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(c) Pester Lloyd / 38 - 2016   POLITIK     19.09.2016

EU-Gipfel in Bratislava: Orbán, der Selbst-Verteidiger

Den informellen EU-Gipfel in Bratislava - erstmals ohne die Briten - in der vergangenen Woche als Misserfolg zu bewerten, fiel der ungarischen Regierung nicht schwer. Hatte man diesen Misserfolg doch gewollt, durch unverrückbare Ablehnung aller Versuche gemeinsame Sache bei den großen Themen der Zeit zu machen. Mehr noch, Ungarns Regierungschef nutzt die Demonstration der angeblichen und ja auch augenscheinlichen Unfähigkeit der EU-Größen für die innenpolitische Selbstbestätigung.

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Nachdenklichkeit oder schlichtes Naserümpfen? Orbán, Merkel und Österreichs Kanzler Kern in Bratislava

 

"Wir haben es nicht geschafft, die Einwanderungspolitik Brüssels zu ändern", daher sei der Gipfel in Bratislava kein Aufbruch, sondern ein Misserfolg, resümierte Orbán noch am Freitag in der slowakischen Hauptstadt. Er beharrt darauf, dass diese Politik, die, so ehrlich muss man sein, in Wirklichkeit eine Nicht-Politik ist, da sie nur reagiert, nicht aber a- oder gar regiert, "selbstzerstörerisch und naiv" sei.

Die "Brüsseler Bürokraten beschleunigen den Prozess der Verteilung der Einwanderer (im ungarischen Neusprech sind es Eindringlinge, keine Flüchtlinge), anstatt "sie an den Schengengrenzen zu stoppen." Das werde "identitäre Auswirkungen" auf die Zielländer haben, gegen die er in Ungarn mit einer "kulturellen Konterrevolution" antworte, die nichts weiter bedeute als die Rückkehr zu "konservativen Wurzeln" wie Orbán auf eine Nachfrage philosophierte. Auf welche "Wurzeln", welchen Spross Orbán in der Praxis Bezug nimmt, kann
u.a. hier vertieft werden.

Ungarn und die anderen Visegrád Vier-Staaten (Slowakei, Tschechien, Polen), für die sich Orbán berechtigt fühlt, mitzusprechen, wollen nun beim Folgetreffen am 24. September in Wien einen weiteren Versuch unternehmen, "die derzeitige durchlässige Einwanderungspolitik zu einer Politik der Selbstverteidigung" zu verändern. Selbstverteidigung ist eines dieser groß geführten Worte Orbáns, mit denen er zwar vor allem die Opferrolle, den Verteidigungskampf gegen Brüsseler Vorherrschaft rechtfertigen will, mit denen er aber ungewollt offenbart, dass es ihm nicht um die Verteidigung von Werten, gar einer Gemeinschaft geht, sondern um die Verteidigung seiner Selbst, seiner national-egoistischen Plünderungspolitik, mit der er in Ungarn Demokratie und Rechtsstaat weitgehend lahmgelegt hat - was er sich also auch für die EU wünscht.

In Wien werden dann auch die betroffenen Balkanstaaten, die nicht in der EU sind, mit am Verhandlungstisch sitzen. Orbán vergaß auch in Bratislava nicht, sein durch regierungsamtliche Hetzkampagnen begleitetes
Referendum am 2. Oktober zur Flüchtlingsfrage zu erwähnen, von dem er sich "ein starkes Mandat des ungarischen Volkes" gegen Brüssel erhofft.

Einige positive Ansätze in seinem Sinne konnte Orbán dennoch erkennen. Dazu gehört die konkrete Unterstützung seitens der EU-Institutionen für die Grenzschutzbemühungen Bulgariens sowie auch der geäußerte Wunsch Frankreichs und Deutschlands nach mehr militärischer Kooperation bis hin zu gemeinsamen EU-Kampfgruppen. Ungarns Position geht hier noch weiter, Budapest fordert eine gemeinsame EU-Armee, freilich weniger zum Schutz vor eventuellen militärischen Aggressoren, die derzeit kaum auszumachen sind, als mehr für den "Grenzschutz", also den Einsatz gegen Zivilisten. Solche Truppen sollen, nach Orbáns Vorstellungen, auch in "Hot Spots" außerhalb der EU, z.B. in Flüchtlingslagern eingesetzt werden.

Orbán lobte sich und seine Visegrád-Gruppe als die einzigen, die etwas Konkretes auf den Tisch gelegt hätten. In dem Positionspapier finden sich neben den Punkten zur umfassenden Ablehnung von Flüchtlingsverteilung und Einwanderung auch Forderungen für "eine neue EU", die in Summe eine Entmachtung Brüssels und eine Rückkehr zu einem losen Staatenbund nationalistischer Ausrichtung ergeben, verklausuliert freilich, mit Rücksicht darauf, dass bei den Visegrád-Vier nicht alle die populistische EU-Feindlichkeit Orbáns teilen, ihn aber gerne als Kanonenfutter für ihre Interessen an Brüssel verfüttern. Soll er sich doch die Finger verbrennen, das ist die "Einigkeit" der V4.

Von Deutschland verlangt Orbán die Einführung einer Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen, von Griechenland die völlige Schließung seiner Schengengrenzen. So lange dies nicht geschehe, bliebe Ungarn nur, auf eigene Faust seine Grenzen zu schützen und "rechtliche und physische Maßnahmen zu ergreifen, um jeden zu verhaften, der versucht, illegal die Grenze zu übertreten."

 

Orbán besteht darauf, dass sein Land mit die Hauptbürde der Einwanderungswelle trägt, da es als eines der wenigen konsequenten Grenzschutz betreibt. In diesem Sinne, seien nicht die Länder solidarisch, die Flüchtlinge aufnehmen, sondern die Länder, die sie unter großen Anstrengungen abwehrten. Die - übrigens nach wie vor praktizierte - Weiterleitung von Hunderttausenden Flüchtlingen gen Westen als Akt der europäischen Solidarität zu qualifizieren, in weiteres rhetorisches Kunststück des großen Verdrehers aus Budapest.

Dass Orbáns Ungarn und auch er persönlich mehr und mehr isoliert agiert, ja von den Vertretern des wirklichen Europas geradezu feindlich behandelt wird, weil er ja auch europafeindlich handelt, blendet Orbán als Akt von Nihilisten aus. Im Gegenteil, die Meinung aus Luxemburg, Orbán solle aus der EU verschwinden, stelle nur eine Minderheitsmeinung von politisch Enttäuschten, Desorientierten dar.

red.

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