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(c) Pester Lloyd / 48 - 2014   POLITIK   26.11.2014

 

EU plant Straf-Flatrate gegen Ungarn, mehrere Föderprogramme suspendiert

Drei EU-Fördersäulen suspendiert, Abermillionen aus Straßenbauprojekten werden regresspflichtig, der Rest liegt auf Eis. Hohe Geldbußen drohen und Ermittlungen von OLAF wurden unter den Tisch gekehrt. Das Chaos mit den EU-Geldern in Ungarn ist für Brüssel so unübersichtlich geworden, dass die Kommission über eine Buß-Flatrate nachdenkt. Budapest beharrt auf "unserer Wahrheit" und findet alles "unfair". Die Zivilgesellschaft wehrt sich mit einer neuen Anti-Korruptions-Plattform.

Die EU kann Mittel suspendieren, sperren, Strafen verhängen. Doch das Problem liegt in der persönlichen zur Rechenschaftziehung der Verwantwortlichen. Spielt die nationale Justiz nicht mit, wird am Ende nur der Steuerzahler bestraft, nicht aber der Betrüger, ob Geschäftsmann, Beamter oder Politiker selbst.

Das auf EU-Fragen spezialisierte ungarische Insider-Portal Bruxinfo.hu berichtete Anfang der Woche davon, dass EU-Zahlungen für ungarische Straßenbauprojekte ausgesetzt sind und gleichzeitig ein Regressverfahren über rund 25% der in der Budegetperiode 2007-2014 (die abrechnungstechnisch aber bis Ende 2015 läuft) für Straßenbauprojekte an Ungarn überwiesenen Mittel angestrengt wird. Das ergibt sich aus einer entsprechenden Mitteilung der EU-Kommission, deren Richtigkeit das Amt des Ministerpräsidenten zumindest indirekt einräumte. Die Regierung hatte also die Öffentlichkeit belogen als sie sie wieder und wieder behautete, strittige Fragen mit Brüssel seien geklärt.

Die Kommission geht mit dem Verfahren gegen eine Gesetzesmasche, den sogenannten "Asphaltfall" vor, die zwar von der Vorgängerregierung einfgeführt, aber von der Orbánregierung übernommen und noch repressiver eingesetzt wurde, um unliebsame Konkurrenten aus dem Bieterrennen zu nehmen. Dabei durften nur solche Unternehmen an Ausschreibungen teilnehmen, die im Umkreis von 50 Kilometer um die Baustelle oder im gleichen Komitat den Besitz eines Asphaltwerkes nachweisen konnten. Laut dieser Regierung eine Maßnahme zur "Qualitätssicherung", laut EU ein schwerer Verstoß gegen die Regeln des freien Wettbewerbs.

Man wollte die "Temperaturen des Asphalts" hoch halten...

Sollten das Regressverfahren erfolgreich sein, behält Brüssel rund 90 Milliarden Forint ein (25% der bei den Prüfungen beanstandeten Gelder, das sind 360 Mrd. von 600 Mrd. HUF), also knapp 300 Mio. EUR. Außerdem würde Ungarn wegen der Regelverstöße auch mit einer Geldbuße belegt, die ebenfalls im dreistelligen Millionenbereich angesiedelt sein kann. Derzeit befindet sich das Verfahren in Phase 2, Ungarn hat jetzt 60 Tage Zeit begründete Gegenargumente zu liefern oder sich den Dingen zu fügen. Danach erfolgt eine weitere Aufforderung der Kommission, folgt Ungarn dieser nicht, geht es vor Gericht.

Die Regierung, namentlich Lázárs Kanzleramt, das sich bekanntlich für die EU-Milliarden verantwortlich gemacht hat und Vizestaatssekretär Nándor Csepreghy spielen die Sache runter und hoch wie schon zuvor und wie es ihnen passt. "Ungarn ist überzeugt von seiner Warhheit und findet es unfair und rechtlich fraglich, dass die Kommission im letzten Jahr des Budgetzyklus´ eine Regel anfechtet, die seit 2007 in Kraft ist und Teil von verschiedenen Projekten war, die von Brüssel längst überprüft, aber nicht beanstandet worden waren." Lázár hat aber noch einen für die EU-Bürokraten: "Nicht zu vergessen zu erwähnen, dass diese Regelung auch der Erfüllung einer Kommissionauflage, nämlich jender über die "Temperaturen des Asphalts bei der Verbauung" dient."

EVP-Netzwerk löchrig geworden?

 

Bis jetzt regelte Lázár Unstimmigkeiten mit der Kommission über die Kameradennetzwerke der EVP in Brüssel. Der ehemalige österreichische Regionalkommissar Hahn hatte für die Budapester Scheinlösungen immer ein offenes Ohr und sie in seiner ganzen Treuherzigkeit für echte Problemlösungen abgekauft. Hier mehr in: Körner für den Geld-Hahn. Auch die Schonfrist zwischen den EU-Wahlen im Mai und der Findung der neuen Kommission ist nun endgültig vorbei, auch Juncker steht es im Angesicht des luxemburgischen Steuerskandals, der ja auch sein eigener ist, gut zu Gesicht, kein Pardon mehr mit Geldhinterziehern zu zeigen.

Außerdem wurde jetzt bekannt, dass drei Programmsäulen von Brüssel derzeit gänzlich eingefroren sind. Auch dazu log die Regierung die Öffentlichkeit an und verschwieg diesen Umstand einfach. Betroffen sind das EDOP (Economic Development Operational Programme) Priorities 1, 2 und 3 (betrifft "Forschung und Entwicklung", "Innovation zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit", "Entwicklung von KMU", Stärkung von Wirtschaftsstandorten), weiterhin die Programme der EEOP (Environment and Energy Operational Programme) Priority 4 "erhöhte Nutzung erneuerbarer Energien" sowie alle ROP 2 (Regional Operational Programme), darin die unter Priorität markierten Programmpunkte, hauptsächlich im Tourismus.

Pauschalstrafe: Die Brüsseler Rechnungsprüfer gaben entnervt auf

Konkret geht es dabei um so komplexe Vorwürfe wie: Manipulation von Ausschreibungen zu Gunsten einiger Unternehmen, überhöhte Preisgestaltung (also Betrug), nicht föderungswürdige Projekte (lies: Scheinprojekte). Dabei habe Brüssel längst entnervt aufgegeben, jeden Fall einzeln zu prüfen und zu gewichten und Ungarn wird aufgrund der Tiefe und Vielzahl der Fälle damit leben müssen, 25% der Gelder pauschal gestrichen zu bekommen. Orbáns Flat-tax macht Schule, nur nicht als Steuer- sondern als Bußgeldmodell gegen den Erfinder selbst.

Bei obigen drei Programmen rechnet sich der Abzug auf mindestens 20 Mrd. Forint hoch, also ca. 65 Mio. EUR. Rechnet man zu den EU-Mittelkürzungen und Strafen noch die mittelbaren Effekte wegen ausfallender Projekte sowie die ausbleibende Kofinanzierung (Eigenanteil von durchschnittlich 15%) dazu, summiert sich der Schaden über die gesamte Budgetperiode in einen astronomischen Bereich. In Summe trägt die EU im kommenden Jahr rund 7,5% zur Wirtschaftsleistung Ungarns durch direkte Zahlungen bei, hält also Ungarn von einer massiven Rezession ab, entsprechend wuchtig schlagen die Sanktionen ein.

Die meisten EU-Föderprojekte wurden in Ungarn unter dem “Neuen Széchenyi Plan” zusammengefasst, die Projetkschilder sind allgegenwärtig und so Mancher lässt sich bei der Durchreise von entstehenden blühenden Landschaften blenden. Denn hinter der Fassade verfolgte man ganz andere Pläne...

Olaf macht sich zum Olaf

Ein weiteres Kapitel ist der Umgang mit den Daten des Antibetrugsdezernats der EU, OLAF, das vornehmlich Fälle mit der Involvierung von EU-Geldern verfolgt. Auf eine parlamentarische Nachfrage, behauptete die Regierung, dass man seit Amtsantritt 2010 lediglich 15 Einzelfälle von OLAF übermittelt bekam. Daraus seien eine Verurteilung sowie einige weitere Verfahren entstanden. Die Opposition bezeichnet dieses Statement als Lüge, OLAF selbst hätte angegeben "über 30 Fälle" allein im letzten Jahr an die Budapester Justiz geliefert zu haben. Allerdings kann die Anti-Betrugsbehörde selbst nicht juritisch aktiv werden, sondern ist - komfortablerweise für Budapest - auf die Kooperation der Justiz in den Mitlgliedsländern angewiesen. Nur bei länderübergreifender Kriminalität kann der neu installierte EU-"Staatsanwalt" auch selbst aktiv werden.

Liga der Unbestechlichen

 

Derweil hat sich aus der heimischen Anti-Korruptions-Protestbewegung eine Vereinigung gegründet, die sich als Sammelstellte und Drehscheibe für alle potentiellen Informanten von Korruptions- und Missbrauchsfällen etablieren will. Dieser neuen "Antikorruptionsvereinigung" gehören u.a. der Ex-Finanzamtsinspektor Horváth, sozusagen der Star der Aufdecker-Szene an, der Ex-LMP Europaparlamentarier Vágó, ein ehemaliger Fidesz-Lokalfunktionär, der es wagte, die Vergabe der Tabaklizenzen zu kritisieren, ein Ex-Polizist sowie einer der Gründer des Transparenzportals atlatszo.hu. Kronzeugen will man schützen, Sachverhalte so aufbereiten, dass sie zur Anklage gebracht werden können, der Justiz will man beim Fortgang von Ermittlungen auf die Finger schauen und die Öffentlichkeit aufklären, und mobilisieren. Am vorvorigen Montag hatten Zehntausende in Budapest und 40 weiteren Städten gegen Korruption und Amtsmissbrauch demonstriert.

red. / cs.sz.

Weiterführende Links zur Systematik des Betrugs mit EU-Geldern in Ungarn am Ende dieses ebenfalls aktuellen Beitrages.

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