THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 07 - 2014   WIRTSCHAFT 10.02.2014

 

"Extrem vorteilhaft"

AKW-Ausbau: Interne Studie warnt vor Verdopplung der Strompreise in Ungarn / weitere Proteste geplant

Während der Wirtschaftsminister den 10 Milliarden-EUR-Kredit mit Zinsen von über 4% als "extrem vorteilhaft" verkauft, wird eine interne Studie des AKW-Betreibers Paks bekannt, die von einer Verdopplung des Strompreises wegen der Ausbaukosten spricht. Die Regierung wollte das aber genauso ausschließen wie Steuererhöhungen oder eine weitere Neuverschuldung zur Refinanzierung. Was nun?

Greenpeace-Protest an der Unabhängigkeitsstatue auf dem Budapester Gellért-Berg

Wirtschaftsminister Varga hat am Donnerstag einige Details zur Finanzierung des am selben Tag im Parlament zum Gesetz erhobenen (unser Bericht, darin alle weiteren Links zum Deal) AKW-Ausbaus in Paks verkündet. Danach habe man mit Russland einen Vertrag über einen Kredit von umgerechnet maximal 10 Milliarden Euro vereinbart, zu "deutlich besseren Bedingungen, als sie die Märkte derzeit hergeben".

Die Laufzeit ist mit 21 Jahren festgeschrieben, dir Rückzahlung soll 2024 beginnen und 2046 beendet sein, die Verzinsung soll in der ersten Phase 3,95%, dann 4,5%, die letzten 6 Jahre 4,9% betragen. (Anm.: Kredite beim IWF, EBRD u.ä. Institutionen sind für Staaten ab 2% p.a. zu haben). Varga erwähnte nicht, dass bis 2020 bereits Zinsen auf die bis dahin abgerufenen Beträge fällig werden und nannte den gesamten Deal "extrem vorteilhaft" für Ungarn.

Man hoffe zudem, gar nicht die ganze Summe zu benötigen, da die wahren Kosten durch Ausschreibungen (in Russland) noch variieren könnten. (Anm.: üblicherweise verteuern sich solche langfristigen Projekte eher noch). Ungarn musst außerdem bis zu 3 Milliarden EUR an Eigenmitteln aufbringen, die aber nicht direkt über den Staatshaushalt (Defizitgrenze!) gebucht werden sollen, sondern z.B. über eine Anleiheausgabe des staatlich kontrollierten Paks-Betreibers MVM oder eine Verschuldigung desselben beim staatlichen Eigentümer.

Etliche Detailfragen sind aber noch immer offen, die Regierung behauptet, diese werden noch verhandelt. Fachleute und die Opposition wollen vor allem wissen, welche Sicherheiten Ungarn Moskau gewähren muss und ob weitere Nebenabsprachen inner- und außerhalb des Energiemarktes an dem Deal hängen.

Derweil kommen Details darüber ans Licht, wie die Regierung das Parlament aus der Entscheidungsfindung über den "Orbán-Putin-Pakt" ausgeschlossen hat. Anfang Dezember wurden im entsprechenden Parlamentsausschuss mit der Fidesz-Mehrheit Beratungen über anhängige Machbarkeitsstudien als "derzeit nicht notwendig" beendet, ein Hearing von Experten des Paks-Betreibers MVM wurde abgesagt. Tage später legte ein Fidesz-Staatssekretär eine bis heute unter Verschluss befindliche Studie vor, die von einer "Gefahr" für Betrieb und Sicherheit sprach, sollte beim Ausbau des AKW´s keine russische Technik zum Einsatz kommen. Staatssekretär Lázár schloss die "Debatte" zwei Tage vor Orbáns Russland-Reise mit den Worten, dass Premier Orbán sich bereits in "fortgeschrittenen Verhandlungen" mit der russischen Regierung befinde.

Die MVM-interne Studie wurde unterdrückt, weil deren Erkenntnisse dem politischen Willen der Regierung widersprachen. Die MVM-Experten kommen nämlich zu dem Schluss, dass die geplante Investitionssumme von 10 Milliarden Euro, so sie durch den Betreiber selbst - also durch Stromverkäufe - refinanziert werden soll, den Strompreis von den heutigen 16 Forint je Kilowattstunde auf 33 Forint mehr als verdoppeln müsste (inflationsbereinigt). Selbst wenn die "peripheren Kosten" vom Steuerzahler getragen würden, läge der Preis noch bei 25 HUF. Bei 6,5 Mrd. EUR Investitionen bei 22 Forint.

Die Regierung aber hatte nicht nur festgelegt und versprochen, dass die Strompreise nicht steigen, sondern, dass sie sogar auf "amerikanisches Niveau" sinken sollen. Immerhin sind die gesetzlichen Strompreissenkungen (mittlerweile die dritte Runde) wichtigstes Wahlkampfthema des Fidesz. Die Staatsverschuldung will die Regierung aber auch nicht erhöhen und schon gar keine Steuern wegen Paks erhöhen oder einführen, hieß es bisher zumindest.

 

Vage Angaben von Offiziellen handeln von massiven Stromexporten, da Ungarn bald zum "regionalen Player" aufsteigen werde, mit denen man die entstehenden Überkapazitäten gewinnbringend verwenden könnte. Allerdings sind alle mengemmäßig maßgeblichen Nachbarländer bereits Energienettoexporteure, außerdem würde die Hardware für solche Projekte weitere teure Investitionen voraussetzen. - Fakt ist also, dass die ungarische Regierung bis heute ihren Bürgern nicht schlüssig erklären kann, wie der "extrem vorteilhafte" Ausbau des AKWs refinanziert werden soll, wenn die Steuerzahler und Stromkunden von Mehrbelastungen verschont bleiben sollen.

Wie hier berichtet, wird sowohl die Opposition gerichtlich gegen den Deal vorgehen (Schuldenlimit in der Verfassung) als auch die EU auf Vertragsverletzungen prüfen (Staatsbeihilife, Ausschreibungsregeln).

Am Montag werden Oppositionsparteien vor dem Präsidentenpalast demonstrieren. In einer Petition soll Präsident Áder dazu aufgefordert werden, seiner Verantwortung gerecht zu werden und die Unterschrift über das Paks-Deal-Gesetz verweigern. Bereits am Sonntag besetzten Aktivisten der Partei E2014/PM, Teil des linken Wahlbündnisses "Zusammenschluss" den Palast (Foto). Die Polizei nahm das zum Anlass die Antiterroreinheit TÉK anzufordern, die das Gebiet zur Sicherheitszone erklärte und auf unbestimmte Zeit für Veranstaltungen zu sperren. Ein Vorgehen, das bereits einmal von einem Gericht für unzulässig erklärt wurde.

red

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