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(c) Pester Lloyd / 48 - 2014   GESELLSCHAFT   28.11.2014

 

"Slutwalk" gegen sexuelle Gewalt und Machoklichées: Frauen in Ungarn begehren gegen sexistisches Polizeivideo auf

Die Meldung über das unsägliche "Aufklärungsvideo" der Polizei im südungarischen Komitat Baranya, das jungen Frauen nahelegt, sich beim Ausgehen zurückhaltend zu kleiden und zu benehmen, wenn sie nicht Opfer sexueller Gewalt werden wollen, machte bereits auch die Runden durch die internationalen Medien bis auf die Insel (Guardian) und über den Großen Teich zu CNN.

Selbst Schuld oder was? Das Finale des
Polizei-Videos (eingebetteter Clip siehe unten)

Auch in Ungarn regt sich nun Widerstand gegen den sexistischen Clip, einem Paradebeispiel von Täter-Opfer-Umkehr, bei der am Ende einer Disconacht lebensfroher junger Frauen das angeblich Unvermeidliche geschah: wir sehen eine offenbar missbrauchte Frau untertitelt mit: Du kannst was dagegen tun... Mach was! Das Filmchen flimmerte tagelang wie selbstverständlich durch die Kinos. Durch den Protest wurde er nun auch zum Internet-Hit.

 

Unter dem Motto: "Nicht die Kleidung macht das Opfer!" und "Ein Nein, ist ein Nein!" formieren sich Aktivisten der Frauen- und Bürgerrechtsbewegung zu einem "Slutwalk", einer Demo in betont "schlampiger" Kleidung, mit der man gegen sexuelle Gewalt an Frauen als niedrigstem Ausdruck des allgegenwärtigen Alltagsmachismo protestiert, aber eben auch gegen unaufgeklärte Behörden und Klischées. Die Protestform ist auch den USA aktuell, wo sie derzeit an Universitäten gegen chauvinistische und kriminelle Machenschaften von Studentenverbindungen angewendet wird.

Die Initiativen in Budapest rufen für Sonntag, 30. November dazu um 15.30 Uhr auf den Déak tér. Hier gehts zur
Veranstalterseite.

Dass nur 8% der Abgeordneten des ungarischen Parlamentes Frauen sind und in der Regierungsmannschaft selbst bis in die Unterstaatssekretariate fast keine Frauen zu finden sind, ist nur äußerer Ausdruck einer gelebten "Kultur". Dass ein Ex-Fidesz-Abgeordneter, der seine Frau krankenhausreif prügelte sich - nach Monaten zäher Ermittlungen kommt er wahrscheinlich doch noch vor Gericht - kürzlich zum Bürgermeister gewählt werden konnte, ein gesellschaftliches Schandzeugnis.

Als es vor zwei Jahren eine Debatte über die explizite Verankerung häuslicher Gewalt im Strafrecht gab, empfahl ein anderer Abgeordneter der Regierungspartei den Frauen, doch mehr Kinder zu bekommen und sich gut um den Haushalt zu kümmern, das würde ihre Reputation erhöhen und damit das Problem häuslicher Gewalt von allein erledigen. Fidesz rang sich dann doch zur Gesetzesnovelle durch,
"wenn die Damen es so wünschen", richtete der damalige Fraktionschef und heutige "Kanzler" Lázár aus. Sexistische Zwischenrufe gegen weibliche Abgeordnete sind fast auf der Tagesordnung, von medialen Subtexten ganz abgesehen.

 

Das sind Spitzen eines großen, gewaltsamen Eisberges. Machogehabe, Überkompensation testosterongesteuerter Ängste und Geltungssucht, mangelndes echtes Selbst-Bewußtsein aufgrund einer überkommenen Wertewelt bei Männern, Passivität der Frauen und überkommene Traditionen, die bis hin ins Namensrecht reichen, bei dem die Frau praktisch ihre Individualität dem Manne opfert, sind Hintergründe, die den Weg zu einer relativen Gleichberechtigung der Frauen in Ungarn noch weit sein lassen. Der von der Regierung vorgelebte mangelnde Respekt gegenüber allem, was von der Norm und vom gewünschten Ideal (siehe Nationalismus, Homophobie, Rassismus, verbaler Ausschluss der Opposition aus der "Nation") abweicht oder sich nicht durch schiere Stärke selbst behaupten kann, schafft letztlich ein Klima, in dem Gewalt an Frauen - vor allem im privaten Umfeld - noch immer als Kavalisersdelikt, zumindest nicht als öffentliches Thema behandelt wird.

Für die Aktivisten, die zum "Slutwalk" am Sonntag aufrufen, hat der Polizei-Clip die Qualität eines Pornos, der eher noch eine Anstiftung zur, denn eine Aufklärung über sexuelle Gewalt darstellt. Er ist Anlass, um auf die mittelalterlich anmutenden Mißstände insgesamt hinzuweisen.

Hintergrund:

Tanzen für die “weibliche Revolution”: Frauen in Ungarn wollen nicht mehr warten "bis Blut fließt". Kongress - ohne Regierungsbeteiligung (2013)

red.

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