THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 23 - 2014 POLITIK 09.06.2014

 

Der Premier geht ins Kloster: Orbán wird Ungarn bald von der Budapester Burg aus regieren

Was wir im November noch unter Vorbehalt berichteten, nämlich den geplanten Umzug von Premier Orbán auf den Budaer Burgberg, ist nun offiziell. Regierungssprecherin Éva Kurucz bestätigte am Freitag nicht nur den neuen Burgherren, sondern kündigte auch gleich eine allgemeine Umsiedlungsaktion einiger Ministerien an - sie sollen über das ganze Land verstreut werden. Was steckt dahinter?

Der Ausblick hat es ihm angetan: Orbán beim Probesitzen auf der präsidialen Terasse, hier mit Ex-Präsident Schmitt.

Bisher hat der ungarische Ministerpräsident seine Räumlichkeiten mitten im Parlament, eine demokratisch unangebrachte Nähe zwischen Regierungschef und Legislative, die auch schon aus rein praktischen Gründe lange nach einem echten "Kanzleramt" verlangte. Vor allem aber entspricht die Behausung zur Untermiete längst nicht mehr der Bedeutung - von Amt wie Person!

Führung ohne Raum

Was Orbán nun, am Beginn seiner dritten Amtszeit plant, die, wie berichtet womöglich fließend ins unumschränkte Präsidentenamt übergehen wird, geht über einen funktionalen Repräsentationsbau für ein Amt des Ministerpräsidenten daher auch weit hinaus. Es ist ein Statement der Macht, seiner eigenen, der realen wie der ergriffenen, aber auch jener, die sich sein Amt, geleitet von Minister János Lázár, anmaßt.

Das Miniszterelnökségi Hivatal, kurz MEH, spiegelt in seinen Abteilungen nicht nur sämtliche Ministerien wie in einer Parallelregierung, sondern hält bezüglich öffentlicher Verwaltung, öffentlicher Gelder (EU),
Geheimdienste, Außenkontakte längst alle wichtigen Fäden in der Hand - weit über das hinausgehend, was für ein funktionierendes Land hinausgeht. Die eigentlichen Ministerien sind nur noch ausführende Zweigestellen. Orbáns Amt ist zum Generalstab für den "nationalen Befreiungskampf" und zur uneingeschränkten wie unkontrollierbaren Machtzentrale für den Fideszschen Machtzirkel geworden. Für diesen Führungsanspruch wurde der Raum zu klein.

Die Immobilie des ehemaligen Karmeliterklosters auf dem Burgberg, ein Palais aus dem 18. Jahrhundert in unmittelbarer Nachbarschaft zum Präsidentenpalais, dem Sándor Palota und direkt neben dem Eingang zum Königsschloss wird nun die neue Residenz Orbáns. Es beherbergt derzeit u.a. das vor allem durch Ballett-, Kinder- und Kammeroperaufführungen bekannte "Burgtheater", Anwaltskanzleien, Büros, ein Restaurant. Die Einweihung als Amt des Ministerpräsidenten hat Orbán per Dekret auf den 15. März 2016 gelegt, einen Nationalfeiertag, an dem die Ungarn gemeinhin des Aufstandes gegen ihre Machthaber, 1848 waren das die Habsbuger, erinnern und dessen Erbe und Gralshüter Orbán zu sein beansprucht, ebenso wie für die Ereignisse 1956, 1989. Über 1944 denkt er noch nach.

Wird bald der ganze Burgberg zur "Verbotenen Stadt"?

Doch mit dem Umzug ins königliche Gepränge, vom dem man buchstäblich auf das Parlament herabschaut, nicht genug, ab diesem Jahr wird das gesamte Burgviertel, einschließlich der Schlossanlage für zehn Jahre einer Generalsanierung unterzogen, denkbar also, dass der Klosterpalast nur eine Übergangslösung darstellt, bis das Schloss den dann sicher nochmal gewachsenen Ansprüchen unseres Volkspotentaten entspricht. Immerhin vertritt er nicht nur Ungarn, sondern "alle Ungarn", "wo immer sie leben." Für diesen Anspruch ist so ein Kloster fast ein bisschen zu bescheiden und der Sándor Palota nicht mehr als eine Wachhäuschen für die Ehrengarde...

Das standesgemäße Entrée zum Herrschersitz. Der frisch renovierte Burgbasar zu Füßen des Königsschlosses. Hier bei der Eröffnung durch Premier Orbán unmittelbar vor den Wahlen im April.

Ein Hinweis darauf, dass nicht nur das Schloss, sondern womöglich am Ende der gesamte Burgberg zur "Verbotenen Stadt" werden könnte, gibt es. So wird die Nationalgalerie aus dem Schloss ausgelagert und ins neue Museumsquartier ins Stadtwäldchen verfachtet und die - am gänzlich anderen Ende des Burghügels gelegene - Széchenyi Bibliothek bekommt ebenfalls einen neuen Standort. Die Pläne für die Generalsanierung des Burgberges wurden "im Interesse der nationalen Sicherheit" als geheim eingestuft und auch die sehr beschleunigte Renovierung des Burgbazars als Entrée am Fuße des Burgbergs bekommt nun einen repräsentativen Sinn. Dort könnte Orbán dann standesgemäß Staatgäste empfangen, die vielleicht in einer Barke anlanden und dann die über die Auffahrt mit der königlichen Zahnradbahn in seine Höhen aufsteigen dürfen.

Neben dem repräsentativen Kick, hat der Burgberg noch einen anderen Vorteil: er lässt sich mit wenig Aufwand hermetisch abriegeln und exzellent verteidigen. Geht selbst das schief, retteten zahlreiche geheime Gänge ins Umland die jeweilige Herrschaft schon etliche Male vor Eroberern oder - je nach Sicht - Befreiern. Unter diesem Gesichtspunkt bekommt auch die staatliche
Zwangsübernahme der Zitadelle auf dem Gellért-Berg einen strategischen Nutzen, liegt sie doch - einem Adlerhorst gleich - schützend - oder bedrohlich - über der Burg.

Orbán platziert seine Lehnsherren über das ganze Land

Regierungssprecherin Kurucz ließ die anwesenden Journalisten am Freitag mit offenen Mündern zurück, als sie die weiteren Beschlüsse seiner Majestät verkündete: Verteidigungsminister Hende möge die Möglichkeiten eines Umzuges seines Hauses nach Székesfehervár prüfen, Sándor Fazekas solle mit seinem Landwirtschaftsminister in den fernen Osten nach Debrecen verduften. Selbst Lázár János, sein treuester Befehlsausführer möge mit der ganzen "Hauptabteilung Aufteilung" der EU-Mittel und der sog. Regionalentwicklung nach Kecskemét ziehen.

Was bezweckt Orbán mit dieser sündteuren Aktion? Wie man es dreht und wendet, am Ende bleibt nur die Schaffung von Einflussphären, die Installation von Regionalfürsten einleuchtend. Daür ist kaum ein Preis zu hoch. Es ist dies der konsequente Ausbau des Orbánschen Neofeudalismus, der durch die ständische Steuer- und Landpolitik, die Tabaklizenzen, halbprivate Sportarenen etc. bereits auch seinen materiellen Rahmen erhielt und gleichermaßen auf der gottgegebenen Ungleicheit des Menschen wie der eigenen Vorsehung fußt.

Voriges Jahr vereidigte Orbán im Burghof die Absolventen der Staats-Uni für den öffentlichen Dienst.

Das Justizministerium könnte gleich nach Straßburg ziehen...

 

Ob Orbán bei seinem Auszug aus dem Parlament auch die "Heilige Krone" und die anderen monarchischen Insignien mitnimmt oder sich vielleicht gleich selbst überstülpt, wissen wir noch nicht, haben aber in ungarischen Dissidentenmedien ein paar nette Anregungen gefunden, wohin man noch einige Regierungsstrukturen stecken könnte: so wäre das Sportsstaatssekretariat natürlich in Felcsút gut aufgehoben, das Innenministerium könnte gevierteilt werden und je eine Dependance in Kolozsvár (noch Rumänien), Pozsonyi (selten auch als Bratislava bekannt), Novi Sad (eigentlich Újvidék und angeblich in Serbien) und Ushgorod ("Ukraine") betreiben und - den Vorschlag finden wir besonders passend: das Justizministerium sollte - der kurzen Dienstwege wegen - gleich nach Straßburg übersiedeln.

red. / cs.sz.

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