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(c) Pester Lloyd / 38 - 2011  KULTUR 24.09.2011

 

Kein Pardon

Aus für das Zöld Pardon in Budapest - wieder ein Opfer des Kulturkampfes in Ungarn

Klar, es ist nur ein Club, nicht gleich der Untergang des alternativen Abendlandes. Doch die Schließung des Zöld Pardon ist ein weiterer Verlust von Freiraum für die Jugend und symptomatisch für die Anmaßung kulturell beengter, spießiger Politiker, Kultur zu bewerten, zu verpolitisieren und zu “nutzen”. Es geht gegen “Internationalismus” und damit gegen die Freiheit, Kultur soll hinfort “nationale Identifikation” stiften.

Der Mietvertrag für den Budapester Open Air Kultclub Zöld Pardon wird nicht erneuert. Das beschloss die Bezirksversammlung des XI. Bezirks mit der Mehrheit der Fidesz-Abgeordneten. Damit muss der Club mit, der in den 13 Jahren seines Bestehens zu einer der beliebtesten Adressen der ungarischen Hauptstadt und ihrer Besucher geworden ist, bis Ende Oktober geräumt sein.

Tausende Jugendliche demonstrierten vor dem Bezirksrathaus für ihren Klub - die “Bürgervertreter” beeindruckte das nicht. Was kommt jetzt, noch ein Bürohaus?

Die Entscheidung fiel in einer geschlossenen Versammlung, ein Notar trug das Ergebnis vor, ohne Details mitzuteilen. Die sollen in den nächsten Tagen im Internet nachgereicht werden. Bleibt also genug Zeit, noch ein paar strafwürdige Freveltaten aufzubrezeln. Die Macher des Zöld Pardon hätten jedoch die Möglichkeit, samt ihrer Betriebsgenehmigung in ein anderes Quartier zu ziehen, erklärte der Jurist gnadenvoll. Das Management der Betreiber Kft. bemerkte dazu, dass ein solcher Umzug mit enormen Kosten verbunden sein würde, die bisher vorgeschlagenen Areale seien zum Teil verkehrsungünstig, ja geradezu jugendgefährdend gelegen.

Zöld Pardon in besseren Tagen...

Sogar der Fidesz-OB findet das nicht “sonderlich clever”

Der Fidesz-Bezirksbürgermeister, Tamás Hoffmann, erklärte bereits im August, dass er keine Vertragsverlängerung wünsche, die Beschwerden von Anwohnern hätten stark zugenommen. Doch welche Anwohner? Das Gebiet ist ringsum von Straßen umgeben. Geht es doch nicht eher um eine “wertschöpfendere Nutzung”? Überhaupt, was wollen junge Ungarn so spät noch auf der Straße, ohne Aufsicht.

Vor einigen Tagen demonstrierten tausende Jugendliche für den Erhalt des Clubs und auch für ihre urbane Lebensweise, die vor allem aus Nichtgängelung bestehen soll. Die Clubleitung überreichte dem Bezirk eine Unterschriftenliste mit über 110.000 Unterschriften. In den 13 Jahren seines Bestehens gab es im Zöld Pardon 1.800 Konzerte, die von über 6 Millionen Menschen besucht wurden.

Sogar der Budapester Oberbürgermeister István Tarlós, selbst Fidesz, findet die Entscheidung "politisch nicht sonderlich clever", zumal die "sehr populäre Anlage nicht in einem Wohngebiet, sondern mitten im Uni-Campus" gelegen ist (umgeben von Straßen). Die Einsicht gibt es also, doch natürlich ist der XI. Bezirk in seiner Entscheidungsfindung - so ist das in der Demokratie - autonom. Autonomer also als z.B. das Verfassungsgericht oder die öffentlich-rechtlichen Medien, aber naja. Eine großzügige Lösung wäre hier möglich gewesen und hätte womöglich sogar zu Ansehensgewinn der Regierenden geführt, eine Motivation, die sonst eine Menge möglich macht.

Kultur soll dem Prestige der Nation dienen

Das Zöld Pardon allein, wäre nicht das Problem, doch der Beispiele sind so viele, dass niemand mehr ein dahinterstehendes System leugnen kann. Arbeiten wir uns einmal durch: Bereits vor einigen Monaten kam das Aus für das alternative Kulturzentrum Tüzraktér, in dem etliche Künstler Werkstatt und Bühne gefunden hatten. Ein Gericht behandelte eine Räumungsklage des zuständigen Bezirkes sowie der Stadtverwaltung, nachdem diese die Mietverträge nicht verlängerte und von “Besetzung” sprach.

Auch die Förderung anderer alternativer Kulturkonzepte wurde entschieden zurückgefahren, gröbstes Beispiel war der Entzug der Sockelfinanzierung für die freie Theaterszene sowie die Gleichschaltung bzw. “Nationalisierung” der staatlichen Filmförderung, durch Auflösung der freilich miserabel gemanagten Filmstiftung. Die großen Kultureinrichtungen wurden und werden nach und nach durch linientreues Personal übernommen, sogar die Leitung der Holocaust-Gedenkstätte wurde wegen einer nicht mehr konformen Geschichtsinterpretation gefeuert, hier wird Geschichtsrevisionismus in Reinform vollführt, die Freiheit der Wissenschaft mit Füßen getreten. In diesem Zusammenhang sind auch die öffentlichen (Vor)-Verurteilungen einer Reihe von zum Teil international angesehenen Geisteswissenschaftlern zu sehen, denen Subventionsbetrug zur Last gelegt wird. Und zwar in erster Linie von einem von Orbán direkt bestallten “Sonderkommissar”, der sich längst an der Judikative vorbei, aber mit Unterstützung williger Medien zum Großinquisitor aufspielt.

Bei aller Kleinteiligkeit der Einzelfälle, ist die Optik eines Kulturkampfes, den die heute Herrschenden offen eingehen, fatal. Denn je mehr man gegen den, manchmal auch nur vermeintlichen politischen Gegner vorgeht, das Gespenst des Internationalismus bekämpft, umso unglaubwürdiger wird der eigene Anspruch, verkommt er doch lediglich zur anderen Seite der Medaille.

Man muss nicht mehr fragen, welcher Geist in dieses Land gefahren ist, sondern ob Geist das Land gänzlich verlassen hat...

Auch in den großen Musentempeln wurde aufgeräumt. Der Palast der Künste turnusmäßig neu besetzt, die Staatsoper regelrecht geräumt: während der GMD der Staatsoper, Ádám Fischer, wegen politischer Einmischung selbst das Handtuch schmiss, wurde dem ambitionierten Chefregiesseur Balázs Kovalik der Vertrag nicht verlängert, zu progressiv, zu spinnert, zu wenig national, die vermeintliche Heldenoper Bánk bán wollte er doch tatsächlich von einem Italiener inszenieren lassen. Die Direktion wurde von einem Tag auf den anderen des Hauses verwiesen, natürlich wegen “schwerwiegender Budgetmissbräuche”, ließ wiederum Orbáns Volkskommissar Budai wissen. Gegen den Direktor des Nationaltheaters (links + schwul) wurden bereits mehrere öffentlichkeitswirksame Kampagnen gestartet. (Hier der “Rumänienskandal“ und die “Oralsexaffäre”.) Die Auswahl ist nur eine kleine.

Der letzte traurige Höhepunkt, der ein beredtes Licht auf die kulturfeindliche Stimmung im Lande wirft, ist die Geschichte um die Entgleisungen des Schriftstellers Ákos Kertész. Die Energie und Hysterie mit der sich der Staat, sogar der Präsdient auf einen linken Dummkopf stürzten, weil der “antiungarisch” schrieb, während täglich Legionen rechter Hassprediger - darunter ein guter Freund des Premiers - das Land - in nicht selten strafrechtlich relevanter Art - vergiften, ist so bemerkenswert wie erschreckend. Man muss nicht mehr fragen, welcher Geist in dieses Land gefahren ist, sondern ob der Geist das Land gänzlich verlassen hat...

Beschwerden von Anwohnern. Welche Anwohner?

Zwar sind viele der institutionellen Fälle nicht vergleichbar, da bei etlichen tatsächliche Miss- und Freunderlwirtschaft dahintersteckt, die Tendenz der Zentralisierung und Schaffung einer “Nationalkultur”, bei der statt der Freiheit der Kunst, das Prestige der Nation (der ganzen!) im Vordergund steht, ist jedoch unleugbar. Ja, das Versagen der Vorgänger wird geradezu dankbar angenommen, um die verlotterten Institutionen gleich gänzlich zu beerdigen oder wenigstens zu begradigen.

Der staatliche, der offizielle Kulturbegriff (Hier gehts zum Nationalgalopp, der in etwa das kulturelle Spektrum der heutigen Machthaber vorstellt.) erreicht in Ungarn eine neue, alte Enge und die Kultur soll eine politische Mission erfüllen. Dafür sind auch ausreichend und immer mehr Gelder vorhanden, auch für den Kulturexport. So wurden z.B. im Rahmen der EU-Ratspräsidentschaft über 4 Mio. EUR für begleitende Kulturprogramme bereitgestellt, die Székler in Siebenbürgen (das liegt übrigens in Rumänien) bekamen für 940.000 EUR aus Lotterieausschüttungen ein neues Kultur- und Medienzentrum, zusammen ergibt nur das genau die Summe, die früher die freie Theaterszene in Ungarn für ihre Grundbedürfnisse erhielt. Es ist also klar, was gespielt wird.

www.zp.hu

Marco Schicker

 

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