(c) Pester Lloyd / 11 - 2011 WIRTSCHAFT
15.03.2011
KOMMENTARE
Düster strahlende Zukunft
Ungarn baut voll auf Atomenergie, trotz Japan
Angesichts der Ereignisse in Japan verstärkt sich in Europa wieder die Debatte über Sicherheit und Notwendigkeit atomarer Energieerzeugung. Überall in Europa? Nein,
für ein kleines Land an der Donau spielen die Ereignisse in Japan keine Rolle, eine Debatte findet nicht statt, da die Regierung mit der Atomlobby praktisch identisch ist.
Das einzige Atomkraftwerk wird ausgebaut und bald das halbe Land allein mit Strom versorgen. Erneuerbare Energien werden weiter an den Rand gedrängt.
Energieabhängigkeit ist für Ungarn ein echtes Problem
Gleiches könnte man freilich auch so ähnlich
über die Slowakei berichten, bleiben wir aber in Ungarn. Nicht zu Unrecht verweist Ungarn bei jeder Gelegenheit auf das Problem seiner hohen Energieabhängigkeit, verfügt man doch selbst
kaum über nennenswerte Ressourcen, von etwas Erdgas und stinkender Kohle abgesehen. Dass eigene Versäumnisse an der hohen Abhängigkeit Schuld sein könnten, sagt man
nicht laut, lieber gibt man anderen die Schuld, - ein Kontinuum ungarischer Politik.
Das ist allen Ernstes ein für Journalisten zum Download empfohlenes PR-Foto der Betreiber des
Atomkraftwerkes von Paks.
Öl- und Gas kommen überwiegend durch die
Ukraine aus Russland, bzw., wenn es zwischen beiden mal wieder Streit gibt, eben auch nicht. Interconnectoren, Pipelines zwischen Ländern und Gasnetzen, wurden und werden ausgebaut,
Ungarn drängte seit dem Gas-Blackout vor zweieinhalb Jahren auf die Schaffung einer Nord-Süd-Achse vom Baltikum bis zur Adria und zum Schwarzen Meer, die sich auch auf
gutem Wege befindet. Außerdem baute man die Lagerkapazitäten aus und beteiligt sich gleichzeitig an den beiden konkurrienden Projekten South Stream und Nabucco, um die Öl-
und Gaszuflüsse für die Zukunft so weit wie nur irgend möglich diversifizieren zu können, auch ein Flüssiggasterminal auf der kroatischen Insel Krk, also unweit Ungarns, wird unterstützt.
Es gibt keine Strategie, nur ein Papier, das so heißt
Gleichzeitig liegt fast das gesamte Feld der Erneuerbaren Energien in Ungarn brach, eine
Verbindung zwischen der Vernachlässigung derselben mit der Energieabhängigkeit herzustellen, ist für die meisten ungarischen Politiker aber zu abstrakt. Dabei gibt es in
allen Bereichen erfolgversprechende Pilotprojekte, so z.B. bei dezentralen Biomassekraftwerken, mit denen sich Kommunen von den großen Energiekonzernen
abkoppeln könnten, was der auf nationale Selbständigkeit betonten Ideologie der Machthaber eigentlich entgegenkommt. Doch einen nationalen Aktionsplan gibt es nicht,
nur ein Papier, das so heißt und das man in Brüssel abgegeben hat, aber nicht den Willen zur Umsetzung. Dabei ist Ungarn in der EU die Verpflichtung eingegangen, den Anteil von
Erneuerbaren am Gesamtenergiemix von derzeit knapp über 5% auf 16% zu steigern. Sorry, hat eben nicht geklappt?
Neue Windparks werden seit Jahren nicht mehr genehmigt
Es existieren einige Windparks, wenn auch meist von deutschen und vor allem spanischen
Marktteilnehmern installiert und von den Platzhirschen argwöhnisch beäugt, neue Ausschreibungen gibt es schon seit längerem nicht mehr, also auch keine neuen
Genehmigungen. 2006 gab es die letzte gültige Ausschreibung mit etwas über 300MW Kapazitäten, ein Tender über 410 MW 2010 wurde - aus formalen Gründen -
zurückgezogen, dabei gingen Gebote für das Dreifache ein. Bedenken über den Zustand des Stromnetzes (die ungarischen Elektrizitätswerke, aber auch E.ON investieren zum Teil
nicht mal das nötigste, wie man sich jeden Winter und nach jedem Unwetter bei den zahlreichen Stromausfällen immer wieder überzeugen kann) und negative Nebeneffekte
(Lärm, Landschaftsverschandelung) etc. werden angeführt und auf kommende Plandungen verwiesen. Sonnenenergie, vor allem aber Geothermie, für die Ungarn aufgrund seiner
zahllosen heißen Quellen geradezu eine Vorreiterrolle spielen müsste, spielen jedoch kaum eine Rolle.
Wasserkraft in großem Stil ist nicht "in nationalen Interesse"
Und es sieht auch nicht so aus, dass sich das unter dieser Regierung ändern wird. Bei der
Wasserkraft hatte die Vorgängerregierung halbherzige Planungen für Wasserkraftwerke mit hoher Kapazität auf den Tisch gelegt, wie sie z.B. in Österreich bestens funktionieren,
von dort sind sie mittlerweile komplett verschwunden, auch mit dem Hinweis, "dass Ungarn für diese Art Energieerzeugung" nicht gemacht ist. Gemeint ist damit u.a. das extrem
geringe Gefälle der Donau oder Theiß, aber auch die Angst vor enormen Kosten bei der notwendigen Hochwasserprävention. Lediglich die Errichtung von kleineren Anlagen unter
10MW Leistung in Nebenflussbetten seien als Alternativen für Kommunen "im nationalen Interesse" heißt es im Széchenyi-Plan. Wissenschaftler sehen das anders, aber die Debatte
darüber scheint nicht gesucht zu werden.
Für Barbara Stoll, von Greenpeace Budapest „zeigt sich die neue Regierung in Sachen der
Klimapolitik zwar ambitionierter als die vorherigen Machthaber, es ist jedoch schwierig zu beurteilen, wie viel Handlungsbereitschaft sich tatsächlich hinter den Willensbekundungen
zu einer grüneren Politik verbirgt“. Bei den Parlamentariern der sonst eher sehr einheitlich auftretenden Regierungspartei gibt es durchaus interne Debatten über die kommende Richtung.
Fidesz-Fraktionschef wollte Förderungen drastisch senken - die eigene Partei pfiff ihn zurück
So musste Fidesz-Fraktionsvorsitzender János Lázár seinen Entwurf zur massiven
Reduzierung der staatlichen Förderung für erneuerbare Energien auf Drängen aus den eigenen Reihen zurückziehen. Lázár schlug vor, die staatliche Unterstützung erst um 25
und später um 35 Prozent zu reduzieren. Der Entwurf widerspricht eigentlich dem "Nationalen Aktionsplan für erneuerbare Energien", der immerhin bei der EU hinterlegt
wurde und das Erreichen der Klimaziele und eines progressiveren Energiemixes enthält. Nicht zuletzt werden die positiven Effekte der Erneuerbaren Energietechnologien auf die
Klein- und Mittelbetriebe auch im neuen Széchenyi-Plan erwähnt und sollen mit dazu beitragen, dass das überehrgeizige ZIel von "einer Million neuer Arbeitsplätze in zehn
Jahren" Realität werden kann. Gerade hat der japanische Konzern Sanyo ein großes und hochmodernes Photovoltaik-Werk eröffnet, mit 300 neuen Mitarbeitern, die Produktion
geht aber zur Gänze ins Ausland, die Wertschöpfungskette bei erneuerbaren Energien reißt also schon am ersten Glied.
Das Land hinkt um Dekaden hinterher
Der für Energie zuständige Staatssekretär, Bencsik, äußerte sein Unverständnis über seine
so rigoros rückwärtsgewandten Parteikollegen zunächst auf seiner Facebook-Seite, andere Fidesz-Abgeordnete redeten Fraktionschef Lázár, dessen Expertise bisher ohnehin nie über
Parolen hinausging, ins Gewissen. Der Interessenverband MMESz hat ein Protestschreiben an den Ministerpräsidenten und die beteiligten Ministerien gerichtet, aber wohl nur mit
dem Erfolg, dass es nicht schlechter wird als zuvor. Kurz gesagt: Ungarn hinkt, wegen Unwillen und Unfähigkeit der Entscheider sowie dem erfoglreich gepflegten Desinteresse
der Einwohner den Entwicklungen um ein paar Dekaden hinterher und könnte - trotz toller Voraussetzungen - nun bald ganz den Anschluss verlieren.
Der Einbau des Reaktorkerns in einen der Blöcke in Paks. In den achtziger Jahren verkaufte man das als
Sieg des Sozialismus, heute ist es der Sieg der Nation über die Globalisierung.
Ein AKW könnte bald die Hälfte des gesamten Stroms erzeugen - Diversifizierung?
Denn was bleibt, so die Übereinkunft der Regierung, die Ungarn in eine vielfach strahlende
Zukunft führen will, ist das Kernkraftwerk in Paks und der Beschluss (da ist man sich mit den verhassten Vorgängern einig), die Anlage um zwei Blöcke zu erweitern. Die Sicherheit
der eigenen Atomanlagen wurde angesichts der Ereignisse in Japan von offizieller Seite nicht einmal angeschnitten, sehr laut fragte jedoch auch niemand danach. Die Kapazitäten
des Atomkraftwerks sollen enorm erhöht werden, obwohl Paks schon jetzt 42,1% (2010) des in Ungarn erzeugten Stroms liefert. Zwischenzeitlich könnten es sogar deutlich über
50% werden, bis der älteste Block, kurz danach der zweite abgeschaltet werden sollen.
Ungarn macht sich sozusagen von einem einzigen AKW abhängig und verkauft das noch als
Erfolg im Kampf um nationale Unabhängigkeit. Die jährliche Umfrage der Betreiber "ergab, dass 78% der Ungarn den Betrieb des Atomkraftwerkes akzeptieren", - was sollten
sie auch sonst tun...
Das Kernkraftwerk Paks, gerade etwa 100 Kilometer südlich von Budapest gelegen, besteht
aus vier Blöcken, die zwischen 1982 und 1987 ans Netz gingen. Die Reaktoren sind sowjetischer Bauart der sog. zweiten Generation, die gerade für rund 600 Mio EUR von
Atomstrojexport modernisiert wurden, um die Leistung der Reaktoren von je 500 auf ca. 510 MW zu steigern. Die neuen Reaktoren sollen ab 2016 je bis zu 1000 MW erbringen. Die
Laufzeit der alten Reaktoren wurde um weitere 20 Jahre bis rund 2035 verlängert.
Keine Endlagerung, nur neue Zwischenlagerungen
Problematisch ist die Lagerung der radioaktiven Abfälle. Sie werden seit Jahren in
Püspökszilágy zwischengelagert, ein Endlager existiert noch nicht, da man dort, lediglich 40 km vor Budapest nur schwach- und mittelradioaktive Abfälle endlagern darf. Betreiber des
Zwischenlagers ist seit 1976 die deutsche Firma DBE Technology GmbH in Peine, die aufgrund der Kapazitätserschöpfung des 5000 Kubikmeter-Stollens froh ist, dass in
Bátaapáti 2007 mit dem Bau eines neuen geologischen Endlagers für schwach- und mittelradioaktive Abfälle begonnen wurde. Die Inbetriebnahme der ersten
Einlagerungskammern ist für 2011 vorgesehen, doch auch dort kann der Dreck aus Paks nicht ewig bleiben.
Die Bauarbeiten für den neuen Block sollen 2012 beginnen,
Sondierungen mit Investoren werden geführt. Die nötigen Milliarden dafür wird man aubringen, an den Millionen für die energetische Sanierung von
Plattenbauten wird indes weiter geknabbert. Der Eigentümer, die staatliche MVM prüft derzeit Angebote, technischen Möglichkeiten und Standards von Westinghouse Electric LLC
- eine Tochter von Toshiba, ein Joint-Venture aus Areva (Frankreich) und Mitsubishi Schwerindustrie, eine französisch-deutsche Kooperation (Siemens) sowie Atomstrojexport
aus Russland, fast alle ja nun mittlerweile mit einschlägiger Expertise bei der Katastrophenbewältigung.
Auch in Paks hat man schon so seine Erfahrungen gemacht. Ein Wartungstrupp hatte 2003
eine Hülle beschädigt, die besser fest verschlossen bleibt, auch 2008 und 2009 gab es "kleinere" Zwischenfälle, insgesamt waren es 16 (gemeldete). Doch bestand und besteht
kein Grund zur Panik, hieß es damals so wie heute, in Japan, Deutschland und Ungarn sowieso...
red. / M.S. / J.F. / D.K.
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