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(c) Pester Lloyd / 29 - 2011  POLITIK 18.07.2011

 

Ernte eingefahren

Bürger von Gyöngyöspata machen Neofaschisten zum Bürgermeister

Die durch die Belagerung durch rechtsextreme Gruppen bekannt gewordene Gemeinde Gyöngyöspata im Norden von Ungarn wählte am Sonntag einen neuen Bürgermeister, nachdem der vorherige Ortschef im April von seinem Posten geflohen war. Die Bürger belohnen so den Einsatz der rechten Gruppen, sie trauen dem Staat immer noch nicht zu, die Lage dauerhaft zu entspannen, zu Recht.

Nicht der örtliche Tanzhausdirektor, sondern der neue Bürgermeister, Oszkár Juhász von der Partei Jobbik...

Als Sieger aus der Bürgermeisterwahl am Sonntag, ging der Kandidat der neofaschistischen Partei Jobbik, die auch im nationalen Parlament vertreten ist, Oszkár Juhász, mit rund 34% der Stimmen hervor. Er verwies die unabhängige (fidesz-nahe) Kandidatin mit 26% sowie den polizeibekannten Chef der Nazi-Gruppe "Schutzmacht" mit 10,5% auf die Plätze. Der Kandidat der örtlichen Romaminderheit zog seine Kandidatur kurzfristig zurück, um die Stimmen seiner Anhänger für einen aussichtsreichen Kandidaten freizugeben. Hätten die nicht-rechtsextremen Kandidaten im Ort zusammengehalten und sich auf einen Kandidaten geeinigt, wäre ein neofaschistischer Bürgermeister (und ja, die Jobbik ist eine neofaschistische Partei) - wenn auch sehr knapp - verhindert worden. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 60%. Juhász kündigte als eine seiner ersten Amtshandlungen an, dauerhaft eine "Gendarmerie" im Ort einzurichten. Woher das Personal dafür kommt, kann man sich ungefähr ausmalen. Wenn die neue "Bürgerwehr" in Absprache mit und "unter Kontrolle" der Kommune agiert, trifft für sie auch nicht das neu geschaffene Gesetz zum Verbot uniformierter Aufmärsche zu.

Die Vorgeschichte

Juhász` Vorgänger, László Tabi, rief im März - "auf Bitten der Bürger" - die neofaschsistischen "Bürgerwehren" zu Hilfe, um seine Einwohner gegen die ausufernde "Zigeunerkriminalität", wie in Ungarn die allgegenwärtige Armutskriminalität genannt wird, zu schützen. Die mit der Parlamentspartei Jobbik verbandelten Gruppen übernahmen für Wochen die Hoheit, führten Personenkontrollen durch, verweigerten Angehörigen der Roma des Ortes durch Straßensperren und Drohgebärden den Durchgang vom "Ghetto" zum "magyarischen" Teil. Die Rechtfertigung dafür lautete, dass der Staat seine Aufgaben nicht wahrnimmt, "die Ungarn" vor den "kriminellen Zigeunern" zu schützen, daher müsse dies nun "das Volk" selber tun. Die regierungsnahe Presse schmückte diese Aussagen mit blumigen O-Tönen aus Gyöngyöspata aus, die von unhaltbaren Zuständen im Zusammenleben zwischen Minder- und Mehrheit berichteten und so die These von der mangelnden Erfüllung der Fürsorge- und Ordnungspflicht des Staates belegten. Die Partei Jobbik versammelte auf einer Kundgebung hunderte Anhänger in dem Ort, um die Aufstellung einer landesweiten Gendarmerie zu fordern.

Die Aufarbeitung

Es kam neben den genannten Nötigungen in Gyöngyöspata im März und April auch zu tätlichen Übergriffen - von beiden Seiten, der Bürgermeister hatte sich längst "krank gemeldet", der Medienauflauf war ihm wohl zu viel. Die Lage eskalierte endgültig, als die "Schutzmacht" eine Wehrsportübung im Ort in Sichtweite der Romasiedlung abhalten wollte, das Rote Kreuz und private Initiativen evakuierten daraufhin Teile der Romabevölkerung, fast 200 Frauen und Kinder, aus Angst vor einer gewalttätigen Eskalation. Die Regierung sprach von einem "organisierten Osterausflug", was sich als glatte Lüge herausstellte. Das Parlament leitete eine Untersuchung ein, um herauszufinden, welche "feindlichen Kräfte" das Land verleumdeten. Erst allmählich holte sich der Staat sein Gewaltmonopol zurück, es wurde ein Anlassgesetz gegen Aufmärsche in Uniform geschaffen, die Ermittler verweigerten jedoch bis zuletzt eine strafrechtliche Verfolgung der Vorgänge als Straftaten aus rassistischen Motiven. Hingegen wurde eine Roma-Frau, die die Hasstiraden einer keifenden Einwohnerin mit Prügel beantwortete ins Gefängnis gesteckt, weil sie die ihr aufgebrummte Geldstrafe nicht zahlen konnte. Der Chef der "Schutzmacht" erhielt wegen des Angriffs auf Polizisten indes Bewährung und blieb somit auf freiem Fuß und konnte als Kandidat für das Amt des Bürgermeisters antreten. (Mehr dazu hier) 134 Bürger von Gyöngyöspata sprachen ihm sein Vertrauen aus.

Hintergrund

Gyöngyöspata wurde zum Symbol dafür, dass der Staat die Minderheit aufgegeben hatte (nicht erst unter dieser Regierung), zum Teil aus Kalkül, zum größeren aus blanker Unfähig- bzw. Unwilligkeit. Erstaunlich war die lange abwartende Haltung des Innenministeriums und des Premiers, die erst einen bestimmten Siedepunkt abwarteten, um dann - vor allem medial - umso resoluter auftreten zu können. Eine nationale Romastrategie, die diesen Namen verdient, gibt es in Ungarn bis heute nicht, lediglich den Plan, die mehrheitlich Arbeitslosen in straff organisierte Beschäftigungsprogramme zu stecken und dort zu beaufsichtigen. Beschmückt wird diese weitere Ghettoisierung mit ein paar Pseudoförderprogrammen, für die aber weder genügend Mittel noch Strukturen vorhanden sind. Die Roma verfügen weder über eine unabhängige Vertretung in der Exekutive (die Landes”selbst”verwaltung ist in Fidesz-Hand und ohnehin machtlos) noch in der Legislative (Parlament) - Selbstbeteiligung ist im neuen Machtkonzept dieser Regierung nicht vorgesehen, weder für die Roma, noch für sonst jemanden im Lande.

Ausführlicher haben wir die Problematik in diesem Beitrag aufbereitet, dort finden sich auch Details zu den Ereignissen in Gyöngyöspata im Frühjahr.

red. / ms.

 

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