THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 32 - 2014 POLITIK 09.08.2014

 

Kampf um Budapest: Kann die Hauptstadt die Wende für Ungarn bringen?

Die drei maßgeblichen ungarischen Linksparteien: MSZP, DK, E2014, haben sich auf den parteilosen Mediziner Ferenc Falus als gemeinsamen Kandidaten für den Posten des Budapester Oberbürgermeisters geeinigt. Die Kommunalwahlen in ganz Ungarn finden am 12. Oktober statt und die Regierungspartei tut alles dafür, auch das ihnen suspekte Budapest irgendwie zu halten. Doch in der Hauptstadt könnte die demokratische Opposition ein gefährliches Zeichen setzen. Orbáns Furor wütet bereits. aktualisiert am 11.8.

Amtsinhaber Tarlós und Herausforderer Falus. Foto: MTI/Hír24

 

Ferenc Falus ist einer der führenden Mediziner des Landes, ein renommierter Amtsarzt und seit Jahrzehnten in leitenden Positionen beim Gesundheitsamt ÁNTSZ tätig. Beobachter sind sich einig, dass es sich um eine unerwartet weise Entscheidung der Linken handelt, sich auf eine parteiferne Persönlichkeit geeinigt zu haben, deren Fachkompetenz und Integrität unbestritten ist oder: "bei der es der CÖF (die Friedensmarsch-Sturmtruppen der Regierungspartei) schwer fallen wird, eine passende Plakatkampagne" á la "linke Mafia" etc. umzusetzen, wie ein Kommentator schrieb. Der CÖF wird natürlich dennoch etwas einfallen den Mann zu diffamieren, denn das ist ja deren bestens finanzierter Job.

Die ungarische Linke, so konzeptionslos sie landesweit erscheinen mag, hat in Budapest reale Chancen zumindest einen kommunalen Machtwechsel herbeizuführen und damit ein Achtungs- und politisches Lebenszeichen zu setzen. Der Fidesz-OB, István Tarlós, der als Kandidat seiner Partei für Oktober bereits feststand, hat in seinen vier Jahren Amtszeit so ziemlich alle maßgeblichen Multiplikatoren der Stadt, die - im Unterschied zum Rest des Landes - über einen hohen Anteil an gebildeten, weltoffenen und liberalen (!) Menschen verfügt, vor den Kopf gestoßen.

“Die Stadt gehört allen” - Ja gehts noch? Anti-Antiobdachlosen-Protest im Rathaus

Seine Law-and-Order-Auftritte gegen Obdachlose, die Attacken gegen die unabhängige Kulturszene, Kuscheleien mit Neonazis, eine ausufernde Günstlingswirtschaft (die noch über sozialliberale Zustände hinausgeht, z.B. bei der Verteilung des Tourismus-Kuchens, öffentlichen Aufträgen), teils chaotisches ad-hoc-Management der vielen "Baustellen", vor allem aber sein schlechtes Standing innerhalb seiner eigenen Partei (Orbán mag ihn nicht), machten ihn weitgehend unbeliebt und damit angreifbar. Für viele Budapester ist vor allem die  Zwangsverstaatlichung von Stadt- und Bezirksbesitz (Margareteninsel, Schiffbauinsel, Zitadelle, Stadtwäldchen zur “Kulturhauptstadt Hungária”), die Tarlós noch großspurig "im nationalen Interesse" rechtfertigte, zu viel des Schlechten.

Das brachiale, ungehobelte Auftreten, die peinlichen Reden des OB im Stadtrat, taten ihr übriges. Tarlós, so die verbreitete Meinung, ist nicht Budapests Bürgermeister, sondern nur eine Fidesz-Marionette. Er hat die Stadt kampflos an Orbán ausgeliefert.

Zu unübersichtlich, zu frei, zu un-national...

Entsprechend dieser Ausgangslage geht die Regierungspartei recht garstig auf die "rote" Hauptstadt los. Orbáns Amtsleiter, der quasi allmächtige János Lázár, drohte bereits offen mit der Streichung von EU-Verkehrsprojekten in Milliardenhöhe und knüpft deren Umsetzung indirekt an den Wahlausgang. Binnen zwei Jahren werden außerdem mehrere Ministerien aus der Hauptstadt abgezogen, während sich Orbán die Budaer Burg als Herrschaftszentrale unter den Nagel reißt. Auch das kommt bei den Budapestern nicht wirklich gut an.

Die Hauptstadt wird provinzialisiert, auf das kulturelle Maß der Herrschenden heruntervandalisiert. Budapest, das war und ist der Partei- und Staatsführung, die aus Urbanisationen namens Felcsút oder Hódemzövásárhely stammt, suspekt, weil es unbeherrschbar, anarchistisch, kurz: zu frei erscheint. Hier finden Demos statt - sogar gegen Orbán, hier paradieren Schwule und Radfahrer und es gibt sogar Vegetarier. Hier feiert man in Secessions-Ruinen wilde Partys, statt in pannonischem Barock andächtig der Nationalfolklore zu lauschen. Budapest ist den kleinen Geistern suspekt, ein paar Nummern zu groß, zu un-ungarisch...

Welthauptstadt Hungária, so sieht Orbáns Traum einer Hauptstadt aus. Hier anlässlich der Eröffnung des renovierten Várkert, künftig das Empfangsportal zum Regierungsburgviertel.

Budapest soll künftig auch wie ein großes Dorf regiert werden: Durch eine überfallartige gesetzliche Änderung wurden die Budapester ihrer repräsentativen Vertretung quasi beraubt. Anstelle eines Stadtparlamentes wird es ab Herbst nur noch einen Rat der 23 Bezirksbürgermeister geben, ergänzt um neun Listenkandidaten der stärksten Parteien sowie den Oberbürgermeister. Die Stimme jedes Bezirksbürgermeisters wiegt dann gleich, auch wenn das Verhältnis der Einwohnerzahlen teilweise um den Faktor 6 differiert. Fidesz will so auch bei Verlust der Mehrheit seinen Einfluss sichern, da man davon ausgeht, dass die wohlhabenden, aber dünner besiedelten Bezirke weiterhin rechts wählen werden. Das Verfassungsgericht bestätigte diesen Eingriff in die demokratischen Vertretungsrechte des Souveräns ohne größere Beanstandungen.


 

Die drei Mitte-Links-Parteien, denen für einen landesweiten Generalangriff auf Fidesz Kraft, Konzept und Personal weiterhin fehlen, einigten sich für Budapest auf ein koordiniertes Kandidieren in 16 der 23 Bezirke, wobei DK und E2014 je 5 Bezirksbürgermeisterkandidaten an der Spitze gemeinsamer Listen stellen werden, die MSZP 6. Die anderen 7 Bezirke hält man sich aus taktischen Gründen noch offen. Gelingt es, die Mehrheit der Bezirke zu holen, kann das der demokratischen Opposition im ganzen Land einen Auftrieb geben, den es seit der peinlichen Performance der Wahlallianz zur nationalen Wahl dringend braucht, vor allem, wenn man 2018 irgendetwas gegen Orbán ausrichten will (vorausgesetzt man sieht in diesen Gruppen überhaupt eine erstrebenswerte Alternative).

Die neue Budapester Bezirkschefin der MSZP, Ágnes Kunhalmi, nannte die Einigung in Budapest eine "sehr harte, aber weise und verantwortungsvolle Entscheidung", denn einige Platzhirsche wie der MSZP-Fraktionschef Csaba Horváth oder Pál Steiner mussten dafür auf ihre aussichtsreichen Kandidaturen verzichten, doch letztlich stimmten 90% der Delegierten der MSZP der Allianz zu.

Update, 11.8.: Doch bezeichnenderweise tauchten am Samstag bereits wieder Berichte über Störfeuer auf. Danach ist die Einigung zwischen den drei Gruppen längst noch nicht so sicher, wie von der MSZP-Bezirkschefin verkündet, vor allem, weil Mitglieder der Landespartei den Führungsanspruch innerhalb des Bündnisses nicht stark genug vertreten sehen. DK und E2014 sind darüber erbost, dass die MSZP die Kooperationsvereinbarung offenbar eigenmächtig in mehreren Punkten geändert hatte. Kunhalmi spielte das Problem herunter, es ginge nur um "Details in 2-3 Bezirken", über die man sich schon einigen werde. Einigkeit herrscht hingegen darüber, dass Spitzenkandidat Falus unter dem Label der E2014-PM-Partei auf den Wahlzetteln erscheint.

Keine große Liebe: Orbán (seine Steuerzahler) übernahm Budapests Schulden - und die Stadt gleich mit.

Bei den Parlamentswahlen im April eroberten linke Kandidaten fast die Hälfte der Budapester Wahlbezirke direkt (die o.g. Gesetzesänderung wird als Racheakt der Regierungspartei dafür aufgefasst), bei den Europawahlen schlossen jedoch DK und E2014 auf die miserabel abschneidende MSZP auf, die neonazistische Jobbik machte man landesweit zur zweitsäksten Kraft. Deswegen, aber auch wegen der traditionell stärkeren Präsenz "liberaler" und grüner Anhänger in der Hauptstadt, war eine Kooperation der MSZP mit anderen Gruppen geboten, der sich jedoch die sture LMP (Grüne) weiter entziehen, was gerade in der Hochburg Budapest sehr schmerzhaft ist.

Moderater Gegenentwurf? Ferenc Falus will es mit Tarlós und Fidesz aufnehmen. Motto: Budapest hat Besseres verdient...

Analysten hatten der Linken 2010 vorgerechnet, dass man Budapest lediglich wegen mangelnder Einigkeit an Fidesz und dessen Spitzenkandidat Tarlós verlor, es aber - im Unterschied zur Provinz - eine strategische Mehrheit links des Fidesz gibt, immerhin wurde Budapest seite der Wende bis 2010 mehr oder weniger "links" regiert. Sollte sich diese potentielle Mehrheit Ende 2014 aktivieren lassen und Budapest zur "roten Insel" im orangegefärbten Meer werden, wird die Hauptstadt die geballte Rache des politischen Soziopathen “Urbi et Orbán” ereilen, der gegen Wahlniederlagen seit 2002 schlimme allergische Reaktionen zeigt, die sich erst bei der totalen Vernichtung des Kontrahenten legen. Aber auch darin liegt eine Chance...

red. / cs.sz. / m.s.

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