneute Beschwerde der Opposition heraus, wieder lehnte die Bajaer Wahlkommission diese ab, die Komitatsebene bestätigte jedoch am Freitag, dass die Behauptung der "Hassrede", immerhin eine in Ungarn unter Strafe stehende Handlung, nicht rechtens ist.

Bürgermeister: Sozis bringen Rassismus, Gewalt und Lügen nach Baja

"Die Regierungspartei hat die Verstöße gegen Wahlregularien nun bereits zweimal schwarz auf weiß" nahm die Linke den Bescheid dankbar auf, was den Fidesz-Bürgermeister von Baja, das intellektuelle Rauhbein Róbert Zsigó, jedoch nicht davon abhielt, den Wählern einen Brief zu schreiben, in dem er der "Gyurcsány - Bajnai Mesterházy"-Vereinigung vorwarf, wörtlich: "Gewalt, Rassismus und Lügen in die Stadt getragen zu haben." Jene, die den Unfrieden nach Baja bringen, sind übrigens die gleichen Gesellen, klärt uns der Bürgermeister auf, die in Budapest einen Papp-Orbán vom Sockel stießen. Zsigó will gehört haben, dass die Anweisung der Linken lautet: jeden Trick, jedes Mittel einzusetzen. Aber das ist nicht das, was die ungarischen Menschen wollen usw. Rassismus? Fragen Sie den Bürgermeister! Am Samstag die Retourkutsche: MSZP-Chef Mesterházy: “Zisgó ist ein Lügner und Betrüger.” Am Sonntag ermahnte die Wahlkommission den Bürgermeister zur Mäßigung.

Das Stimmvieh auf Polarisierung trimmen

Wie dem Leser aufgefallen sein dürfte, kam in dem ganzen Bericht beisher nicht ein inhaltlicher Aspekt zum Tragen, nicht ein Argument, warum die paar tausend Bajaer der einen oder anderen oder ganz anderen Seite ihre Stimme geben sollten. Dabei wird es auch bleiben, denn genau darum geht es doch: die Zuspitzung auf einen Endkampf "Gut gegen Böse", eine Vereinfachung, die das Stimmvieh auf größtmögliche Polarisierung trimmt. Fidesz hat drei Jahre "Revolution" vorzuweisen. Es wird schon seinen Grund haben, warum man "höheres Einkommen, mehr Beschäftigung, weniger Schulden" erfinden muss, sich vollständig auf die Gegner einschießt und sich lieber nicht über die eigenen "Leistungen" in Details verliert. Wer in Baja 32. Wahlsprengel Zigaretten holen will, dem könnte darüber ein Licht aufgehen. Was hat Fidesz in den drei Jahren dem Normalbürger eigentlich vorzuweisen außer Machtanmaßung, Gängelung, Dutzende neue oder veränderte Steuern und ein paar Almosen?

Doch auch die linke Opposition hat nur ein sehr diffuses Bild von einer Zukunft ohne Orbán anzubieten, zu wenig Konsistentes als das man den Normalbürger damit nochmal zu einer aufwendigen Wende überreden könnte. Was bisher programmatisch angeboten wurde, ist eigentlich eine Frechheit der Unterlassung. So bleibt auch dieser fragilen Allianz nur der gemeinsame "Feind" als bindender Kitt. "Orbán muss weg!" - so lautet vorerst ihr Wahlprogramm. "Orbán beschützt Euch!" ist die dumpfe Antwort, verbunden mit der Warnung, dass die Sozis den Bürgern alles wieder wegnehmen werden. Nur was wollen sie uns noch wegnehmen, fragt kopfschüttelnd die Weisheit des Volkes und blieb in der Mehrzahl zu Hause.

Mehr Wahlbeobachter als Wähler: Showdwon am Sonntag, dem 13.

Am Sonntag, 13.10., der Nachwahl der Nachwahl und der Komödie vorerst letzter Akt, beobachteten Medien, Parteien und Behörden ganz genau, was vor sich ging, die Wahlbeteiligung der 470 wahlberechtigten Einwohner stieg von 30% 2010 über 31% von vor 2 Wochen auf atemberaubende 47%. Eine Bürgerpartei wurde, weil sie in der Nähe Kesselgulasch ausschenkte, der Störung der Wahlruhe verdächtigt, Falsch, sagte die: man habe den ganzen Gulasch selbst gefuttert. Gulaschdemokratie eben. Dabei hat die Partei noch nichtmal einen Kandidaten am Start. Man sei nicht links, nicht rechts, Hauptsache Gulasch, so der Parteivorsitzende. Die Wahlkommission ermittelt, Fidesz und die Linken protestierten! Index.hu startete einen Live-Ticker und schrieb über die Beobachtungen nur noch von der ersten, zweiten oder dritten Partei, weil das der Wahlkampfruhe dient und ohnehin am Ende egal ist, wer was wie gesagt, es ist alles nur noch Mist. Passenderweise ging im Wahllokal noch vor Toreschluss das Toilettenpapier aus, berichtete Index.hu, man hätte aber noch Wahlzettel übrig...

Das Ergebnis der Auszählung am Sonntagkurz nach 20 Uhr ergab, dass der Fidesz-Kandidat mit ca. 70 Stimmen Vorsprung gewann, womit sich das Ergebnis von vor zwei Wochen bei höherer Beteiligung wiederholt, beide Seiten also ungefähr gleich gut mobilisieren konnten. Kovács Csaba (Fidesz) 138, Teket Melinda (E14-MSZP-DK) 69, Markó György (Jobbik) 14, Ikotity István (LMP) 0 Stimmen.

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Ungarn 2014: "amerikanische Verhältnisse"
mit Potential zu einer veritablen Staatskrise

 

Baja war nur der Beginn von etwas sehr sehr Häßlichem. Die politische Evolution Ungarns fand in den letzten Jahren praktisch nur auf dem Feld des Wahlkampfes, der Propaganda und des Populismus statt. Hinzu kommt, dass bei den Parlamentswahlen 2014 ein völlig neu gestaltetes Wahlsystem erstmals Anwendung findet, das, weil noch nicht erprobt, so besonders anfällig für Manipulationen, Missverständnisse, sein wird.

Die Stichworte lauten: Wahlprozedere und Briefwahl für die Hunderttausenden Auslandsungarn mit neuem ungarischen Pass, Beschränkungen bei der Wahlwerbung in TV und Rundfunk, Abschaffung des Wahlkampffriedens (dann sind auch Chauffeurdienste und Tür-zu-Tür-Aktionen bis 5 Minuten vor Wahlschluss erlaubt) sowie die seit drei Jahren laufende zentralstische Dienstbarmachung kommunaler Strukturen durch die Zentralregierung, sprich den Einsatz nicht-parteilicher Strukturen und Ressourcen für den Wahlkampf. Es dürfte schon jetzt klar sein, dass am Ende nicht die Wähler, sondern die Gerichte die Wahl entscheiden werden, amerikanische Verhältnisse mit Potential zu einer veritablen Staatskrise.

Die
Ankündigung von Parlamentspräsident und Demokratieverächter Kövér, der im Nebenjob den Fidesz-Wahlkampf organisiert, dass man "diesmal auf alle Überraschungen vorbereitet" sein wird, muss man - in Kenntnis der Personen und Verhältnisse - als offene Drohung interpretieren. Eigentlich wären keine Wahlbeobachter, sondern UN-Truppen im "ungarischen Frühling" 2014 das passende Instrument. Nur fürchten, fürchten braucht man sich nicht...

Alles weitere zu den 2014 anstehenden Wahlen auf unserer THEMENSEITE

red / ms.

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