THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 39 - 2014 POLITIK 24.09.2014

 

Auf dem Gipfel der Macht: Orbán bereitet letzte Schritte zur Entdemokratisierung Ungarns nach russischem Vorbild vor

"Wenn das, was wir seit 2010 erlebten, eine `Revolution` gewesen sein soll, dann gibt es für das, was nach den Kommunalwahlen auf Ungarn zukommt, keinen Ausdruck." Mit diesem Zitat eines Insiders aus dem Amt des Ministerpräsidenten sorgt das führende Nachrichtenmagazin HVG dieser Tage für Angst und Schrecken, auch unter Fidesz-Leuten. Nach den Kommunalwahlen sollen "gigantische Reformen" auf das Land zurollen. Die Gerüchteküche brodelt, dabei liegt alles Kommende auf der Hand...

Orbáns rechte Hand und schrille Stimme, Minister Lázár, hatte schon vor einigen Tagen mit einer "2. großen Staatsreform" gedroht, deren Bekanntgabe Orbán jedoch mit Bedacht auf die Zeit nach den Kommunalwahlen am 12. Oktober gelegt habe, denn dann hat er dreieinhalb Jahre Ruhe vor Wahlen. Auch Minister Varga und Fidesz-Fraktionschef Rogán raunen nur kryptisch von dem "was bald kommt" und das soll nach Darstellung der HVG-Quelle derart heftig werden, dass man wohl auch Fidesz-Anhänger und sogar Parteikreise damit verägern könnte und einen Absturz in der Wählerpopularität in Kauf nimmt. Für die gute Sache versteht sich.

Ohne zu viel Kaffeesatz lesen zu wollen, lässt sich aus den vielen Gerüchten einiges subsummieren. Im Grunde geht es um eine verschärfte Zentralisation im Putin-Stil. Verwaltung und Ministerien sollen weitgehend von "Interessensgruppen" bereinigt werden, lies: der Kreis der Verantwortlichen in den allumfassenden Raubzügen an der öffentlichen Hand wird auf die loyalsten Orbánistas verkleinert, die jetzigen, teils sichtbar
schwierig zu händelnden Oligarchen mit ihren amtlichen Stäben in eine außeradministrative Abhängigkeit gebracht. D.h., wer das Spiel mitspielt, wird weiter gefüttert, wer zu doll am Rad dreht, abgestellt. So hat es Putin mit seinen 40 Räubern in Russland auch gemacht. Es funktioniert.

 

Verkauft wird diese nicht ohne Gepolter abgehende Aktion mit mehr "Transparenz, Bürgerfreundlichkeit" und dem Abbau von Bürokratie, ja der Notwendigkeit, den Behörden ein "völlig neues Verständnis ihrer Rolle beizubringen" (Lázár). Immerhin geht die Sache auch mit Massenentlassungen einher, die man wiederum geschickt als haushaltsschonende Maßnahme verkaufen kann. Seit der Krise 2008/09 fiel die Zahl der öffentlich Bediensteten (ohne Arbeitsprogramme) von fast 850.000 auf knapp unter 700.000, stieg aber seit zweieinhalb Jahren wieder permanent an, kein Wunder bei den vielen Aufgaben und Unternehmen, die sich die Regierung anschaffte oder anmaßte.

Zu den anstehenden "großen Reformen" gehört auch die Ausmerzung der letzten Reste föderaler Strukturen und lokaler Macht durch die schrittweise Umwandlung der bald auf 225 aufgestockten landesweiten "Regierungsfenster" zu - de facto - Fidesz-Kommissariaten zur Kontrolle des "Gemeinswesens". Also Vergabe öffentlicher Aufträge, Umsetzung der Kommunalen Sklavenarbeit, lokale PR- und Mediensteuerung, Schulaufsicht (die Zentralbehörde KLIK steht wegen Chaos am Pranger) etc. etc. Dass diese Aneigngung, die wiederum natürlich nur "der regionalen Entwicklung" und den "kurzen Wegen für die Bürger" dienen wird, den überwiegend dem Fidesz angeschlossenen Bürgermeistern missfallen wird, liegt auf der Hand. Nur mit exklusiven Zigaretten- und Schnapsläden lässt sich die Provinzschickeria längst nicht mehr abspeisen. Doch selbst diese Friktionen wird Orbán produktiv umsetzen: wer sich jetzt, da er sich auf dem Gipfel seiner Macht befindet gegen ihn stellt, kann leichter beseitigt werden als in einer Phase notwendiger Einheit, also z.B. unmittelbar vor Wahlen.

Nach öffentlicher Verwaltung und Kommunalreform ist das Gesundheitswesen eine der größten Baustellen des Landes. Zwar prahlte Orbán erst kürzlich wieder mit zwei Behauptungen, wonach das Gesundheitswesen des Landes "international auf hohem Niveau" angesiedelt sei (wahrscheinlich deshalb die langen Wartelisten!) und dabei "kein Geschäft sein" dürfe, doch liegen bereits Pläne vor, die die allgemeine Gesundheitsversorgung in das bereits weitgediehene ständestaatliche System einpassen soll. Hier geht es vor allem darum, die Defizite zu senken, denn Orbán braucht Geld für Fußballstadien, den Kauf von Banken und Energieunternehmen, nicht für Kranke.

Unsere Sozialdarwinisten, die bereits mehrfach ihr Bekenntnis zu förderungswürdigen und belastenden Bevölkerungsgruppen ablegten, werden hier ein Zwei-Klassen-System einführen, wobei man eine Art Grundversorgung möglichst billig anbieten (und als Errungenschaft christlicher Nächstenliebe verkaufen) wird, um Volksunruhen zu verhindern, ansonsten aber private Kliniken (die nicht so heißen dürfen, also wohl unter Non-Profit-Etikett geführt werden) den durch Flat-tax- und Forex-Umtauschgeschenke profitierenden Schichten offen stehen werden.

Auch hier gilt, wie überall in Orbáns Ungarn: "Survival of the fittest"... Die Nichtprivatisierung des Gesundheitssektors war bis dato eine zentrale Säule der Fidesz-Politik, immerhin war ein dahingehendes Referendum gegen Pläne der sog. sozial-liberalen Regierung die einzig von Erfolg gekrönte Volksabstimmung im Nachwendeungarn. "Tempi passati", man muss sich heute "bewusst sein, dass die explosionsartige technologische Entwicklung im Gesundheitswesen nicht mehr vollständig aus staatlichen Ressourcen finanziert werden kann."

Die Orbán angeblich nahe stehende Quelle der HVG meint, dass Orbán wohl "eine große Vision über das Land" habe, er sich über die Marschpläne noch in düsteres Schweigen hüllt, sich aber vor allem mit einer "massiven Zentralisierung" befasst. Derweil amüsiert er sich damit, rivalisierende Konzepte verschiedener Ministerien anfertigen zu lassen, seinen Mäusen also beim Tanzen zuzusehen. Klar sein dürfte nach den Vorkommnissen von der Entmachtung des Verfassungsgerichtes bis zum konzertierten Sturm auf die NGO´s, dass Orbán sich und seinen Apparat nicht mehr im täglichen Klein-Klein mit Medien, Bürgerquerulanten und anderen Überbleibseln liberaler Irrlehren aufbrauchen
wird. Hier wird reiner Tisch gemacht. Die Gelegenheit - im Schatten globaler und überregionaler Krisen - ist so günstig wie lange nicht.

 

Fasst man Intentionen, Gerüchte und "Was bisher geschah" zusammen, kommt man darauf, dass Orbán die Frage, ob er nun bald das schon häufiger ventilierte "Präsidialsystem" (nach eher östlichen Mustern) einführen wird, längst beantwortet hat und damit auch die Frage, ob Ungarn noch eine Demokratie ist. Denn die legislativen und strukturellen Bedingungen dafür hat er seit vier Jahren radikal geschaffen, die Judikative unschädlich gemacht. Sein "Kanzleramt" mit Lázár als De-Facto-Kanzler ist längst die Realität eines Präsidialamtes geworden, alle wichtigen Ministerien und Aufgaben sind darin gespiegelt, alle Stricke führen zu ihm, auch alle EU-Milliarden.

Was noch fehlt, ist die Kappung der unnötig werdenden Parallelstrukturen (
die Säuberungsaktionen dazu laufen bereits an), die Unterwerfung der letzten nominal unabhängig agierenden Behörden und damit jeder "überflüssigen" Kontrolle, dabei wird das Lázár unterstellte Kontrollamt KEHI, das sich bereits richterliche Kompetenzen aneignet, eine zentrale Rolle spielen. Der Höhepunkt wird dann die Manifestierung der Macht, quasi die eigene Inthronisierung, die durch den für 2016 geplanten - und nur rund 600 Mio. EUR kostenden - Umzug Orbáns in die zum Budaer Kreml umzugestaltende Burg auch den passenden äußeren Rahmen erhalten wird, bevor er sich 2017, rechtzeitig vor den nächsten Wahlen, die Verfassung so zurechtbiegen wird, dass die Transformation des Landes in ein Putin-Medwedew-Wechsel-Dich-Klon abgeschlossen werden kann.

red. / cs.sz. / m.s.

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