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(c) Pester Lloyd / 38 - 2011  WIRTSCHAFT 19.09.2011

 

Nothaushalt Nr. 4

Budgetentwurf 2012: Ungarn bleibt in Krisen gefesselt

In Zeiten wie diesen legt man nicht einfach einen Entwurf zum Staatshaushalt vor, es muss schon ein "Budget zum Schutz der Nation" sein, wie "Nationalwirtschaftsminister" György Matolcsy seine Skizze für 2012 nennt, die er dieser Tage Regierung, Parlament und Öffentlichkeit präsentierte. Die Mehrwertsteuer stellt einen Europarekord auf, die Löcher, die gestopft werden müssen, werden immer größer, die sozialen Ungerechtigkeiten ebenso. Zwar erkennt man mittlerweile die Realitäten halbwegs an, zieht aber weiter die falschen Schlüsse daraus.

Das 2011er Budget verpackte Nationalwirtschaftsminister György Matolcsy noch liebevoll,
heute regiert nur noch der nackte Schrecken.

Erinnern wir uns: über 3% und ab 2012 dauerhaft 4-6% Wirtschaftswachstum, ein aufblühender Mittelstand, 100.000 neue Arbeitsplätze jedes Jahr: so sah die Prognose Matolcsys vor einem Jahr aus. Wir bekamen, was viele Experten auch so erwarteten: rund 1,5% Wachstum und 4% Inflation, 18.000 weniger Jobs als im Vorjahr und der Staat ist genötigt für das nächste Jahr eine "zusätzliche steuerliche Justierung" von 1.000 Milliarden Forint vorzunehmen (ca. 3,5 Mrd. EUR bzw. 3% des BIP), obwohl er in diesem Jahr durch die Enteignung der privaten Rentenversicherungen eine nie dagewesene Finanzspritze von fast 10% des BIP bekam. Mit einem Teil dieses Geldes hat er freilich - zum Guten des Staatshaushaltes - die Schulden der Krisen bezahlt und die Schuldenquote des Staates um einige Prozentpunkte senken können.

Wieder ein Loch: diesmal 1000 Milliarden

Doch Aufatmen kann im Finanzministerium niemand. Die Steuern aus produktiver Arbeit und Konsum sinken, die Investitionen bleiben aus, die Industrieproduktion stagniert und der Arbeitsmarkt liegt weiter am Boden. Setzt man diese Tristesse mit dem verbalen, politischen Lärm in Beziehung wird die Kluft zwischen Schein und Sein in Ungarn mehr als deutlich. Nun also 2012 und das nächste 1000 Milliarden-Loch. Prosit Neujahr. Was wird es geben?

Anstelle der 3%, nur 1,5% BIP-Wachstum, auch wenn die "Erwartungen der Regierung bei 2%" stehen. Immerhin berechnet Matolcsy diesmal den Haushalt mit dem worst-case-Szenario und nicht in der Champagnerlaune, in der er Ende 2010 war - ein Fortschritt. Die Ausgaben des Staates müssten gegenüber diesem Jahr nochmals um 300 Mrd. Forint (1,1 Mrd. EUR) sinken und der Umsatz wird (sagt der Minister) um 445 Mrd. Forint gesteigert, "durch Steueränderungen und andere Maßnahmen auf der Umsatzseite", umschreibt Matolcsy etwas phantasielos die kommenden Steuererhöhungen. Die Schuldenrate des Staates könne so von den mutmaßlich 73,2% Ende 2011 auf 72% gesenkt werden. Dadurch bleiben dem Staat 50 Mrd. Forint an Zinsen erspart, die man aber jetzt noch nicht einkalkulieren mochte, um auch für "unvorhergesehene Ereignisse gerüstet zu sein".

 

Dieses Steuersystem würde in anderen Ländern eine Revolution auslösen

Der zu Beginn des Jahres eingerichtete Not- und Stabilitätsfonds, der nur für absolute Notfälle angesagt, aber schon kurz darauf angeknabbert wurde, wird wieder ganz ins Budget integriert, sprich, geplündert, ein neuer "Nationaler Schutzfonds" soll ihm dann nachfolgen. Die Ungarn werden bald die höchste Mehrwertsteuer in der EU zahlen müssen, der Regelsteuersatz wird von 25 auf 27% angehoben, was gerade rund 150 Mrd. HUF im Jahr bringen soll. Diese Gelder sollen in diesen "Schutzfonds" fließen. Eine erhöhte Mehrwertsteuer schadet wieder dem Handel, der Wirtschaft und ist eine weitere Bürde in erster Linie für die unteren Einkommensschichten. Eine Flat tax auf alle (!) Einkommen von 16% auf der einen, eine Mehrwertsteuer von 27% auf der anderen Seite wäre in anderen Ländern Grund für eine Revolution.

Damit man das Versprechen, das Superbrutto der Flat tax abzuschaffen (also die Anrechnung der Arbeitgeberanteile am Lohn auf die Steuerbasis des Arbeitnehmers) einhalten kann, muss man den Arbeitgeberanteil an der Krankenversicherung um 1,5 Prozentpunkte steigern, beim Arbeitnehmer um 1. Außerdem ist die Minimalbasis für die Berechnung der Arbeitgeberanteile in Zukunft das Anderthalbfache des Mindestlohnes, womit man ein wenig der weitverbreiteten Praxis entgegentreten möchte, die Mitarbeiter auf Minimallohn anzumelden und den Rest schwarz auszuzahlen. Hier in einen fiskalischen Dialog, eine Art "New Deal" mit den unternehmerischen Staatsbürgern einzutreten, wie einmal angeküdigt war, hat diese Regierung auch aufgegeben, Repression ist natürlich effizienter und entspricht auch mehr der Tradition...

Es zahlen wieder die Ärmsten

In Schnellanalysen errechneten Wirtschaqftsexperten, dass diejenigen, die den Mindestlohn verdienen im nächsten Jahr, wenn der Lohn so bleibt, mit bis zu 14% Einkommensverlust rechnen müssen (d.h. er bringt noch rund 53.000 statt bisher 60.000 netto nach Hause), wer bis 100.000 Forint verdient büßt 10% ein, erst ab rund 210.000 sieht es dann günstiger aus. Je mehr ab dort jemand verdient, umso größer, absolut und prozentual ist der Benefiz - das nennt die Regierung dann tatsächlich “proportionales Steuersystem”.

Weitere Steuererhöhungen ereilen Versicherungsunternehmen bzw. eher deren Kunden. Ab kommenden Jahr wird es eine Unfallsteuer geben, denn dem Staat entstehen durch jeden Unfall Kosten (Aufnahme durch die Polizei, Reinigung und Instandsetzung von Straßen und öffentlichem Eigentum), so argumentiert das Finanzministerium, die Steuer auf Firmenwagen wird um bis zu 40% angehoben, abhängig von deren Umweltstandard. Der Mehrwertsteuersatz auf Luxusgüter von 35% ist noch im Wartestand, hier muss die EU erst grünes Licht geben. Ab 2012 soll außerdem Glücksspiel - auch im Internet - besteuert werden.

Von 1 Million neuer Arbeitsplätze spricht man nicht mehr

Durch all diese Maßnahmen soll das operative Ergebnis des Staatshaushalts 2012 unter dem Strich 750 Mrd. Forint besser ausfallen als in diesem Jahr, wobei man eine Reserve von 300 Mrd. vorhält. Damit das aufgeht, muss ein 0,2%-Plus beim Konsum her, darf die Inflation nicht über 4,2% steigen, die Investitionen müssen um 3,2% anziehen, die Realeinkommen müssen um 1,5%, die Beschäftigtenrate um 1 Prozentpunkt anziehen. Das entspräche rund 35.000 neuen Arbeitsplätzen (netto).

Das Ziel, jedes Jahr rund 100.000 neue Jobs zu schaffen, - eine Million binnen 10 Jahren - sollten es sein, wurde kleinlaut unter den Tisch fallen gelassen. Es wäre das erste Mal, dass diese Regierung eine ihrer Parolen oder Versprechungen zu Gunsten der Realität fallen lässt: in diesem Jahr sank die Zahl der Beschäftigten bisher um 18.000 zum Vorjahr, vor allem durch das Auslaufen alter Beschäftigungsprogramme und das noch nicht Anlaufen der neuen, extremen Maßnahmen sowie durch Abbau von Stellen im öffentlichen Dienst, die Wirtschaft legte hingegen nur leicht zu. Matolcsy wird nächstes Jahr weitere 5000 Mitarbeiter von Regierungsbehörden feuern, wer sie in der Privatwirtschaft einstellt, bekommt ein Jahr Steuerbefreiung.

Opposition: Hat der Minister die Medikamente abgesetzt?

Die ersten Reaktionen der Opposition sind schnell zusammengefasst: die Sozialisten sprechen von einem "Budget der Armut", da es dem Volk weiter Einkommen entzieht, die LMP fragt sich wo "Matolcsy seine Medikamente vergessen hat", Jobbik meint, "die Armen zahlen die Krise", das Scharmützel mit den Banken sei reine Spiegelfechterei.

Halten wir fest: das Budget orientiert sich an realistischeren Szenarien als jenes zuvor, was einen erzwungenen Fortschritt darstellt, da der Regierung nicht noch einmal ein so warmer Regen in den Schoß fällt wie 2011 durch die privaten Rentenbeiträge. Steuern auf Konsum werden auf Rekordniveau erhöht, Arbeit wird weiter verteuert, neue Jobs kaum stimuliert, der Staat fängt den Arbeitsmarkt (statistisch) durch Zwangsmaßnahmen auf.

Die Regierung Orbán war mit dem "Neuen Széchenyi-Plan" und vielen weiteren schön geschmückten Arbeitsmmappen angetreten, die "eigenen Kräfte" zu aktivieren, den Mittelstand zu fördern, Arbeit lohnend zu machen. Davon ist nichts übrig, hier hätte man vieles - auch mit wenig Geld - besser machen können, doch es gibt Gründe, warum die Fidesz-Leute die gordischen Knoten der Filzokratie in Ungarn nicht durchschlagen, sondern das alte nur durch ihr System, ihre Leute ersetzen.

Der "Angriff" auf die Banken zu Gunsten der Fremdwährungskreditnehmer nutzt nur denjenigen, die Sparguthaben vorweisen können. So kommt Geld von den Leuten ins System, es wird der Immobilienmarkt angekurbelt und der Einfluss des Staates auf das Finanzsystem, sprich die Macht der Partei, erhöht. Hunderttausende, die heute schon pleite oder so gut wie sind, nutzt der Vorstoß gar nichts. Im Gegenteil, in nie dagewesenem Maße höhlt die Regierung Arbeits- und Arbeitnehmerrechte aus, baut das Land endgültig in einen Untertanenstaat um.

“Niemand wird am Straßenrand liegen gelassen...”

Die Regierung muss nun ein weiteres Notbudget verabschieden und bangen, dass es hält, das vierte seit 2009.  Den Umschwung kann Orbán mit solchen Leuten wie seinem Fachminister Matolcsy und dieser fiskalischen Flickschusterei nicht schaffen, er wagt nichts, er verwaltet nur noch das Elend, so wie es sein Vorgänger Bajnai vorher - mitten in der Krise - auch schon tat. Zu einem Drittel ist diese Situation sicher den Vorgängern geschuldet, zu einem weiteren Drittel den weltweiten Krisen und den Nachwehen von 2008, deren Spielball Ungarn ist, - das letzte Drittel jedoch besteht aus dem Versagen und der Realitätsverweigerung zu Gunsten irgendwelcher Heilsversprechen dieser Regierung, - zu Lasten des einfachen Volkes, wie immer.

Orbáns Spruch "niemand wird am Straßenrand zurückgelassen", ist reiner Hohn und schon die nächste Lüge. Die einzige Dynamik dieser Regierung besteht in der Beschimpfung des Auslandes und der inneren "Feinde" sowie in der Umschmückung des Landes in nationalistische Farben. Der Regierungschef verlangt aber genau dafür "die Unterstützung des Volkes". Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis ihm diese versagt bleiben wird.

red.

Zur Diskrepanz von Realität und Wunsch und ideologischen Übertreibungen dieser Regierung als Ablenkung finden Sie hier einen ausführlichen Beitrag: Die vorgetäuschte Revolution
Böses Erwachen: Orbáns Traum von Ungarn - von der Realität überholt

 

 


 

 

 

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