THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 40 - 2014 GESELLSCHAFT 30.09.2014

 

Heuchelei im Amt: Orbán lässt Konferenz der “Identitären” in Ungarn verbieten

Auf Orbáns persönliche und öffentlich verbreitete Anweisung hin, hat der ungarische Innenminister Sándor Pintér eine für den 3. bis 5. Oktober in Budapest geplante Konferenz von Rechtsextremisten de facto verboten. Gleichzeitig wies er die Grenzbehörden an, die bekannten Teilnehmer an der Einreise nach Ungarn zu hindern. So viel Elan legen die Behörden bei inländischen Extremisten sonst nie an den Tag. Warum jetzt bei ein paar professoralen Wichtigtuern?

Angst um die “weiße Rasse”: Identitäre Konformität,
so eine Art Hippster-Faschos vor dem Brandenburger Tor in Berlin

Innenminister Pintér kennzeichnete die geplante Tagung des National Policy Institute als "extremistisch und rassistisch", allerdings wurden weder von ihm, noch bisher von anderen Behörden entsprechende Verstöße gegen geltendes Recht angezeigt, belegt oder auch nur konkret erwähnt. Bleibt es dabei, handelt es sich nicht um die Abwehr eines strafrechtlich relevanten Events, sondern um einen Willkürakt gegen die Versammlungs- und Meinungsfreiheit. Das ist besonders bemerkenswert, da offene Rechtsbrüche durch die "Garden" der Jobbik und rechtsextreme Aktivisten in Ungarn reihenweise ungeahndet bleiben. Mehr in: Sabotage am Rechtsstaat.

Pintér sorgte dafür, dass der Verantsaltungsort dem Mietvertrag kündigte und erließ enstprechende Einreiseverobtsdekrete. Unter dem Vorwand "extremistisch und rassistisch" müssten in Ungarn praktisch jede Jobbik-Veranstaltung, ja sogar die Tagungen der "Akademie der Künste" verboten werden... Polizeichef Károly Papp machte sich das Pintérsche Dekret zu eigen, er werde "garantieren, dass Redner, die beständig rassistische Ansichten verbreiten" nicht "nach Ungarn kommen oder hier bleiben dürfen."

 

Bei der Veranstaltung vom 3. bis 5. Oktober geht es um ein geplantes Event des in den USA ansässigen National Policy Institute mit dem Titel "Die Zukunft Europas, Perspektiven zur Geopolitik, Identität und Nation". Die Organisation ist Teil und maßgeblicher Förderer der sog. "identitären Bewegung", einer völkisch, national-sozialistisch ausgerichteten Ideologie, die zwar "Respekt vor jeder Nation" behauptet und sich als besorgte Bürgerbewegung hinter "Globalisierungskritik" etc. verkappt, notfalls aber alle Mittel einsetzen will, einschließlich Krieg und Abschaffung von Freiheiten und Menschenrechten, um ihr Ideal vom rassisch-reinen Volk zu erreichen. Die Bewegung ist ein Sud aus "neuer Rechten", extremen Burschenschaftern, verstörten "Intellektuellen" und organisationslos vagabundierenden Neonazis, die sich nicht mehr so genannt hören mögen. Ihr Geschäft ist das Verbreiten einfacher Antworten einer simplifizierten Parallelwelt gegen die reale, aber eben sehr komplexe Welt, ihre Währung ist die Angst, der Lohn: eine gläubige Gefolgschaft.

Als Redner auf der Budapester Konferenz, die - trotz des Verbots - stattfinden soll, sollen u.a. auftreten: Alexander Dugin (auf dem Foto mit verklärten Anhängern auf seiner Sektenkolchose), eine Art eurasischer Nationalist (Selbstbezeichnung: Nationalbolschewist), der als Chefideologe des neuen antiwestlichen Populismus in Russland gilt und als eine Art Rasputin 2.0 nicht unwesentlichen Einfluss auf Kreml und Putin haben soll. Der Deutsche, Manuel Ochsenreiter, ein Vertreter jener "neuen Rechten", die sich gern als "Konservative" verkaufen und gegen linken "Meinungsterror" und "Faschismuskeule" in ihren sich seriös gebenden Blättchen jammern, im Grunde aber meist verhaltensauffällige Selbstdarsteller mit ungestillten Sehnsüchten nach starken Männern sind. Natürlich darf in einer solchen Runde auch ein Österreicher nicht fehlen. Markus Willinger schrieb ein Buch, "Die identitäre Generation", in dem das ganze verkappte Nazigedankengut einen wohlfeilen und schlüssig klingenden Rahmen erhält und in der Szene als "poetisches" Manifest der Bewegung gehandelt wird. Weiter soll Tomislav Sunić, Autor des Bandes "Homo americanus" und ein alter Kamerad von Parade-Nazi Horst Mahler aufmarschieren, den ein Bewunderer als "Marx der Antisemiten" (v)erklärt. John Morgan ist ein Hungaroamerikaner, der obige Bücher verlegt und auch ein glühender Anhänger der weißen Herrenrassen-Ideologie ist, genauso wie der Publizist Jared Taylor. Philippe Vardon ist ein "identiärer" Aktivist aus Südfrankreich, der bei einer Bürgermeisterwahl in Nizza antrat (3%).

In Stockholm konnte eine gleich gelagerte Konferenz 2013 stattfinden, Schweden und der multikulturelle Westen sind daran nicht zerbrochen. Die "Identitären" marschierten neulich ungestört durch Wien. Dass ausgerechnet Budapest jetzt die Verbotskeule schwingt, ist angesichts des regierungsamtlichen Geschichtsrevisionismus`, der partiellen Holocaustleugnung, dem Kalkül der Regierungspartei mit der neonazistischen Jobbik (
mehr dazu hier) und der ständisch-völkischen Politik nach innnen und außen ein klassischer Fall von Überkompensation und / oder PR-Trick mit entsprechender Wirkung vor allem auf die Regierungskritiker im Ausland (im Inland ist das eigentlich kein Thema). Es ist ein auch ein Beleg, dass Orbán das Prinzip des Rechtsstaates entweder nicht versteht oder - wahrscheinlicher - leugnet. Es ist reine Heuchelei.

 

Ein Land, das sich einen Direktor eines staatlichen Geschichtsinstitutes (das auf den schönen Orwellschen Namen VERITAS hört) hält, der die Deportationen von Juden als "fremdenpolizeiliche Maßnahme" erklärt, sollte sich wegen einiger ausländischer Wichtigmacher vielleicht nicht so künstlich aufpudeln. Zumal sich der Außenministervize Gergely Pröhle gerade selbst in Moskau auf einer ganz ähnlichen Tagung Rechtsextremer herumtrieb, um sich in dein einschlägigen Kreisen anzubiedern. Mehr dazu auf Pusztaranger.

Sollten die Teilnehmer der "Konferenz" in ihren Reden gegen Gesetze verstoßen (Aufruf zu Straftaten, Verhetzung, Holocaustleugnung etc.), sich unter ihnen Straftäter befinden oder verbotene Organisationen am Werk sein, sind diese juristisch zu verfolgen. Es ist aber eine beängstingende Entwicklung, wenn mitten in der EU der Polizei- und Justizapparat auf Zuruf eines Regierungschefs - also ganz im Stile Putins - aktiv wird, weil dem gerade die ideologische Ausrichtung einer Versammlung nicht in den Kram passt - oder genauer gesagt: weil sie das Regierungsmonopol an völkischer Ideologie untergräbt...

Es gilt - auch wenn es hier schmerzt - das Gebot der Freiheit, zu dem übrigens auch das Recht auf Protest und Gegenveranstaltungen gehört. Grundrechte also, über die kein Premier eines demokratischen Landes zu verfügen hat. Natürlich kann man darüber streiten, ob Kräfte, die letztlich nichts anderes im Schilde führen, als eben diese hohen Güter der Freiheit zu beschränken und die sogar das Existenzrecht ganzer Bevölkerungsgruppen in Frage stellen, überhaupt auf legalem Boden agieren können. Doch die Antwort darauf hat eine unabhängige Justiz und deren Exekutive sowie die Gesellschaft insgesamt zu geben, nicht Herr Orbán aus seinem “Kreml”...

red. / ms.

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