(c) Pester Lloyd / 40 - 2009 POLITIK 28.09.2009
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Von Gespenstern und Geisterfahrern
Die Highlights der politischen Woche in Ungarn
Ungarns Spitzenpolitiker zog es in den letzten Tagen nach Übersee. Angesichts des Klimas zu Hause kein Wunder. Während Ungarns Premier in
New York die Glocken klingeln ließ und die Warnung mitbrachte, Investoren machten sich Sorgen um die nächste Regierung, malte man zu Hause das
Gespenst eines auferstehenden Gyurcsány an die Wand, der womöglich sogar Bürgermeister von Budapest werden könnte. Oppositionschef Orbán, nach
Worten des Regierungschefs ein Geisterfahrer, verzichtete derweil, obwohl noch gar nicht im Amt, auf die übliche 100-Tage-Schonfrist. Der Präsident macht inzwischen Insel-Hopping im Südpazifik.
Ungarns Premier hat sich, wie immer man politisch zu ihm stehen mag, die
fünf Tage Auszeit in New York und Washington redlich verdient. Einmal, kurz vor Ende seiner undankbaren Amtszeit und nach den schwerwierigen Budgetverhandlungen, konnte er sich auf internationalem
Parkett als der feiern lassen, als der er sich selber gerne sieht. Als Sanierer Ungarns, als fachmännischer Retter seines Landes in tiefster Not. Gordon Bajnai vertrat sein Land bei der
UNO-Generalversammlung, traf sich mit Wirtschaftsgrößen und Bankmanagern, warb für Vertrauen in sein Spar- und Konjunkturporgramm und durfte sogar die Glocke der Wall
Street läuten. Letzteres war natürlich bei Lichte betrachtet ein eitler Lapsus, immerhin stand er doch genau auf der Brücke jenes Flagschiffes des
Finanzkapitalismus rohester Art, der nicht nur Ungarn durch seine Breitseite aus dem Vorjahr fast in die Versenkung schoss.
Abb: Magyar Cabaret am 16. Oktober im Galapagos Art Space in New York
im Rahmen von "Extreme Hungary"- und täglich in Budapest - im Original und noch extremer. www.galapagosartspace.com
Bajnai: Opposition auf Geisterfahrt
Bajnai resümierte, gerade zurück aus Amerika, dass Ungarn eine gute Chance
habe, wieder auf den Weg der Stabilität zurückzufinden, wenn man nur seine Maßgaben einhalte. Sein Finanzminister behauptet sogar, dass man 2011 "die
stabilste Wirtschaft in der Region" haben werde. Ist halt nur die Frage wie man "die Region" definiert. Der Opposition teilte der Regierungschef im staatlichen
Fernsehen mit, sie komme ihm vor wie ein Geisterfahrer auf der Autobahn, der sich darüber wundert, wieviele Geisterfahrer ihm auf der Autobhan
entgegenkommen. Er empfahl, die nächste Ausfahrt zu nehmen und auf den "richtigen Weg" umzukehren.
Er unterlegte seine Thesen von der völligen Fehleinschätzung der wirtschaftlichen
Lage durch den Fidesz auch damit, dass man sich im Ausland bereits um den Regierungswechsel Sorgen mache, besonders bei potentiellen Investoren. Dies
hätten ihm amerikanische Wirtschaftsbosse gesteckt, die er in New York zu Gesprächen getroffen hatte. Angeblich hätten diese ihn gefragt, ob man nach
den kommenden Wahlen darauf zählen dürfe, dass die "konstante und konstruktive Wirtschaftspolitik" des Herrn Bajnai fortgeführt werde oder ob das
Land "wieder auf den Weg falscher politischer Versprechungen" fehlgeleitet werde. So stopft Bajnai dem politischen Gegner mit dem von diesem selbst
ständig strapazierten Vorwurf von den falschen Versprechungen den Mund. Das mag zwar clever klingen, ist aber völlig nutzlose Rhetorik.
Orbán: Brauche keine 100-Tage-Schonfrist
Freilich hörten die Angriffe zu Hause nicht auf. Bajnai wollte sich nur für
internationale Posten bewerben, hieß der Vowurf. Doch die immer gleiche Totalablehnung des Budgets durch die Opposition, die ewig gleiche
Schwarzmalerei der Zukunft Ungarns, sollte nicht bald Käpitän Orbán das Ruder rumreißen sowie die Angriffe auf die Integrität jedes Politikers außerhalb des
rechten Spektrums, langweilte sogar schon den oppositionsfreundlichen Teil der Medien, so dass man sich ein neues, bzw. altes Gespenst an die Wand malte, um medial nicht völlig einzuschlafen.
Das Gespenst, das wieder umgeht in Ungarn, heißt Ferenc Gyurcsány, der diesmal
der rechten Presse im Traum erschien. Zuerst machte die Runde, der Ex-Premier wolle eine neue Partei gründen. Dies setzte die, natürlich konservative,
Wochenzeitung Heti Valász in Umlauf. Sein Büro dementierte. Angeblich soll er sich mit Ex-Liberalen, die den Rechtsschwenk des SZDSZ nicht mitmachen wollen,
und unzufriedenen MSZPlern getroffen und besprochen haben, um eine Möglichkeit zu finden das sozial-liberale Potential, dass in passiver Angststarre verharre, zu aktivieren.
Die Magyar Nemzet, quasi das Haus- und Hofblatt des Fidesz, meint hingegen,
dass Gyurcsány spätestens beim Parteitag der MSZP als führender Wahlkämpfer in den Reihen der Sozialisten auftauchen wird, um, auch das weiß man schon zu
glauben, den jetzigen Landwirtschaftsminister József Gráf als Spitzenkandidaten zu unterstützen. Gyurcsány selbst wird dann als Kandidat für den Posten des
Oberbürgermeisters von Budapest antreten. Dies wäre zumindest eine für die Rechten wünschweswerte Konstellation, so würde man auch noch "das rote"
Budapest erobern. Die einzige Wahrheit, die aus den Mutmaßungen der rechten Medien spricht, ist, dass die Sozialisten tatsächlich völlig verzweifelt nach einem
präsentablen Spitzenkandidaten suchen, der sowohl die Verluste im Frühjahr minimieren kann und gleichzeitig als Aufbaukandidat für die übernächste Wahl
genügt. Alle wünschen sich den parteilosen Premier Bajnai, der wiederholt ablehnte.
Viktor Orbán, schon ganz im Regierungsgeschäft, meinte, dass er auf die übliche
100-Tage-Schonfrist nach der Ernennung zum Premier im Frühjahr verzichten werde. Man werde eine Nacht feiern, aber am nächsten Tag mit der Arbeit
beginnen. Was genau getan werden wird (3.000 neue Polizisten und eine Million neue Arbeitsplätze sind versprochen), außer, dass alles anders wird, weiß man
zwar immer noch nicht, aber vielleicht will sich Orbán die nachlassenden, aber doch noch überragenden Umfragewerte von um die 60% nicht weiter verhageln,
in dem er irgendwelche bitteren Wahrheiten anspricht, die auch er nicht hinwegzaubern können wird.
Präsident auf Insel-Hopping
Nach seinem viertägigen Besuch in Neu Seeland, flog Ungarns Präsident László
Sóylom am Sonntag nach Australien weiter, wo er sich ebenfalls vier Tage lang zu einem offiziellen Besuch aufhalten wird. Neben den üblichen Standardgesprächen,
Wirtschaftskontakten und touristischen Terminen, legt der umweltbewegte Präsident besonderes Interesse für alternative Energieerzeugung an den Tag. In
Neu Seeland informierte er sich bereits ausführlich zur Nutzung der Geothermie. Weiterer Programmpunkt war die Schließung des Ungarischen Konsulats in
Sydney, die zu großen Protesten in der sehr mobilen und gar nicht kleinen ungarischen Gemeinde Australiens geführt hatte. Sólyom nutzte auch diese
Chance, um den Konservativen eine kleine Wahlkampfhilfe zu Teil werden zu lassen, in dem er von Oppositionsführer Viktor Orbán ausrichten ließ, dieser
werde das Konsulat nach seiner Machtübernahme selbstverständlich wieder eröffnen. Ungarn hatte, aus Kostengründen, einige Botschaften und Ministerien schließen müssen.
Geld spielt keine Rolle mehr
Aber Geld spielt demnächst wohl ohnehin keine Rolle mehr, nichtmal bei
Spar-Gordon, der nicht nur eine 3 Mrd-EUR-Busflottenerneuerung ankündigen liess (unser Beitrag in der Wirtschaft) sondern, anlässlich des 125. Jubiläums der
Ungarischen Staatsoper (unser Beitrag in der Kultur) einen kompletten Neubau des Erkel-Theaters, der ehemaligen Volksoper ankündigte. 2013 soll die erste
Vorstellung hier stattfinden. Mit welcher Besetzung und welchem Dirigenten sagte er noch nicht, aber es wird ganz sicher wieder eine Nationaloperette mit viel TamTam und etlichen Knallchargen werden.
red
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