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(c) Pester Lloyd / 48 - 2013 WIRTSCHAFT 28.11.2013

 

Der politisierte Leitzins

Vor- und Nachteile der Niedrigzinspolitik in Ungarn

Die derzeitige Niedrigzinspolitik der ungarischen Nationalbank MNB erfüllt sowohl ökonomische Bedürfnisse wie auch politische Vorgaben. Kredite verbilligen sich, die Inflation bleibt dennoch niedrig, Bürger kaufen Staatsanleihen, das Marktumfeld wird für Geschäftsbanken unattraktiver, die staatlich gelenkte Kreditwirtschaft gewinnt an Einfluss. Doch die allein von äußeren Faktoren getragene Stabilität ist nur vermeintlich, der andauernde Kapitalabfluss könnte die MNB und das Land bald wieder vor Probleme stellen.

Entwicklung des Leitzinses der MNB seit Juni 2009.

Am Dienstag senkte die ungarische Zentralbank MNB den Leitzins ein weiteres Mal, diesmal um 20 Basispunkte auf nun 3,2%, wiederum ein neues historisches Tief. Man werde die, seit über einem Jahr anhaltende Politik der "vorsichtigen Absenkung" weiterbetreiben, sowohl die - Dank gesetzlicher Preissenkungen bei der Haushaltsenergie von über 6 auf unter 2% forcierte - niedrige Inflationsrate als auch das Gebot der Wachstumsankurbelung rechtfertigten dies, zumal der Forint, wenn auch auf niedrigem Niveau (zwischen 295 und 300) derzeit relativ stabil sei, hieß es aus MNB-Kreisen dazu.

Weiterführende Informationen im Ressort FINANZMARKT

Als Folge der Niedrigzinspolitik sowie der Bereitstellung billigen Geldes für Geschäftsbanken zu festgelgten Zinssätzen (2,5%) in einer nie dagewesenen Größenordnung (von bis zu 6% des BIP), verbilligen sich Kredite deutlich, Forint-Hypothekendarlehen sind heute fast zu gleichen Zinssätzen (um die 5,8-6%% p.a.) zu haben wie vor Jahren die damals "beliebten" Forex-Kredite, wenn auch die Nachfrage, aufgrund der Markt- und Vermögenssituation der potentiellen Kundschaft praktisch gleich Null ist.

BIP-Entwicklung

Die Kreditzurückhaltung der durch Kreditausfälle und enorm hohe Sondersteuern belasteten Banken, vor allem gegenüber kleinen und mittelständischen Unternehmen, verhinderte bisher jedoch das durch die Zinspolitik herbeigewünschte Wachstum. Selbst die "kreativen Finanzmarktinstrumente" können - das die Lehre der Zins- und MNB-politik - eine vertrauenswürdige und zielgruppenorientierte Wirtschaftspolitik nicht ersetzen. Die Banken igeln sich ein, die meisten KMU´s sind nach heutigen Maßstäben nicht kreditwürdig. Das BIP-Wachstum in diesem Jahr hat man den großen ausländischen Investoren, einem ruhigen EU-Binnenmarkt, EU-Milliarden und den niedrigen Basiswerten aus dem Vorjahr zu verdanken, nicht den "Impulsen" der Orbánschen Wirtschaftspolitik.

Die niedrigen Zinsen machen auch Spareinlagen in Forint unattraktiver, weshalb viele Ungarn ihre Ersparnisse lieber im Ausland sowie vor allem auch in heimische Staatsanleihen parken, die im kurzfristigen Segment bei rund 3,8 bis 4% liegen und damit rund 2 Punkte über der derzeitigen Inflationsrate, während die Banken für Festgeldeinlagen meist nicht mehr als um die 2% anbieten. Dem Staat ist die Finanzierung eines größeren Anteils der Schulden durch die eigenen Bürger nur lieb, stößt allerdings bald an seine Grenzen. Denn der Appetit internationaler, institutioneller Anleger, die nach wie vor unverzichtbar sind, lässt schon jetzt bei kurzfristigen Schuldscheinen deutlich nach. Das Schuldenamt ÁKK brachte zuletzt eine 3monatige Anleihe für rund 3,5% Zinsen nur noch geradeso an den Mann und nahm nur 70% der geplanten Summe ein. Ausländische Anleger zielen eher auf 10jährige Anleihen, die mit um die 6% p.a. deutlich attraktiver erscheinen.

Preisentwicklung

Analysten sehen den Leitzins - bei unveränderten Eckdaten - weiter sinken, auf 3% Ende des Jahres und sogar darunter für Anfang 2014. Allerdings könnte der strukturelle Kapitalabfluss aus CEE, der auch, aber weniger wegen dortiger Fehlentwicklungen stattfindet als wegen der Erwatung höherer Zinserträge in den entwickelten Märkten, ein Umlenken der MNB-Politik Mitte-Ende 2014 bewirken.

 

Zwar ist es das ausgesprochene Ziel der Orbán-Regierung, die Marktanteile der Geschäftsbanken, u.a. durch einen unattraktiven Zinsmarkt, zu Gunsten der staatlich gesteuerten Kreditwirtschaft (MNB-Kreditprogramm, Einverleibung der Spargenossenschaften, EU-Ko- und Handelsfinanzierung über staatliche MFB und Eximbank, Übernahme evtl. von MKB und anderen Abwanderkandidaten) zu verringern. Doch die Abhängigkeit von ausländischem Kapital, sowohl für die Wirtschaftsentwicklung wie vor allem auch die Refinanzierung der Staatsschulden, ist in Ungarn weitaus höher als in anderen ostmitteleuropäischen Ländern, weshalb man um Kompromisse und mittelfristig wieder ein freundliches Kapitalmarktumfeld auf Dauer nicht herumkommen wird.

Die staatliche Kontrolle über den Kapitalmarkt zu erhöhen oder überhaupt zurückzugewinnen, ist - zumindest, wenn sie für den Bürger gedacht ist, also jenseits des reinen Machtrausches und der Bedienung eigener Netzwerke - ein legitimes Ziel und sogar eine Staatspflicht. Allerdings kann man sich bei Übertreibung sehr schnell aus der Wettbewerbsfähigkeit verabschieden und muss dann feststellen, dass man nicht "auf eigenen Beinen", sondern auf morschen Krücken steht. Hier die richtige Balance zu finden, ist eine Kunst, die am besten ohne steife Ideologie, sondern mit nüchternem Blick gelingt. Sie ist bei einer Nationalbank, die jeder Unabhängigkeit von der Regierung beraubt wurde, jedoch ein Ding der Unmöglichkeit.

Weiterführende Informationen im Ressort FINANZMARKT

cs.sz.

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