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(c) Pester Lloyd / 22 - 2015   POLITIK    29.05.2015

 

Ansagen und Dementis: Kanzler Lázár zu aktuellen Fragen der ungarischen Politik

Orbán will nicht Präsident, Lázar nicht Premier werden - Im Herbst wird es keine Steuererhöhungen geben, jedenfalls keine "maßgeblichen" - Werbesteuer: Ungarn beugt sich EU-Zwang - weitere Verstaatlichungen im Energiesektor - Beitritt Ungarns zu russischem Mini-IWF - Weltkriegssoldaten und ihre Witwen erhalten Mini-Rente

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Zwei Dementis standen auf der wöchentlichen Regierungspressekonferenz von János Lázár, dem Leiter des Amtes des Ministerpräsidenten im Range eines Ministers, im Zentrum. Zunächst schloss der engste Vertraute Orbáns Steuererhöhungen im Zusammenhang mit dem
2016er Budget (hier die EU-Bewertung desselben) aus.

Ein normalerweise gut informiertes Magazin hatte behauptet, Informationen über ein nachträgliches Steuerpakt im Herbst zu besitzen, das verdeckte Lücken im Haushalt stopfen soll, ohne diese zu konkretisieren. Lázár betonte hingegen, dass man das Haushaltsgesetz, das bereits jetzt bald verabschiedet werden soll, im Herbst "nicht noch einmal aufschnüren" wolle. Dann relativierte er, es werde keine "schwerwiegenden Änderungen" geben. Nunja, Ad-Hoc-Steuergesetze sind indes eine Spezialität der Orbán-Administration, insofern dürfte sich die Verwunderung im Herbst in Grenzen halten.

Aktuell wurde die nach EU- und Konzernprotesten
nachjustierte Werbesteuer im Parlament beschlossen, es blieb bei den angekündigten 5,3% für Unternehmen mit Umsätzen über 100 Mio. Forint im Jahr. Lázár bedauerte in Richtung Brüssel, dass die Regierung hier nicht "tun konnte, was sie wolle, sondern tun musste, was ihr gesagt wurde". Es sei das erste Mal, seit dem EU-Beitritt 2004, dass "die EU uns die Umsetzung eines bereits beschlossenen Gesetzes verboten hat." Das war zwar längst nicht das erste Mal, es wäre allerdings das erste Mal, dass sich die Regierung daran gehalten hätte. Insofern wird auch hier noch ein Nachspiel zu erwarten sein. Die Werbesteuer gilt übrigens nicht nur für die Firmen, die Werbegelder einnehmen, also z.B. Zeitungen und TV-Anstalten, sondern auch für die Werbenden, sogar wenn es sich um Eigenwerbung handelt, wie z.B. bei Flyern von Handelsketten.

Das nächste Dementi folgte einem ebensolchen seines Chefs, Orbán. Dieser hatte vor wenigen Tagen in Székesféhervár dementiert, sich 2017, wenn der Turnus von Staatspräsident Áder ausläuft, zum Präsidenten des Landes wählen lassen zu wollen. Er sei "kein Präsidentenmaterial" und fühle sich als "Ministerpräsident sehr wohl", hier könne er "seinem Volk als einzigem dienen" und auch nur dieses "sei in der Lage mich von dieser Position abzuwählen", - ein klarer Wink an die Parteigenossen, die Ende 2017 den Premier-Kandidaten für 2018 auf einem Parteikongress bestimmen sollen. Lázár wiederum meinte, er sei kein "Premier-Material", "Gott Sei Dank" müsse er diesen schweren Job nicht machen.

Die Unterstellung, Orbán hätte Ambitionen auf das Präsidialamt rühren daher, dass es seit Jahren Gerüchte gibt,
der Premier könnte ein Präsidialsystem nach türkisch-russischem Modell anstreben und mit Lázár als Premier eine sich abwechselnde Doppelspitze (wie Putin-Medwedew) bilden. Die Überlegung ist insofern obosolet, da in der Praxis Ungarn bereits exakt so geführt wird, denn das Amt des Ministerpräsidenten fungiert als absolute Machtzentrale mit parallelen Strukturen zu den Ministerien. Die dortigen Staatssekretäre sind quasi die Vorgesetzten der Minister, Amtschef Lázár fungiert als Quasi-Kanzler, der Premier als Sonnenkönig, der nur nicht "Präsident" heißt. Der eigentliche Staatspräsident ist ohnehin nur als Grüßaugust und Stempelkissen installiert. Lázár und Orbán dementierten also ein System, das längst Fakt ist und das 2016 mit dem Einzug Orbáns in die Budaer Burg auch äußerlich manifestiert werden wird. Die (noch nicht offizielle) Berufung seines jetzigen Fraktionschefs, Antal Rogán, zum Kabinettschef verstärkt diese Machtkonzentration und definiert Lázár umso mehr als wirklichen “Kanzler”.

Lázár kündigte weitere Verstaatlichungen im Energiesektor an, konkret soll die staatliche ungarische Entwicklungsbank MFB die Stromhandelstöchter der RWE für den Privatkundenmarkt, Elmű und Émász übernehmen sowie auch einen 49%igen Anteil am Betreiber der RWE-Stromnetze kaufen. Der staatliche Energiekonzern MVM wird außerdem seinen Anteil am zweitgrößten konventionellen Kraftwerk des Landes, Mátrai Erőmű, von 26 auf 49% aufstocken. Zuvor wurden bereits die Gastöchter von E.ON und GDF Suez sowie von letzterem auch die Stromtöchter aufgekauft.

Diese Maßnahmen sollen die Position des
neu positionierten staatlichen Anbieters ENKSZ stärken, der allmählich das gesamte Retail-Energie-Geschäft in Ungarn übernehmen wird. 

Bekannt wurde auch, dass Ungarn seit einigen Tagen wieder vollwertiges Mitglied der von Russland dominierten multinationalen International Investment Bank IIB geworden ist. Mit der Einzahlung von je 10 Mio. EUR Stammkapital 2015 und 2016 wird das Land sogar zu einem der größten Teilhaber.

Ungarn war 1970 Gründungsmitglied dieses kleinen "Ost-IWF", schied aber im Jahre 2000 wegen mangelnder Geschäftstätigkeiten des Konstruktes wieder aus. Russland belebt die Bank wieder als Finanzier von Interessen in seiner Peripherie. Mitglieder heute sind: Russland, Ungarn, Bulgarien, Cuba, Tschechien, Mongolei, Rumänien, Slowakei, Vietnam.

Ungarn hatte auch angekündigt der eurasischen Entwicklungsbank beitreten zu wollen, einem russisch-chinesischen Gegenprojekt zu IWF/Weltbank.

 

Die Regierung hat eine Soldatenrente für ungarische Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg und ihre Hinterbliebenen (Witwen und Kinder) beschlossen. Rund 18.000 Menschen erhalten "bis zu 8.500 Forint monatlich", das sind rund 28 EUR im Monat. Ungarn sei "verpflichtet, seinen Respekt und seine Solidarität für die Witwen und Waisen der Soldaten zu erweien, die in den Schlachten oder Kriegsgefangenenlagern des zweiten Weltkriegs umgekommen sind." Die Rente steht auch im Ausland lebenden Ungarn zu. Bereits 2011 wurde ca. 15.500 Opfern des Stalinismus eine höhere Rente zugesprochen, die ungefähr das Zehnfache also ca. 290 EUR beträgt. Opfer des Faschismus erhalten - so sie die “Klassifizierungsprozedur” überstanden haben - ebenfalls eine Mini-Rente, der Beschluss dazu stammt noch aus Vor-Orbán-Zeiten. Die materiellen Verluste der ungarischen Juden aus dem Holocaust wurden nie entschädigt, von den menschlichen - die nicht zu entschädigen sind - ganz zu schweigen.

red.

 

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