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(c) Pester Lloyd / 03 - 2015   NACHRICHTEN   15.01.2015

 

Ungarns "Einwanderungsproblem": 42.000 Asylanträge, doch nur 500 wollten bleiben

Der Anstieg der registrierten, nicht legalen Grenzübertritte, die zu Asylanträgen führten, ist 2014 in Ungarn ein weiteres Mal exorbitant angestiegen und brachte die Behörden an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Die Zahlen widerlegen jedoch, dass Ungarn das von der Regierung kolportierte "Einwanderungsproblem" hat, denn nicht einmal 1% der Flüchtlinge bleiben auch in Ungarn. Sie seien dennoch die Wurzel von Terrorgefahr, meint die Regierung.

Die ungarische Einwanderungsbehörde hat am Mittwoch ihre Zahlen für 2014 vorgelegt. Während 2012 noch 2.157 Asylanträge gestellt wurden, waren es 2013 bereits 18.900 und 2014 sogar 42.777, allein im vergangenen Dezember 13.000, was "selbst uns überrascht hat", meinte die Chefin der Einwanderungsbehörde, Zsuzsanna Végh, vor Journalisten.

Herkunftsländer “illegaler” Flüchtlinge, die über Ungarn nach Europa kamen, Daten von 2013. Grafik: www.vs.h, Daten: Einwanderungsbehörde.

Als Gründe für den erhöhten "Zuwanderungsdruck" gab sie "die sich verschlechternde Sicherheitssituation und ökonomische Härten" an. 2014 war Ungarn, in Relation zur Bevölkerungszahl, das Land mit der fünfthöchsten Flüchtlingszahl in der EU, nach Deutschland, Schweden, Italien und Frankreich, im November 2014 mit 2,9 Asylanträgen pro 1000 Einwohner sogar auf Platz 2 hinter Schweden (7.78).

Insgesamt kamen Menschen aus 79 Staaten, rund die Hälfte davon stammten aus dem Kosovo, 20% aus Afghanistan, 16% aus Syrien, rund 10% aus Ex-Sowjetstaaten einschließlich der Ukraine.

Ungarn sei ein klassisches Transitland geworden, es sei der Eintritt in die EU für Flucht- und Schleuserrouten über die Türkei und Serbien, aber auch über Rumänien und die Ukraine. Mehr als die Hälfte der Antragsteller hätten das Land jedoch bereits wieder verlassen, noch bevor der Erstantrag fertig bearbeitet wurde, 10% der Anträge wurden im Vorjahr unmittelbar zurückgewiesen (z.B. weil bereits Aufenthaltsverbote oder Anträge in anderen Ländern vorlagen), gerade einmal 503 Menschen erhielten "irgendeine Form von Aufenthaltsrecht", meist aus "humanitären Gründen". Doch selbst von diesen bleiben nicht alle in Ungarn. Für die "soziale Integration" (Unterkunft, Verpflegung, Kleidung, Bildung für Kinder, Schulungen) wurden 625.000 EUR aufgewendet, also ca. 1250 EUR pro geduldetem Zuwanderer.

Wie viele Abschiebungen nach Dublin II oder direkte Abschiebungen in die Nachbarländer stattgefunden habe, teilte man nicht mit. Mehrere EU-Staaten lehnen es - nach Gerichtsentscheiden - bereits ab, Ungarn als "sicheren Drittstaat" anzuerkennen, was dem Land offenbar ganz recht zu sein scheint, erspart man sich so nämlich die Rücknahme, Versorgung und Bearbeitung von abertausenden Antragstellern, die gen Westen weiterreisen. Sowohl die UNO als auch das Oberste Gericht des Landes hatten die Behandlung von Flüchtlingen in Ungarn als menschenrechtswidrig charakterisiert, mehr dazu hier.

 

Fidesz-Fraktionschef Rogán nutzte die auf den Tag des Antiterror-Gipfels vorverlegte Pressekonferenz, um einmal mehr zu behaupten, dass "eine der Wurzeln des Terrorismus in der Einwanderung" zu finden seien. Worte, die auf Orbáns offene Hetze der letzten Tage zurückgingen. Allerdings unterließ er jede Auskunft darüber, wie viele der in Ungarn lebenden Zuwanderer wann und in welchem Umfang terroristisch tätig geworden wären, den Medien war jedenfalls aus den letzten Dekaden kein einziger Fall bekannt geworden. Dennoch sei es Fakt, dass "die EU unfähig ist, seine Mitgliedsstaaten zu schützen", daher muss "der Staat sich selbst schützen."

2014 wurden weitere rund 1.200 Menschen mit Daueraufenthaltsgenehmigungen ausgestattet. Diese erwarben sich das "Recht" dazu über den Erwerb von Staatsanleihen im Wert von je mehreren Hunderttausend Euro sowie eine über ein off-shore-Konstrukt zu leistende "nicht erstattungsfähige Einmalgebühr" von 42.000 EUR.

Seit 2010 wurden rund 600.000 Menschen, hauptsächlich aus Rumänien, Serbien, Slowakei, Ukraine durch ein Sondergesetz eingebürgert, das ethnischen Ungarn eine "vereinfachte Staatsbürgerschaft" zuspricht. Die allermeisten davon blieben jedoch in ihren Geburtsländern, taugten der Regierungspartei aber als dankbare Wählerreserve, von den ca. 100.000 "Neuungarn", die bei der Parlamentswahl im April 2014 per Briefwahl mitstimmten, gingen 98% der Stimmen an Orbáns Fidesz. Vor allem aus der Ukraine und Serbien wurde von systematischem und mafiaähnlich organisierten Missbrauch mit den Anträgen auf Staatsbürgerschaft berichtet, tausende sollen so zu einem ungarischen (also EU-) Pass gekommen sein, ohne die Kriterien zu erfüllen. Dabei sollen auch einschlägige ungarische Anwaltsbüros mitkassiert haben.

 

Die rückläufige Bevölkerungsentwicklung Ungarns hat sich unter der Orbán-Regierung beschleunigt, die Geburtenrate ist auf dem niedrigsten Stand seit der modernen Erfassung, Hunderttausende verließen das Land als "Wirtschaftsflüchtlinge" gen Westen. Orbán mahnte, dass "eine Nation, das seine Fähigkeit zur biologischen Reproduktion verliert, dem Untergang geweiht" sei, einen Ausgleich - selbst durch gesteuerte Einwanderung - lehnt er ab. Die viel gepriesenen und teilweise absruden Maßnahmen zur "Familienförderung" (Steuermodelle bis hin zur Finanzierung von Tanzveranstaltungen, damit sich "ungarische Mädchen und Jungen näher kommen") greifen nicht und helfen nur einer kleinen Schicht, die Existenzängste der meisten überwiegen den Wunsch nach Familiengründung.

red.

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