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(c) Pester Lloyd / 48 - 2014   POLITIK   25.11.2014

 

Real exsitierende Kleptokratie: Ungarn legalisiert Korruption und Amtsmissbrauch

Entscheidungsträgern in der Politik wird es künftig erlaubt sein, öffentliche Gelder an solche Organisationen oder Personen zu vergeben, mit denen sie wirtschaftlich bzw. politisch verbunden oder verwandt sind. Das ist kein Scherz und diese Abschaffung des Interessenskonfliktes als juristische Größe nur die konsequente, längst überfällige Anpassung an den Alltag. Parteispenden- oder Korruptionsskandale wird es in Ungarn also nicht mehr geben, denn sie sind bald legal.

“Staatlich gelenkte Korruption” steht auf dem Plakat. Der Demonstrant vom vergangenen Montag konnte ja nicht, ahnen, dass die Regierung seine “Forderung” so schnell umsetzt...

Unsere Leser sind es schon gewohnt: Seit über vier Jahren gibt es fast täglich aus Ungarn ein neues Aha-Erlebnis zu berichten. Ein nicht verfolgter Korruptionsskandal hier, eine Machtanmaßung oder Selbstbereicherung dort, eine weitere Einschränkung von Grundfreiheiten oder eine neue Amputation am Rechtsstaat. Doch manchmal bleibt sogar uns noch der Atem weg: Das unabhängige Transparenzportal www.atlatszo.hu hat in einem der hunderten Änderungsanträge und Anhänge zum ebenfalls hunderte Seiten starken Haushaltsgesetz für 2015 eine kleine Randnotiz aufgedeckt, die es Entscheidungsträgern in der Politik zukünftig erlauben soll, öffentliche Gelder auch an Organisationen oder Personen zu vergeben, die mit ihnen verwandt oder wirtschaftlich oder politisch verbunden sind. Der Autor des betreffenden Beitrages schildert sehr schön, wie ihm, der auch schon vieles gesehen hat, buchstäblich der Kaffee wieder hochkam. Zum ungarischen Originalbeitrag.

Um diese Legalisierung des gemeinhin Illegalen formal-legal zu ermöglichen, wird aus dem Gesetz über die Geldvergabe an steuer(mit)finanzierte Organisationen aus dem Jahre 2007 der komplette Paragraph 6 gestrichen, der das Problem der Interessenskonflikte behandelt. Darin hieß es u.a., dass Personen und Organisationen von jedem Vergabeprozess ausgeschlossen sind, die in den vergangenen fünf Jahren Kooperationsvereinbarungen mit irgendeiner der politischen Parteien hatten und alle - und das ist der eigentlich interessante Personenkreis - die in den vergangenen fünf Jahren vor der betreffenden Ausschreibungen als Kandidaten für eine politische Partei bei einer nationalen, kommunalen oder Europa-Wahl angetreten sind, nicht für eine öffentliche Bezuschussung in Frage kommen oder an einer Ausschreibung daran teilnehmen dürfen.

Weiterhin wird der instiutionelle oder persönliche "Interessenskonflikt" bei der Vergabe gegenüber politischen Organisationen oder Personen per se aufgehoben. Das heißt, drastisch auf ein Beispiel verknappt: Wenn die Frau eines Politikers einen Verein für politische Bildung gründet und sie für eine Studie dafür von ihrem Mann ein paar Millionen zugeschoben bekommt, geht das völlig in Ordnung.

 

Wirtschaftsminister Varga versuchte zu erklären, dass die Maßnahme doch lediglich dazu diene, "gleiche Bedingungen für alle Empfänger (öffentlicher Mittel)" herzustellen. Dazu gehört übrigens auch, dass hinfort bei der Finanzierung von NGO´s durch öffentliche Mittel nur noch die Gewinner von Ausschreibungen öffentlich gemacht werden müssen, die Unterlagen der Verlierer sind hingegen zu vernichten. Auf diese Weise kann dann keiner blöde Fragen stellen oder gar gerichtlich gegen die Vergabeverfahren vorgehen. Parteispendenskandale wie sie das putzige Deutschland erschütterten oder Korruptionsprozesse wie in spanischen Küstenstädten wird Ungarn so nicht mehr haben.

Im Lichte dieser neuen Offenheit bekommt die Jagd, die diese Regierung, federführend auch hier Kanzleramtschef Lázár, auf die durch die Norway Grants finanzierten NGO´s angeblasen hat, weil die mit Geldern aus dem Ausland (Norwegen) "fremde Interessen" vertreten, eine besonders absurde Note. Denn
gerade diesen hatte man ja vorgeworfen, sie wären bei der Vergabe intransparent und interessensgeseteuert vorgegangen, dabei war das noch nicht einmal ungarisches Geld.

Künftig wird die Regierungspartei samt ihrer "N"GO´s also auch mit Geldern aus dem Ausland gespickt, nämlich aus allen EU-Nettozahlerländern, aufgestockt um den Eigenanteil aus ungarischen Steuergeldern. Im Grunde hat Varga also durch seine obige Gesetzesänderung nur das praktizierte Vorgehen in der "freien" Wirtschaft auf die Finanzierung von Organisationen ausgeweitet. Denn der Chef der Behörde, die über die staatlichen Mittelvergaben an Zivilorganisationen befindet, ist praktischerweise schon heute auch der Chef der größten Fidesz-Vorfeldorganisation, dem
CÖF. Wie und an wen der die Gelder bisher vergab, kann man sich denken. War das ein Interessenskonflikt? Ja. Bis gestern.

 cs.sz. / a.l.

Und wie sieht es mit EU-Ausschreibungen an Unternehmen aus?

 

Die Öffnung der Schleusen für die Hin- und Herfinanzierung von regierungstreuen Strukturen und Politikern ist nur der letzte Aspekt eines gigantischen Raubzuges mit öffentlichen Mitteln. Von den Landvergaben, Tabaklizenzen gar nicht zu reden, allein die Verschiebung von öffentlichen Geldern in die "richtigen" Hände bei EU-finanzierten Aufträgen ist seit Jahren gelebte Praxis: von Aufträgen an einschlägige Oligarchen-Konsortien (Stichwort: Közgép), an Off-Shore-Konstrukte (z.B. für den Breitbandausbau) oder die immer dreister werdende "Absorbtion" von EU-Geldern an die verschiedensten Scheinkonstrukte, die Ungarn binnen vier Jahren von einem informellen Selbstbedienungsladen unter den links-liberalen Vorgängern zu einer real existierenden Kleptokratie transformierten. Finanziert und "beaufsichtigt" von der EU. Dabei handelt es sich nicht um Peanuts, sondern potentiell um allein 2015 um 7,5% des BIP, rund 8 Mrd. EUR, die nach Ungarn aus der EU fließen und mehr als Dreiviertel aller öffentlichen Investitionen abdecken.

Die Übernahme der
Gesamtaufsicht über alle EU-Gelder durch Orbáns Kanzleramtsminister János Lázár und den neuen Entwicklungsminister Miklós Seszták (vorher ein sehr beflissener Firmengründer-Anwalt) im Vorjahr, bei gleichzeitiger Entmachtung der eigentlich zuständigen Strukturen in jenem Entwicklungsministeriums mitsamt seiner - immerhin den formalen Kriterien entsprechenden - Monitoring-Einrichtungen, wies bereits den Weg, die EU gab sich nur kurz irritiert, die Kameraden in Brüssel richteten die Sache bald.

red.

P.S.: Am 9. Dezember findet auf dem A38-Party-Schiff am Pester Donauufer eine "Lobby-Party" von Transparency International anlässlich des Antikorruptionstages statt. Auch die "Norway Grants" nehmen teil. Die Regierung nicht. Veranstalterseite.

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