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(c) Pester Lloyd / 48 - 2013 WIRTSCHAFT 26.11.2013

 

Die Kurie und die Wechsler

Ungarn ringt um rechtliche Neubewertung von Fremdwährungskrediten

Sie haben das halbe Land ruiniert, nun soll das Oberste Gericht eine Grundsatzentscheidung über die Gültigkeit hunderttausender Forex-Kreditverträge treffen. Die juristische Bewertung entscheidet wesentlich über die Neuverteilung der finanziellen Risiken, es geht aber auch um denkbare rückwirkende Eingriffe in das Vertrags- und Eigentumsrecht. Aus Sicht Orbáns geht es vor allem aber um das Prestige seiner Regierung. Enstprechend starken Druck baut er auf "sein" Gericht auf.
- EINE ANALYSE

Hängepartie zwischen Gerichten und fingierten Konsultationen

Die "Kurie", Ungarns neu etabliertes und entsprechend besetztes Oberstes Gericht, ganz bewußt benannt nach einer Institution aus ständestaatlichen Zeiten, hat seinen Zivilsenat aufgefordert, den Richtern im Lande, die abertausende Klagen von Kunden und Banken hinsichtlich ihrer Forex-Kreditverträge bearbeiten, endlich eine einheitliche Entscheidungsgrundlage zu geben. Die Höchstrichter sitzen dabei zwischen den Stühlen: zum Einen sind sie gezwungen, die mangelhafte Regulierung der Kreditinstitute unter den sozial-liberalen Vorgängerregierungen nachzuarbeiten, zum anderen sollen sie die politischen und sozioökonmoischen Wünsche und Vorstellungen der heutigen Regierung bedienen. Kein leichtes Unterfangen für ein unabhängiges Richtergremium mit wegweisender Vollmacht.

Bereits seit Monaten wird seitens der Regierung in einem fingierten Dialog mit den Banken über eine gangbare Lösung gerungen.

Sind die Forex-Kredite überhaupt Fremdwährungskredite?

Richter György Wellmann, dem die schwierige Aufgabe zugeteilt wurde, stellte am Montag einen Fragenkatalog vor, der schon am 16. Dezember zu der seit Monaten von Orbán und seinem Finanzminister, aber auch etlichen Richtern, Kunden und Banken geforderten "juristischen Klarstellung" führen soll. Das Höchstgericht hat nun zunächst zu prüfen, ob die Forex-Kredite überhaupt den Charakter von Fremdwährungskrediten erfüllen, denn sie werden zwar auf der Basis von Schweizer Franken, Euro oder Yen zins- und wertmäßig berechnet, wurden aber stets in Forint ausgereicht, auch die Rückzahlung erfolgte in Forint. Sollte das Gericht hier zu dem Schluss gelangen, dass es sich eigentlich um Forintkredite handelt, könnten sämtliche Verträge angefochten, sogar für nichtig erklärt werden, was die enormen Währungsverluste, die die Kunden erlitten haben, zu Lasten der Banken schriebe, diese - andererseits - jedoch zur Nachberechnung höherer Zinsen berechtigen könnte, wogegen wiederum die Politik vorginge.

Was haben Moralfragen in der Kreditwirtschaft zu suchen?

Wellmann muss außerdem feststellen, ob die Verträge sittengerecht waren, auf "guten moralischen Grundsätzen" fußen (was diese Frage - auch wenn sie Teil des BGB bzw. Handelsrechts ist - in der Bankenwirtschaft zu suchen hat, ist ein Treppenwitz für sich, B. Brecht hat sie längst erschöpfend beantwortet...), irreführende und einseitig unfaire Klauseln z.B. bei der Berechnung von Gebühren, der einseitigen Anhebung von Zinsen und Aufschlägen sowie der Berechnung der Wechselkurse enthalten haben. Gretchenfrage hier: war der Kunde auf Grundlage der Verträge stets in der Lage, die Kosten für seine Kredite berechnen und die Risiken abschätzen zu können? Eine Frage, deren Beantwortung eher in den Bereich der Philosophie, denn der Kreditwirtschaft führen kann, denn viele wollten es gar nicht so genau wissen...

Dabei müssen gut einhundert verschieden angelegte Vertragswerke analysiert, daraus aber wiederum ein einheitlicher Rechtsgrundsatz geformt werden. Dass der von seriösen Menschen nicht leichtfertig formuliert werden kann, dürfte durch die denkbaren Eingriffe ins Eigentums- und Vertragsrecht sowie die Tangierung von Binnenmarktregeln der EU klar sein. Auch die rückwirkende Anwendung neuer Gesetze ist eigentlich ein rechtsstaatliches No-Go, das es zu umschiffen gilt (wiewohl es in Orbánistan längst an der Tagesordnung ist). Immerhin kann ein entsprechend radikaler Spruch des Obersten Gerichts auch Präzedenzwirkung auf andere Wirtschaftszweige entfalten. Was hier als Wirkung gewollt sein mag, kann dort zu irreparablen volkswirtschaftlichen Schäden führen...

Die Regierung hat ihr Urteil schon gefällt, die Richter "müssen" nur noch bestätigen

Premier Orbán, der schon in der Vergangenheit nicht davor zurückschreckte, politisch unpassende Gerichtsurteile öffentlich als "Skandal" abzuwerten und durch entsprechende Gesetzgebung oder die strukturelle Kastration des Gerichtes aufzuheben, machte klar, dass ein Urteil, dass die Verantwortung für die ruinösen Wirkungen der Fremdwährungskredite nicht weitestegehend allein den Geschäftsbanken zuteilt und nicht den Weg frei für eine gesetzliche "Eliminierung" dieser Kredite macht, von ihm nicht akzeptiert werden wird und er "der Gerechtigkeit zum Sieg über das Recht" (Orbán) verhelfen wird. An anderer Stelle sagt er, dass "die Bürger nicht in eine Situation gebracht werden können, in der die Politik ein Gesetz (Zwangsumtausch von Forex- in Forintkredite überwiegend zu Lasten der Banken) verabschiedet, das dann von einem Gericht wieder aufgehoben wird." Dies würde "rechtliches Chaos bedeuten". Eigentlich bedeutet die juristische Korrektur politischer Entscheidungen: Rechtsstaat, - aber offenbar nicht mehr in Ungarn. Hier fällt die Politik die letzten Urteile.

Ruinöses Interessens-Trio: EU-Binnenmarkt + "Banken-Run" + fahrlässige Bürger

Der Aufschwung der Forex-Kredite in Ungarn startete ungefähr mit der Regierung Medgyessy 2002, die die erste Orbán-Regierung (ab 1998) überraschend ablöste und Ungarn in die EU führte. Damals und bis zum Chrash 2008/2009 trafen die EU-Binnenmarkts-Anforderungen des freien Kapitalflusses, auf den wild-west-artigen Kampf der vornehmlich ausländische Banken um Marktanteile auf den nachvollziehbaren und durchaus politisch beförderten Wunsch vieler Bürger den EU-Lebensstandard am besten von Heute auf Morgen zu erreichen - alle drei Entwicklungen überforderten das Land, die Wirtschaft und die Menschen.

Unzufriedene Aktionäre vs. ruinierte Existenzen

Es ist dabei gar keine Frage, sondern Allgemeingut, dass die Banken damals Hypotheken- und Konsumentenkredite auf Forex-Basis für Alles und Jeden verschleuderten und damit große, zu große Risiken eingingen, Risiken, die man auf den Heimatmärkten nicht einging oder um es drastisch zu sagen: in Ungarn bekamen "Kunden" Kredite, für die man in den Filialen in Wien höchstens den Sicherheitsdienst gerufen hätte. Es besteht auch kein Zweifel, dass die Kunden sorglos, ja fahrlässig und in gewisser Weise ebenso gierig auf die verlockenden Angebote eingingen. Beide zahlten dafür bereits einen hohen Preis, allerdings steht die Unzufriedenheit von Bankaktionären mit den Geschäftszahlen aus den Ostbeteiligungen in keiner vernünftigen gesellschaftlichen Relation zur Existenzvernichtung und -gefährdung Hunderttausender Familien und den Folgekosten für alle Steuerzahler. Mehr dazu in:
Finanzieller Amoklauf + ökonomische Irrfahrt

Orbáns unsoziale Steuer- und Wirtschaftspolitik verhinderte eine organische Problemlösung

Diese Balance wieder herzustellen, muss das Ziel des Staates sein, Politik und Judikative eingeschlossen. Am besten löste man das Problem, wenn - neben einer strengeren Regulierung der Banken - die Einkommen der Bürger zumindest stabilisiert und tendentiell erhöht werden könnten, durch eine maßvolle und berechenbare Wirtschafts-, zielgerichtete Förder-, eine sozial ausgewogene Steuer- sowie eine an den Bedürfnissen der Schwächsten ausgerichteten Sozialpolitik. Die Orbán-Regierung hat nichts davon zu bieten, das Anwachsen des “Durchschnittseinkommens” ist nur eine Folge der Flat tax, die wiederum überproportional den Besseverdienern zu Gute kommt. Ein organisches Herauswachsen aus der Schuldenkrise der Privathaushalte funktioniert angesichts sozial kalter und ständischer Klientelpolitik also nicht, daher bleibt der Regierung nur ein Weg, dem steigenden Volkszorn zu entgehen: die Schuld für das sozio-ökonomische Pulverfass allein den Banken anzuheften und diese bluten zu lassen.

Die sozialen Spannungen wachsen - sichtbar!

Denn die bisherigen Maßnahmen, die Forex-Krediteinmalrückzahlung sowie diverse Transformationsschemata, die
gerade nochmals erweitert und verlängert wurden, nutzten vor allem Habenden, nicht den Habenichtsen. Gleichzeitig nehmen Zwangsversteigerungen und -räumungen zu, Moratorien lassen sich nicht endlos ausdehnen, eine Protestbewegung campierte bereits vor Orbáns Haustür und blockierte Straßen. Diese "Schuldnerbewegung" ist dezidiert national(istisch) gesinnt, also eine potenteille Gefahr für die Reputation im Fidesz-Wählerlager. Und auch die Errichtung von staatlich finanzierten Armenghettos auf dem Land, macht sich nicht wirklich günstig in der Regierungs-PR, auch wenn man das versucht. Das Problem ist auch bei Orbán nicht die Armut und das Elend an sich, der Bodensatz ist systemimmanent. Das Problem ist deren Sichtbarkeit.

Banken taugen nicht wirklich als "Opfer"

Dass man mit der enormen Belastung der Banken, zunächst für den fiskalischen turn-around, nun auch noch für die Entschärfung einer sozialen Zeiitbombe, die Kreditklemme, die Teil der wirtschaftlichen Stagnation ist, verschärft und sich damit auch mittelfristig Wachstum und Entwicklung sowie Vertrauen auf dem internationalen Finanzmarkt verbaut, ist der Preis den man dafür zahlen muss. Trotz allem haben die Banken kein stichhaltiges Argument, dass sie wirklich als Opfer dastehen lässt, auch wenn sie sich
lamoryant bis unverschämt immer wieder in diese Rolle begeben. Einige Institute verabschiedeten sich bereits aus Ungarn, andere planen es. Keiner weint ihnen eine Träne nach...

Aktuelle Zahlen und Urteile spielen Orbán in die Hände

Einige aktuelle Zahlen und Events kommen der Regierung argumentativ sehr entgegen: der Anteil der faulenden, also mehr als 90 'Tage überfälligen bzw. gar nicht bedienten Forex-Kredite erreichte im 3. Quartal einen neuen Rekordwert, auch wenn dafür statistische Effekte der erhöhten Rückzahlung die Hauptrolle spielen. Rund 22% des BIP machen derzeit die Privatschulden der Ungarn bei den Banken aus, umgerechent rund 7,4 Mrd. EUR sind überfällig (unter und über 90 Tage zusammen).
Mehr Zahlen dazu hier.  Diese Banken kehrten jedoch trotzdem im selben Quartal - in Summe - wieder in die Gewinnzone zurück und sollen zusammen rund 13 Mrd. Forint verdient haben, im Gesamtjahr ingesamt 36,3 Mrd. (ca. 120 Mio. EUR), was also Spielräume und Begehrlichkeiten eröffnet (auch wenn die Ergebnisse unter den Banken unterschiedlicher kaum sein könnten). So schlecht, schließt das Kabinett aus den Zahlen, so schlecht gehts der Branche also gar nicht. Die Verruchtheit und Sittenlosigkeit der in Ungarn tätigen privaten Kreditinstitute wurde - Zufall oder nicht? - gerade rechtzeitig zum Prozessbeginn am Obersten Gericht gerade vom Kartellamt GVH festgestellt, das eine Rekordstrafe für Frühstücksabsprachen über Gebührenerhöhungen im Zusammenhang mit gesetzlichen Umtauschmodellen bei Forex-Krediten verhängte. Derzeit bedienen rund 53% aller Schuldner ihre Kredite nicht pünktlich (siehe Meldung 3 in diesem Beitrag), viele spekulieren auf eine "politische" Lösung, die ihnen bessere Konditionen verspricht. Damit spitzt sich die Lage zu, es gibt nun kein zurück mehr zu einer rein "ökonomischen" Lösung.

Der Preis für Orbáns "Befreiungskampf"

 

Die Zuspitzung der Problematik der Forex-Kredite und ihrer rechtlichen Behandlung ist dabei weder ein zeitlicher Zufall, noch ein Produkt politischen Willens dieser Regierung. Sie ist das - viel zu späte - Nachholen regulativer Notwendigkeiten und sozio-ökonomischen Selbstschutzes der Gesellschaft vor existenzgefährdenden Praktiken der Geschäftswelt und der Fahrlässigkeit seiner Bürger auf Kosten der Allgemeinheit. Dass dieses Problem nicht früher angegangen wurde, gibt nun einem Politiker vom Schlage Orbáns die Möglichkeit der Thematik seinen Stemepl aufzudrücken. Dass es dabei nicht mehr nur um sachbezogene Lösungen, sondern um strukturellen Umbau zu Gunsten einer kleinen Machtelite geht, ist ein weiterer Preis, den ein Land für seine Verfehlungen zu zahlen haben wird. Ein Preis, den das Land und seine Bürger schon auf vielen, ja fast allen Politikfeldern und Lebensbereichen bezahlen oder erst noch bezahlen werden. Die Versäumnisse der Vergangenheit als Fundament für den Machtrausch des "Nationenretters". Orbán will nämlich nicht - wie Jesus oder Attac - die "Wechsler" aus dem Tempel" vertreiben, er will sie nur austauschen!

red. / m.s.

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