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(c) Pester Lloyd / 44 - 2013   WIRTSCHAFT   28.10.2013

 

Alles, außer Kontrolle

Spargenossenschaften in Ungarn werden zu “informeller Kreditwirtschaft”

Um "hauptsächlich die Entwicklung im ländlichen Raum" zu fördern, sollen die gerade unter Staatskontrolle gestellten Spargenossenschaften einen Anteil an der staatlichen ungarischen Post, Magyar Posta, erwerben. Im Klartext: die Genossenschaftssparer sollen ihre schrittweise Enteignung selbst bezahlen. Der Coup ist Teil eines komplexen Umverteilungsroulettes, eines "informellen" Bankensystems, das sowohl die Sparguthaben der Genossenschaftler wie die anderer Bürger "diffundiert" und Ausmaße von bis zu 10% des BIP annehmen könnte.

Die Bank der Zukunft?

Zunächst hatte die Regierung durch eine Änderung im Bankengesetz dafür gesorgt, dass die Aktiva der rund 1,1 Millionen Mitglieder zählenden Spargenossenschaften, deren Einlage-Kredit-Ratio deutlich besser aussieht als die normaler Geschäftsbanken, unter die Hoheit der Takarékbank gelangten, die zuvor mehr als informelle Holding und abwickelnder Dienstleister für die hunderten kleinen, lokal verankerten Spargenossenschaften fungierte, die Wert auf ihre Entscheidungsautonomie beim Einsatz der Mittel legten. Der Staat hatte seinen Einfluss bei der Takarék - gleichzeitig mit der Gesetzesänderung - über eine preiswerte Beteiligungsaufstockung der Ungarischen Post die absolute Mehrheit abgesichert. Mehr zu den Hintergründen. http://www.pesterlloyd.net/html/1330spargenossenschaften.html

Der nun forcierte "Beteiligungstausch" durch den Erwerb eines Viertels der Anteile (-1 Stimme) der Genossenschaften an ihrem Mehrheitseigner Post, freilich zu einem deutlich höheren Preis als dem der Postbeteiligung an der Takarék für 35 Mio. EUR, bedeutet also, dass die Genossenschaftler die staatliche Übernahme aus eigenen Mitteln gegenfinanzieren und damit einen Teil ihrer immensen Guthaben beim Start parken müssen, der so seine cash flow-Bilanz bedeutend aufbessern kann, ohne dass die Summe im Staatshaushalt auftauchen müsste, landet sie doch in den Büchern der Post. Die überlieferte Anweisung zu dem Coup lautet wörtlich: "Der Preis für den Erwerb der Minderheitsbeteiligung wird von SZHISZ (der Vereinigung der Spargenossenschaften, Anm.) an den ungarischen Staat, basierend auf dem Marktwert, in bar entrichtet." Den Wert schätzt man auf umgerechnet 500 Mio. bis 1,5 Mrd. EUR. Die "Gutachter" werden sicher den passenden Betrag evaluieren.

Dass diese "verstärkte Kooperation" der "Entwicklung im ländlichen Raum" zu Gute kommt, daran bestehen indes keine Zweifel. Die Frage ist nur, wem genau sie zu Gute kommt und welche Entwicklung damit eingeschlagen wird. Das verzweigte Netzwerk der "Takarékponts" wird einen staatlich (lies: regierungsparteilich) kontrollierten, zweiten Bankenmarkt im ländlichen Raum in Gang setzen. Ebenso wie das CBA-System im Lebensmittelhandel, das neue System des Tabakhandels sowie der Verpachtung von staatlichem Landbesitz bevorzugt an Parteikader und deren "Familien", entzieht sich dieses jedoch der wettbewerbsrechtlichen Restkontrolle (der politische sowieso, da alles gestzlich legalisiert wurde) und kann umstandslos zur Versorgung und Förderung politisch und ökonomisch den Regierenden nahestehenden Kreisen benutzt werden, zur Schaffung eines zweiten Wirtschaftskreislaufs.

Bei der strukturellen Gestaltung dieses Finanzierungsinstruments "gewisser Kreise" ging man sogar so weit, die Spargenossenschaften, die sich ironischerweise meist schon unter Kontrolle von jetzt sich etwas untervorteilt fühlenden Fidesz-Lokalgrößen befanden, in eine Dachorganisation, eine Art Kuratorium namens SZHISZ nach dem Vereinsgesetz zu zwingen, das hinfort, ausgestattet mit einer dekretierten Sondervollmacht, die Finanzierungsentscheidungen auf dem Lande befürworten oder ablehnen soll. Die Takarékbank bekommt von dort dann lediglich noch die Kontonummer des Begünstigten übermittelt.

Bei diesem komplexen Umverteilungsroulette spielt auch das "kreative" Kreditprogramm "für Wachstum" der Nationalbank eine Rolle, denn rund 14% der bisher rund 750 Milliarden Forint (2,4 Mrd. EUR), die dem Markt zu 2,5% Effektivzins p.a. zugespielt wurden, liefen bisher über die Genossenschaftsbank. Nun, da die Kontrolle über selbige vollständig ist, wurde dieses Programm von der MNB "wegen des großen Erfolges" nochmals fast vervierfacht, insgesamt spült man so im Maximalfall 9,4 Milliarden EUR, fast 10% des BIP, zu höchstens 2,5% Zinsen auf den Markt (es werden real dann doch weniger werden). Gegenfinanziert wird diese gewaltige Summe überwiegend durch kurzfristige Forintanleihen, die man bevorzugt den eigenen Bürgern verkauft, weil die Zinsen nach der gefühlt 45. Leitzinssenkung in Folge dort einen Tick höher sind als bei der Bank.

 

Im gleichen Stil verpulverte man bereits einen großen Teil des ehedem privat verwalteten Anteils an den Rentenbeiträgen, um Haushaltslöcher zu stopfen, die man von den Vorgängern übernahm, aber durch Fehlkalkulationen und Klientelpolitik vergrößerte. Auch diese Beträge machten rund ein Zehntel einer jährlichen Wirtschaftsleistung aus und sind mittlerweile auf ein paar Prozent im Rententopf zusammengeschmolzen.

Geht die Sache mit dem Genossenschaftsgeld ebenso schief, wird man die Leitzinsen wieder erhöhen und die Inflation ankurbeln, der Bürger als Staatsgläubiger trägt dann ganz automatisch einen Teil der Verluste, ebenso wie die Guthaben der Genossenschaftler und die Devisenreserven der Nationalbank, Ungarns allerletzte Sicherheit, aufs Spiel gesetzt werden.

red. / dd.

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