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(c) Pester Lloyd / 19 - 2015   POLITIK    04.05.2015

 

1. Mai in Ungarn: Mühseliger Kampf um Minimum an Rechten und Geld

Gewerkschaften und Oppositionsparteien versuchten am 1. Mai ihre regierungskritischen Positionen an die Bürger zu bringen. Hauptthema war die Diskrepanz zwischen einem auf Korruption, Entrechtung und Propaganda fußenden Staat und der realen Verarmung und Perspektivlosigkeit bei der "Verlierhälfte" der Bevölkerung. Die Mobilisierung bei den Veranstaltungen war äußerst gering, die Regierungspartei tat so, als liefe in Ungarn alles bestens.

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Gewerkschaftsführer, vereint am 1. Mai. Und sonst?

Fidesz: Wir vertreten die Arbeiter

 

Fidesz machte sich nicht einmal die Mühe einer öffentlichen Veranstaltung und begnügte sich mit einem "Arbeits- und Sozialforum" für geladene Gäste und mit einer Presseaussendung, in der die jüngst Steuerankündigungen mit vorteilhaft klingenden ökonomischen Eckdaten zu einem porpagandistischen Eigenlob verknüpft wurden. "Seit 2010 vertreten wir konsequent die arbeitenden Menschen" hieß es zum 125. Tag der Arbeit.

Man habe die Steuerlast für Bevölkerung und Unternehmen mittlerweile um fast 12 Milliarden Euro verringert. Dass die Gesamtsteuer- und Abgabenquote des Landes dabei praktisch unverändert hoch geblieben ist, verschwieg man, auch, um keinen Hinweis auf die systematische Umverteilung der Erlöse der erarbeiteten Werte von Unten nach Oben zu geben.

Weiteres Lob erteilte man sich für die "Schaffung und die Sicherung von Jobs" (Opposition: Stimmt, nur sind die Jobs in Wien, Berlin und London) und die "Kommunalbeschäftigung, für jene, die unfähig sind, Arbeit zu finden." Desweiteren sei der gesetzliche Mindestlohn "angehoben" worden, dieser gilt allerdings nicht für die Kommunalbeschäftigten und seine reale Kaufkraft ist binnen vier Jahren um 15% gesunken. Die Fortsetzung dieser "Mittelstandspolitik" wurde angekündigt.
Mehr zu den Wirtschaftsdaten und Steuerplänen hier.

Gewerkschaften: Arbeitsrecht ist zum Sklavengesetz geworden

Gewerkschaften, Bürgerrechtler, Antikorruptionsbewegungen trafen sich unweit des Stadtwäldchens zu einer gemeinsamen Kundgebung, einige Hundert Menschen hörten den Rednern zu. Der Chef der Handelsgewerkschaft László Kordás sprach davon, dass die ungarischen Arbeitnehmer heute die "hilflosesten in der gesamten Europäischen Union" seien, nach dem "die letzten Spuren von Arbeiterrechten im neuen Arbeitsrecht, das eher ein Sklavengesetz ist, getilgt wurden." (Hier eine
Bilanz mit weiterführenden Links sowie aktuelle Entwicklungen der Rechtebeschneidungen über "Karrieremodelle" in der Bildung, im Öffentlichen Dienst.)

Die Regierung ignoriere darin sowohl die eigenen Verfassungsvorschriften aber auch internationales Recht. Man müsse sie verklagen, bis man seine Grundrechte zurück habe. Den Anteil der zerstrittenen Gewerkschaften, ihr Mangel an Konsens- und Mobilisierungsfähigkeit, der über die Jahre seit der Wende zu einem zunächst schleichenden, dann, unter Orbán, zu einem radikalen Rechteabbau führte, räumten die Gewerkschaftsvertreter jedoch nicht ein.
Hier mehr dazu.

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“Früher war mehr Lametta...” - Maiumzug in Budapest 1983. Die Formulierung von der “erfolgreichen Erfüllung des Jahresvolkwirtschaftsplanes” könnte man aber so ähnlich heutigen Regierungsaussendungen wiederfinden. Auch der Wahrheitsgehalt ist in etwa derselbe wie damals, ebenso die Lage der Arbeitsrechte. Nur die Armut war nicht so hoch...


Nicht Flüchtlinge, sondern "schmarotzende" Politiker schaffen Probleme

Mehrfach nahmen die Redner Bezug auf die aktuelle Radikalisierungspolitik Orbáns: Das Land sei "nicht wegen schmarotzender Zuwanderer in Problemen, sondern wegen schmarotzender Politiker" sagte Tamás Székely, Vizechef der Gewerkschaftskonföderation MaSzSz und nahm damit Bezug auf die Formulierung "bezuschusster Flüchtling" im
aktuellen Fragebogen der Regierung.

Täglich gehen drei Ärzte

Andrea Varga von der Konföderation autonomer Gewerkschaften ASzSz nahm sich des "siechenden Gesundheitswesens" an. Jeden Tag verließen drei Ärzte und zwei weitere qualifizierte Gesundheitsmitarbeiter das Land, was u.a. dazu führe, dass die verbleibenden Kräfte mehr leisten müssten. So gesehen erhielten sie, trotz teilweiser Gehaltsanhebungen unter dem Strich weniger Geld als zuvor.
Mehr zur Lage im Gesundheitswesen hier.

MSZP: "Fidesz-Jobbik-Welt" lässt Hälfte des Volkes zurück

Auch die etablierten Parteien lieferten ihre Statements. Der Chef der MSZP, József Tóbiás sprach vor einer handvoll Anhängern davon, dass das Land in Schwierigkeiten steckt, weil zugelassen wird, dass extremistische Ideologien popularisiert würden, die - zusammen mit der täglichen Korruption - eine "Fidesz-Jobbik-Welt" entstehen lassen. Dieser Rahmen, verknüpft mit wachsender Armut der Hälfte der Bevölkerung ergebe ein gefährliches Gemisch und setze die Zukunft des Landes aufs Spiel.

Tóbiás forderte eine 50% Anhebung des gesetzlichen Mindestlohnes, der auch für die Kommunalen Beschäftigungsprogramme (die fundamental zu reformieren sind) angewendet werden müsste. Sonntagsarbeit solle - bei einem entsprechenden Lohnzuschlag - erlaubt werden.

Gyurcsány schießt sich ein Eigentor

Ex-Premier Ferenc Gyurcsány mit seiner Partei Demokratische Koalition, DK, sprach über "sechs Millionen vergessene Ungarn", die man "seit der Wende vor 25 Jahren unterdrückt" habe und denen jetzt "Gerechtigkeit widerfahren" müsse. Eine interessante Aussage, wenn man bedenkt, dass die "Linke" das Land rund die Hälfte dieser Zeit selbst führte, Gyurcsány, der "Self-Made-Milliardär", knapp 5 Jahre lang Ministerpräsident war.

Die derzeitige Regierung basiere auf Diebstahl und Betrug, wo Verwandte, Freunde und Insider zu Reichtum gelangen, während die Mehrheit ausgelaugt würde. "Die Regierung aktiviert die niedrigsten Instinkte der Menschen, wiegelt sie dazu auf, die Grenzen zu schließen, während sie das Land in Korruption erdrückt."

Zentrale Forderung: Am Existenzminimum orientiertes Mindesteinkommen

Die LMP, Grüne, präsentierte über ihren Vorsitzenden András Schiffer ein 7-Punkte-Programm zur Bekämpfung der "Armut von Arbeitern", dazu gehört u.a., dass der Staat die Differenz zwischen dem gesetzlichen Mindestlohn und dem Existenzminimum tragen solle.

 

Für ein solches Mindesteinkommen setzt sich auch die Kleinpartei "Dialog für Ungarn", PM, eine LMP-Abspaltung, ein. Diese Forderung schält sich auch bei Gewerkschaften als eine zentrale heraus und wird als Ausgleich für die hohen Steuergewinne der mittleren und oberen Einkommensschichten durch die Flat Tax gefordert, die im kommenden Jahr nochmals gesenkt werden soll. Die Partei Együtt ergänzt, dass es Familien - entgegen der Regierungspropaganda - heute schlechter gehe als vor der Lehman-Krise, sie zahlen mehr (indirekte) Steuern und viele hätten gar keine richtigen Jobs mehr, also solche, von deren Einkünften man auch leben könne.

Nach den politischen Ansprachen, fand im Stadtwäldchen die traditionelle Maifeier der Gewerkschaften für Familien statt. Doch auch diese musste politisiert werden, denn die Regierung will just in diesem Volkspark ein
sündteures, prestigheischendes Museumsquartier errichten, wogegen es wachsenden Bürgerprotest gibt.

red.

 

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