THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 44 - 2013   WIRTSCHAFT   28.10.2013

 

Mafia mit Staat

Anatomie der neuen Wirtschaftsstrukturen in Ungarn / Gastkommentar

Die Anatomie des seit Jahren vorangetriebenen, rigorosen Umbaus der ungarischen Ökonomie, die Konstruktion von "nationalen" Parallelstrukturen zum "freien" Markt, folgt einem bekannten Masterplan. Er weist alle Merkmale auf, die vom Treiben der großen Mafiaorganisationen oder auch den Bananenrepubliken der dritten Welt bekannt sind. Die Regierung Orbán baut an einem gigantischen Staubsauger für die Aufnahme und Kontrolle nationaler und internationaler Ressourcen. Das Risiko des Zusammenbruchs wird ausgeblendet, das Volk belogen.

Der nationale Tabakladen, die ungarische Entsprechung zur Pizzeria in Palermo?

Warum sich die Ungarn Konstrukte, wie das gerade aktuelle und sehr eindrückliche Vabanque-Spiel bei den Spargenossenschaften, das immerhin ein Zehntel der Bürger direkt betrifft, überhaupt gefallen lassen? Das hat verschiedene Gründe. Zunächst durchschauen die meisten die Sache überhaupt nicht und nehmen Orbáns "Freiheitskampf" gegen "Multis und Finanzmarkt" als bare Münze. Denn die gesellschaftsschädigende Gier und Rücksichtslosigkeit der Konzerne, der Banken, ist ein Fakt, keine Behauptung. Der Kampf gegen "fremde Mächte" und das Versagen der Kontrolle der freien, ja wild gewordenen Marktwirtschaft liefert einen stabilen ideologischen Unterbau für das neue Gerüst. Alles scheint "besser" als das was war und offenbar nicht funktionierte. Doch rechtfertigt das jedes andere Mittel?

Die EU als Lieferant und Quelle, im Guten wie im Bösen

Der EU-Binnenmarkt, die EU-Finanzquellen dienen gestern wie heute als Lieferanten und Finanziers, im Guten wie im Bösen. Die "freie Marktwirtschaft", bestimmt hauptsächlich durch die großen ausländischen Investoren und jene Branchen, um die man sich bisher noch nicht näher kümmern konnte, bleiben so lange Partner und Quelle, bis man auch dieses System ersetzen, also übernehmen kann.

Alle anderen sind Teil einer allgemeinen Aneignung durch die Politik: der Bankensektor, die Landwirtschaft und -vergabe, Erneuerbare Energien, die Energieversorgung und Kommunale Wirtschaft, der Einzelhandel, das Transportwesen und der Tourismus, die öffentliche Beschaffung und ministerielle Ausstattung, das Bildungswesen und die Hochschulpolitik, ganz besonders exponiert die Sportförderung, aber sogar der karitative Bereich und die Kirchenpolitik, selbst die staatliche Hilfe für in Not geratene Unternehmen, erst recht aber die Außenwirtschaft mit ihrer Ostöffnung sowie der exekutive Flankenschutz durch lokale Regierungsbüros als Wächter des kommunalen Einflusses, Dekretwesen als Ersatz für checks und balances, eingeschränkte Informationspolitik und parteiliche personelle Besetzungen der Schlüsselstellen vom Wettbewerbsamt über die Nationalbank bis zum Präsidenten.

Cover des führenden, unabhängigen Nachrichtenmagazins des Landes, HVG.


Die Verfassung als "Schutzschirm" für die "Unberührbaren", die Demokratie als Hure der Macht

Die Politik - und das ist der entscheidende Unterschied zu ähnlichen Betrügereien anderswo oder den Vorgängerregierungen hierzulande - wird offen und konsequent für die Legalisierung dieses Raubzuges missbraucht, die Gesetze schaffen dabei nicht nur die legalistische Grundlage dieses Umbaus, sondern reparieren auch im nachhinein undichte Stellen. Im schlimmsten Falle wird in Ungarn auch die Verfassung als Superwaffe aufgefahren, um den Widerstand einzelner Branchen zu brechen und sie dem Primärsystem Untertan zu machen. Die Hüterin der Grundrechte als juristischer Schutzschirm für die "Unberühbaren". Die Demokratie als Hure der Macht. Was braucht es noch für einen "failed state"?

Die Frage, warum der Bürger sich das alles so gefallen lässt, selbst wenn er die Machenschaften durchschaut, ist also schnell beantwortet: ihm bleibt gar nichts anderes übrig.

Die Fidesz-Strategen, im Hintergrund der Politik der Parolen, bauen dabei auf ein Konstrukt sich überschneidender Kreise, die wir als Schüler noch aus der Schnittmengenlehre kennen, die aber den Unterschied haben, dass sie nur in eine Richtung durchlässig sind. Auf diese Art diffundiert diese Parallelwelt Geldmittel der Bürger, der EU (die so dumm ist, die Gelder nach Ungarn zu überweisen, anstatt sie an Ort und Stelle zu vergeben und zu kontrollieren) und der freien Wirtschaft und verkauft dies als "nationales Interesse" und dem "Stehen auf eigenen Beinen". Dabei achtet man darauf, dass der fiskalische Zusammenbruch gerade so vermieden wird, wie ein Hungeraufstand der untersten Schichten. Viel weniger machen die Diktatoren im Mittleren Osten oder in Afrika auch nicht.

 

Man kann die Methoden der Aneignung aus der einst gescheiterten realsozialistischen Planwirtschaft entlehnt sehen, verankert in den Traditionen des Feudalismus` mit seiner Quasi-Leibeigenschaft, befördert vom Neoliberalismus und Turbokapitalismus im Zuge der Transformation nach 1989. Die Erscheinungen finden wir nicht nur in Ungarn, denn sie sind systemimanent. Doch kaum sonst in Europa sind die Fehlentwicklungen selbst zur Staatsform erhoben. Beschreibt man das neue Wirtschaftssystem in Ungarn, ist es die Beschreibung einer Mafia mit einem Staat, ein Mafiastaat. Diesen zugelassen zu haben, müssen sich heimische Politik, EU und (Finanz-)Wirtschaft gleichermaßen vorwerfen lassen.

A.L., aus dem Englischen: cs.sz.

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