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(c) Pester Lloyd / 28 - 2015     FEUILLETON    10.07.2015

 

Noch mehr Helden braucht das Land: Ungarn deutet jetzt auch den Ersten Weltkrieg um

Aus Anlass der "wichtigsten Ausstellung dieses Jahres", mit dem wegweisenden Titel "Eine neue Welt wird geboren - Europäischer Krieg zwischen Brüdern" im Budaer Burgbasar, wünschten sich Vertreter der aktuellen Wahrheitsliga ein Gegengewicht zur "entheroisierten" Zeit. Logischerweise ist zum Thema auch ein neues, "zentrales Denkmal" geplant. Neben dem Opfer Ungarn soll diesmal auch auf das "Heldentum" fokussiert werden.

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Das Entrée zur WWI-Show lässt erahnen, was drinnen abgeht. Der Veranstaltungsort heißt nicht umsonst “Burgbasar”, auch Geschichte ist verhandelbar...

Nach der in den Vorjahren erfolgten sehr gründlichen Umarbeitung der Historie Ungarns vor und während des Zweiten Weltkrieges, die in einem veritablen Streit mit den Jüdischen Verbänden des Landes, der Positionierung eines an Orwell erinnernden "Veritas"-Institutes, einem "Haus der Schicksale" (Holocaust ein Schicksal?) und einem grotesken "Besatzungsdenkmal" als universalem Freispruch von Hitlerpakt, Beteiligung an Kriegsgräueln und Holocaust gipfelte, nimmt sich die regierungsamtliche Wahrheitsliga nun der Umdeutung des Ersten Weltkrieges an.

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Das ist nicht sonderlich viel Arbeit, stellt doch "Trianon" den zentralen, pawloschen Opferfetisch des Landesschicksals dar. Allerdings will man nicht nur die durchaus ungerechte Aufteilung des alten "Großungarn" durch die Siegermächte beweinen, sondern auch die Mitschuld am Ausbruch des Ersten Weltkrieges, vor allem aber den Heldenmut des ungarischen Lanzers während des Völkerschlachtens ins kollektive Gedächtnis pflanzen.

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Regierungskommissar Simon fragte dieser Tage im Parlament einen Oppositionellen: “Wenn es stimmt, was sie immer sagen, dass es in Ungarn 4 Millionen Arme geben soll, warum wollen dann angeblich alle auch noch am Sonntag einkaufen?” - Ein Mann von solcher Empathie ist wie geschaffen, das Schicksal von Weltkriegsopfern zu kommentieren.

 

Aus diesem Anlass äußerten sich einige Kapazunder der ungarischen Geschichtsinterpretation am Dienstag bei der Eröffnung der "wichtigsten Ausstellung dieses Jahres", mit den wegweisenden Titel "Eine neue Welt wird geboren - Europäischer Krieg zwischen Brüdern". Nun ist allgemein bekannt, dass der Titel "Bruderkrieg" im Sinne der nahen Verwandschaft der kriegstreibenden Gottesgnandentümler durchaus seine Berechtigung hat. Doch im frisch, mit Geldern der "europäischen Brüder" finanzierten Budapester Burgbasar, will man vor allem das Heldische exhibtionieren.

Staatssekretär Bence Rétvári vom Ministerum für Humanressourcen, dessen Arbeitsplatz seine einzige Qualifikation zum Thema darstellt, nahm den Höhepunkt gleich vorweg als er ankündigte, dass die Regierung "den Vorschlag des Erinnerungskomitees zur Hundertjahrfeier des Ersten Weltkrieges unterstützt, ein zentrales Monument zum Ersten Weltkrieg in Budapest aufzustellen." Wir bitten dringendst darum, dieses Denkmal auch, wie das “Okkupationsdenkmal” (siehe Foto unten) auf den Freiheitsplatz zu stellen, schon der Vollständigkeit halber.

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Neben den Reichsadler passt noch ein doppelköpfiger und sogar ein islamischer Falke...

Im Übrigen könnte man viel Geld und Mühe sparen, wenn man dem dort bereits auf das engelsgleiche Ungarn herabstoßenden deutschen Reichsadler, einfach noch einen doppelköpfigen Habsburger-Geier hinzugesellte. Wir haben da noch einen Vorschlag. Das nächste Denkmal könnte dem Flüchtlingsthema gewidmet sein. Wie Orbán gerade wieder erinnerte, ist es nicht das erste Mal, dass Ungarn - mehr oder weniger ganz allein - die Last trägt, um das christliche Europa gegen den Einfall muslimischer Horden, zu beschützen. Ein herabstürzender Falke, der sich vielleicht in einem rot-weiß-grünen Zaungeflecht verfängt, könnte dieses Segment abdecken, um so die historische Kontinuität ungarischen Heldenmutes auch mit einem aktuellen Beispiel zu bebildern.

Doch zurück zur Ausstellung: Staatssekretär Rétvári war der erste von drei Rednern, die eine neue Einordnung des "Großen Krieges" versuchten. Allein der Umstand, dass zwischen 1914 und 1918 " mit 661.000 doppelt so viele ungarische Soldaten ihr Leben ließen wie im Zweiten Weltkrieg" rechtfertigt eine "besondere Ehrung dieser Helden". Rechnet man Zivilisten, darunter eine halbe Million ungarischer Juden mit, führt das "Ranking" wieder der Zweite Weltkrieg an, aber es ist nicht nur die historische Arithmetik, die der Regierung durcheinander geraten ist.

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Der Begriff “Nationaltheologie” umschreibt vielleicht am treffendsten für Ungarn, was man anderswo als Aufarbeitung der Geschichte betreibt...

Rétvári sieht immerhin eine "wichtige Lektion" darin, dass "nicht ein einziger Krieg im 20. Jahrhundert vollständig seine eigentlichen Ziele" erreicht habe, wobei unklar bleibt, ob der Staatssekretär das nun feststellte oder bedauerte. Und: "die Geschichte einer Nation ist wie die DNA einer Nation, denn durch sie kann man auf den Charakter einer Nation schließen, darauf, wie das Volk denkt und wie seine Gesellschaft zusammengesetzt ist." Nun sind Genversuche - zumal am Menschen - in Ungarn eigentlich nicht erlaubt und auch die genetische Bestimmung des Charakters ist unter Wissenschaftlern eher umstritten, aber im Reich der Metaphern verirrt man sich schnell einmal.

Klar sei jedenfalls, dass eine "Nation, die ein umfangreiches Wissen von seiner Geschichte hat, eine langfristige Zukunft erwarten" darf, vergessliche Nationen, die nicht "vertraut werden" mit ihrer Geschichte und sie nicht "bewahren", "haben nicht so eine helle Zukunft - auf lange Sicht." Beispiele führte er nicht an, wir hätten das aber interessant gefunden. Endlich lebe man in Ungarn in einer "seltenen Zeit", in der man "die Ereignisse des WW1 objektiv betrachten könne".

Wieder geht es um die Fremdschuld

Dann folgte ein zentraler Satz, der Ungarn von seiner Mitschuld am Zusammenkochen dessen, was letztlich zum Krieg 1914 führte, entlasten soll. Wäre Ungarn "damals in der Lage gewesen seine außenpolitischen und militärischen Angelegenheiten selbst zu regeln, hätte es heute andere Grenzen und eine andere Geschichte im 20. Jahrhundert erlebt." Hier geht es um die Legende, dass Ungarn seit dem Ausgleich 1867 völlig am politischen Tropf der Wiener Habsburger hing und diese unverantwortlichen Kriegshetzer bei ihren Kriegsplänen Ungarn nicht nur mit hereingezogen, sondern regelrecht ans Messer geliefert haben. (In einschlägigen Kreisen sind ohnehin Briten und Russen am Krieg Schuld)

Ungarn steckte mit drin - Trianon durch Europa fast getilgt

Nun ist es unter Historikern der aufgeklärteren Abteilung common sense, dass der Ausgleich 1867 vor allem von ungarischen Magnaten herbeigeführt wurde, um nach den Revolutionswirren im Lande eine Ruhe herzustellen, die ihnen den Rahmen für die weitere, ungestörte Ausübung der bewährten Untertanenausplünderung ihres und der angrenzenden Völker gab. Was in der Absprache mit Wien folgte, war eine zunächst patriotische, dann immer nationalistischere Politik in den abhängigen Gebieten, eine Magyarisierungswelle im Kernland, z.B. gegenüber den Ungarndeutschen, aber eben auch in der Vojvodina, in "Oberungarn", Siebenbürgen, also überall da, wo Ungarn multikulturell war. Diese Politik wurde - vor allem auch gegenüber Serbien - durchaus aggressiv vertreten. Das Magyarentum war, wie der Panslawismus, Mitbewerber um die Konkursmasse des osmanischen Reiches auf dem Balkan, kurz: man steckte bis zur Brust mit drin. Und ja, Ungarn war auch Opfer der Siegerpolitik, aber eines von sehr vielen, von denen einige heute noch mit den damaligen Grenzziehungen zu kämpfen haben, während Trianon inzwischen von der europäischen Schengenrealität weitgehnd überholt, ja getilgt ist.

Die Sache war also durchaus komplexer als sie in Ungarn gemeinhin, auch in den Schulen, präsentiert wird. Aber aus komplexen Zusammenhängen lässt sich schwer ein Heldenmythos schmieden.

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Politik auf den Gräbern und im Namen der Gefallenen. Die Ausstellung auf der Burg will keine Kenntnisse vermitteln, Einordnungen ermöglichen. Sie soll emotionalisieren, einen Heldenmythos aus dem sinnlosen. industriellen Abschlachten der Menschen für die Machtspiele der Herrschenden stricken. Auf dem Bild Staatssekretär Bencze Rétvári und Burgbaumeister Simon (rechts). Fotos: MEH


Wir basteln uns unsere Helden notfalls selber...

Auch der Regierungskommissar für die Renovierung oder
Demolierung des Burgviertels zum Orbán-Olymp, der sich dem Land durch viele Handlungen und Äußerungen als ein besonders primitiver, durch und durch antidemokratischer Geist offenbarte, László L. Simon, sagte ein paar Worte, immerhin war er für ein paar Monate mal Kulturstaatssekretär. Er findet, dass es fast unmöglich scheint, die Geschichtsschreibung zu WW1 "zu verändern", aber "sie muss geändert werden". Man solle einsehen, dass jene, die ihr Leben ließen "Helden waren", auch wenn wir heute in einer "entheroisierten Welt" darben müssen. Wir basteln uns unsere Helden notfalls selber...

Man kann sich, zumal nach den Erfahrungen mit dem Besatzungsdenkmal, ausmalen, wie so ein von der Regierung beauftragter WW1-Heldenschrein aussehen wird. Horthy-Statuen, Trianon-Denkmäler, zuletzt sogar der offizielle
Plan eines Monuments für einen lupenreinen Nazi-Minister.

Form folgt Inhalt

 

Orbáns Ungarn kennt in der Gegenwart keine Skrupel, die Dinge auf Kosten der Wahrheit und der Betroffenen auf den Kopf zu stellen, warum sollte sie also diese Skrupel beim Umgang mit der Vergangenheit haben. Alles ist nur Instrument, alles muss einem Zweck, einer Wahrheit dienen. Und diesen Zweck, samt der sie maskierenden "Wahrheit" definiert einzig Ungarns neuer "Reichsverweser".

Insofern stimmen die Worte seiner wichtigsten Geschichtsrevisionistin und Liberalenfresserin, der
"Historikerin" Mária Schmidt bei der Ausstellungseröffnung: "Unsere heutige Zeit ist jener vor dem Ersten Weltkrieg ähnlicher als viele denken...". Die Politik imitiert den menschenverachtenden Ständestaat der Horthy-Ära, ist irgendwo in den 20ern des vorigen Jahrhunderts hängen geblieben, die Ästhetik bei den "Kriegerdenkmälern" entspricht dem. Form folgt Inhalt.

ms.


 



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