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(c) Pester Lloyd / 51 - 2013 NACHRICHTEN 16.12.2013

 

Die Kurie sprach...

Forex-Kredite in Ungarn sind grundsätzlich rechtens. Fidesz mit Urteil unzufrieden.

Ungarns Oberster Gerichthof, die Kurie, hat es am Montag in einem Grundsatzurteil abgelehnt, sich zum Handlanger der Politik in der Frage der rechlichen Gültigkeit von Verträgen über Fremdwährungskredite zu machen. In grundsätzliche Punkten wurden diese Verträge für gültig erklärt, nun ist die Politik wieder am Zuge. Die Regierung ließ sogleich erklären, dass man dieses - angeblich - bankenfreundliche Urteil nicht hinnehmen wolle.

Hundert Kameras und eine Robe: der Kuriensprecher verkündet das Urteil: das Gericht will das politische Parkett nicht betreten...

Die Kurie hat in ihrem Grundsatzurteil vor allem auch vereinheitlichende Maßgaben geschärft, auf deren Basis Gerichte nun beständige Urteile in (den epidemisch gewordenen) Einzelfällen vornehmen können, bei denen die Einhaltung dieser Maßgaben zweifelhaft ist. Die entscheidende Aussage, hinter dem unter großem Medieninteresse am Montagmittag verkündeten Urteil ist jedoch, dass die bestehende Rechtslage keine Handhabe gibt, die Forex-Kredit-Verträge pauschal zu verwerfen. (Details des Urteils am Ende des Textes).

Weiterhin weist das Gericht jedoch durchaus auf den Gestaltungsspielraum der Legislative hin, der zwar (eigentlich) nicht rückwirkend auf die Vertragswerke reicht, wohl aber Raum für vergünstigte Umtauschmodelle auch in der Zukunft offenhält. Außerdem ist ein EU-Urteil abzuwarten (wahrscheinlich im Februar 2014), das die rechtlichen Folgen von einseitigen Vertragsänderungen seitens der Banken beurteilen wird. Ironischerweise könnte die EU so letztlich Orbán bei der Durchsetzung seines politischen Willens mehr helfen, als die immer mehr an die neue Adminsitration gebundene heimische Gerichtsbarkeit.

Fidesz: Urteil bankenfreundlich, Urteil nicht akzeptabel

Der Fraktionschef der Regierungspartei Fidesz, Antal Rogán, erklärte stante pede, das Gericht hätte die Partei der Banken ergriffen. Dies ist eine bewußte Fehlinterpretation mit populistischen Hinergedanken, denn das Gericht hat sich lediglich auf wirksames Recht bezogen, was nun einmal der Job eines jeden Gerichtes ist. Zumal Gerichte in Einzelfällen durchaus auch gegen die Banken urteilten, dafür nun aber eine bessere, weil nicht mehr anfechtbare Grundlage haben.

Die Regierung machte jedoch, auch namens Premier Orbán und nicht nur bei diesem Fall, bereits vor dem Urteil klar, dass man das "Gerechtigkeitsempfinden des Volkes über das Recht" stellen werde. Das Volk wird natürlich von Fidesz vertreten. Gerne hätte die Fidesz-Regierung dazu mehr Rückendeckung von den Richtern gehabt, die rechtspolitische Praxis der letzten drei Jahre hatte aber gezeigt, dass man rückwirkende rechtliche Eingriffe, durch neue oder veränderte Gesetzgebung nicht scheut und diese notfalls auch gegen das Verfassungsgericht oder andere judikative Körperschaften durchsetzt, z.B. durch Grundgesetzänderungen.

Über das Wechselspiel zwischen Banken, Gerichten und Politik,
vor allem aber die gesellschaftlichen Dimensionen der Schuldenproblematik,
nebst weiteren Links mehr in
diesem Grundsatzartikel.

Die Banken können sich daher nur so lange durch das Urteil gestärkt sehen, bis das Kabinett den lange angekündigten "Befreiungsschlag" vornimmt. Dieser wird mutmaßlich in einer stufenweisen, zwangsweisen Umwandlung zunächst aller Hypotheken-, dann aller privaten Forex-Kredite, zuletzt in ein Verbot (nahezu) aller Fremdäwhrungskredite münden, der Umtausch wird zu festgesetzten Wechselkrusen in Forintkredite stattfinden, wobei die Wertdifferenzen im Wesentlichen bei den Banken hängen bleiben wird. Nur die Geschwindigkeit der Umwandlung und die Detailmodi sowie der Startschuss dafür sind noch offen.

Risiko weiterer Kapitalabwanderung als Hoffnung auf “Nationalisierung” von Marktanteilen

Die Wirtschaftspolitiker der Regierung sind sich dabei im Klaren, dass die ohnehin schon sehr hohe Steuerbelastung der in Ungarn tätigen Banken das Risiko einer verlängerten Kreditklemme und des weiteren Kapitalabzugs, einschließlich seiner negativen Auswirkungen vor allem für die mittelständische Wirtschaft, in sich birgt und wird bemüht sein, die neuerlichen Belastungen zeitlich zu strecken. Mit einem Billigkreditprogramm der Nationalbank und der Ausweitung der halbstaatlichen Kreditangebote u.a. über die einverleibten Spargenossenschaften versucht man dem entgegenzuwirken und dabei gleichzeitig Marktanteile im heimischen Kreditmarkt unter staatliche, lies Parteikontrolle zu gewinnen, so dass zukünftig immer weniger die "internationalen Finanzmärkte", aber immer mehr lokale Polit- und Wirtschafts-Patriarchen und ihre Budapester Strippenzieher die Bedingungen der Kreditvergaben steuern und von ihnen profitieren.

Hauptlast bleibt - logischerweise - beim Schuldner

Für die Kunden / Schuldner ändert sich zunächst wenig, allerdings führt die Prolongierung der Ungewissheit über ein endgültiges Forex-Ablösemodell (bisher gibt es nur Zwischenlösungen) dazu, dass selbst solvente Schuldner ihre Zahlungen einstellen oder verzögern, letztlich werden die Forex-Schuldner, selbstredend, ihre Schulden selbst tragen müssen, die Politik kann ihnen einen kleinen Abschlag (vielleicht 20%), auch eine Verlängerung der Zahlungsfristen ermöglichen und für die Zukunft das Wechselkursrisiko abnehmen sowie für stabile Zinsen sorgen.

Die Regierung hätte auch einen anderen Weg gehen können und - anstatt die obersten 25% mit milliardenschweren Steuerentlastungen (Flat tax etc.) zu stopfen, die Einkommen des unteren Drittels zumindest stabilisieren können, um die seit Jahren ungebremst steigenden Kreditausfallraten einzudämmen. Doch die Entscheidung für ein ständisches Staatswesen ist eine prinzipielle gewesen, eine Umkehr kann als ausgeschlossen gelten. Dies erklärt auch, warum Fidesz so vehement mit dem Finger auf die Gier der Banken verweisen muss. Wie anders will man von der eigenen sonst ablenken, der materiellen wie der politischen Gier.

Die wichtigsten Punkte des Kurien-Spruchs:

> Verträge auf Fremdwährungsbasis gewähren dem Kreditnehmer einen Zinsvorteil gegenüber einheimischen Krediten, im Gegenzug trägt dieser das Wechselkursrisiko. Diese Verträge sind als Fremdwährungskredite zu definieren (auch wenn sie in Forint aus- bzw. einbezahlt werden).

> das bestehende Risiko durch die Wechselkursschwankungen macht die Verträge weder ungültig, noch sittenwidrig oder unüblich. Das nicht überschaubare Risiko durch Wechselkursschwankungen hebt diese Vereinbarungen nicht per se auf.

> die Kreditgeber sind bzw. waren verpflichtet, die Kunden über die bestehenden Risiken und deren Einfluss auf die Tilgungsraten zu informieren und zwar vertraglich und beratend.

> Sollte ein Gericht einen Forex-Kreditvertrag für null und nichtig befinden, sind das Gericht und die Parteien aufgefordert, den Vertrag so umzugestalten, dass er rechtsgültig werden kann (d.h.: der Kredit ist nicht automatisch aufgelöst).

> Wie im Vertragsrecht allgemein üblich, bleiben auch Forex-Kreditverträge grundsätzlich gültig, wenn ein oder mehrere Vertragspunkte darin rechtlich nicht haltbar sind.

> hinsichtlich der Gültigkeit einseitiger Vertragsänderungen (hier geht es vor allem um Gebührenpolitik der Banken im Anschluss an die ersten Umtauschmodelle) wartet die Kurie den Spruch des Europäischen Gerichtshofes ab

> Gerichtsurteile hinsichtlich der Forex-Kredite betreffen Einzelfälle, bei denen durch eine Veränderung der Umstände oder des Vertragswerkes substantielle Nachteile für eine der Parteien entstanden sein können. Diese Verfahren sind nicht dazu da, massenhaft Verträge aufzuheben (lies: keine Präzedenz oder Automatik). Dazu bedarf es politischer Entscheidungen (Gesetze), für deren Veränderung oder Schaffung nicht die Gericht zuständig sind (Gewaltenteilung).

Eine Regierung der Brechstange

Eine balancierte Lösung des Problems der Überschuldung der Privathaushalte und vieler Kleinunternehmen, das der wohl größte ökonomische Klotz am Bein der Gesellschaft und außerdem beachtlichen sozialen Sprengstoff darstellt, wird also politisch herbeigeführt, wobei den Gerichten dann nur noch die Rolle von Statisten zukommen wird. Können sie zwar rückwirkende Eingriffe in Vertragswerke und das Eigentumsrecht, also retroaktive Gesetzgebung und -anwendung, bis zum Verfassungsgericht hinauf als nicht rechtsstaatlich beurteilen, sie - wie die Praxis unter Orbán zeigte - jedoch nicht verhindern.

Einzig die Gefahr wirtschaftlicher Rezession und der damit verbundene Ansehensverlust beim Wahlvolk kann diese Regierung - vielleicht - von übereilten und übertriebenen Schritten abhalten, die bisher auch keinem einzigen Gebiet den Beweis für die Fähigkeit zu einem überdachten Interessensausgleich erbracht hat. Die Brechstange ist das Instrument ihrer Wahl, nicht die Friedenspfeife.

cs.sz. / red.

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