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(c) Pester Lloyd / 39 - 2011  POLITIK 27.09.2011

 

Integrationsshow

Ein "Expertenrat" soll die ungarische Romapolitik legitimieren

Im Parlament konstituierte sich am Montag der "Roma Koordinationsrat", der sich als Expertengremium für die Implementierung und Begleitung neuer Gesetzesvorhaben die Situation der ungarischen Roma betreffend, versteht. Kritiker sehen in dem Rat ein PR-Konstrukt der Regierung, das den neuen, zum Teil sehr streitbaren Maßnahmen zur "Integration" der Roma gesellschaftliche und internationale Legitimation verschaffen soll.

Premier Orbán und sein Oberroma Farkas tauschen Präsentkörbchen...

Unter der Leitung des Staatssekretärs für soziale Integration (Romabeauftragter), Zoltán Balogh, wollen sich zukünftig die 27 Mitglieder des Rates, bestehend aus Vertretern von Romaorganisationen, Kirchen, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretungen, einiger (systemnaher) NGO´s, dem Ombudsmann für Minderheiten, Kommunen, der Akademie der Wissenschaften, dem Statistischen Amt sowie dem Amt für Gleichstellung, regelmäßig treffen. Staatssekretär Balogh gab der Hoffnung Ausdruck, dass die breite Einbeziehung vieler gesellschaftlicher Gruppen die Romastrategie der Regierung zu einem Erfolg bringt, der ja vor allem auch im Interesse der Mehrheitsbevölkerung liegt, so Balogh. Am Ende des Jahres werden man, die auch im neuen Rat mitzuformende "Nationale Integrations- und Romastrategie" in Brüssel präsentieren.

Kritiker sehen in dem Rat ein PR-Konstrukt der Regierung, das den neuen, zum Teil sehr streitbaren Maßnahmen zur "Integration" der Roma gesellschaftliche Legitimation verschaffen soll, was man unter anderem daran erkennt, dass etliche unabhängige NGO´s, die sich zum Teil seit Jahren mit eigenen, nachhaltigen Projekten für die Roma engagieren, nicht dazu eingeladen wurden. Balogh ließ auch keinen Zweifel daran, dass der Rat vor allem zur Umsetzung der Regierungslinie zuarbeiten soll und nicht dazu da ist, eigene Ideen, womöglich die Regierung korrigierende einbringt.

Balogh nannte als Ziele: "100.000 Roma in Arbeit zu bringen, 10.000 einen Schulabschluss zu ermöglich und 5.000 für die Aufnahme an Hochschulen fit zu machen sowie 2.000 Roma zu Sozialarbeitern auszubilden." Vor allem die Arbetsbeschaffungsmaßnahmen, bei Lichte nichts weiter als Billigjobs ohne Perspektive unter Androhung des Sozialhilfeentzuges, werden von mit der Sache befassten Experten als kritisch betrachtet. Wie erste Beispiele zeigen, erweist sich die Umsetzung als populistische, erniedrigende Maßnahme, so übernahmen z.B. im Konfliktort Gyöngyöspata zum Teil genau jene Rechtsextremisten die "Aufsicht" über die Waldfegemaßnahmen (in diesem Falle Sträucher ausreißen), die zuvor in den faschistoiden Uniformen von sogenannten Bürgerwehren Angst und Schrcken verbreiteten. Vor allem aber birgt weder die Tätigkeit selbst einen Sinn, noch eröffnet sich für die Betroffenen irgendeine Perspektive daraus. Es geht - salopp gesagt - lediglich darum, dass die Zigeuner beaufsichtigt werden und der Ungar ihnen zeigt, wer Herr im Hause ist.

Pflichtbewußt freute sich auch Orbáns Oberroma, Florián Farkas, Chef der Roma "Selbst"-Verwaltung, über die Bestallung des neuen Rates, er würde "Hoffnung für die ungarischen Zigeuner" bringen, es sei schließlich das erste Mal, dass so ein breit aufgestelltes Gremium geschaffen wurde, um sich der Sache der Roma anzunehmen. Farkas ist als Fidesz-Mann an die Spitze der sogenannten Roma-Selbstverwaltung installiert worden, was ein leichtes war, weil dessen Vorgänger, der Chef der Roma Einheitspartei, sich in Betrugs- und Hinterziehungsskandalen verwickelte. Über eine unabhängige, eigene Vertretung, die Einfluss auf Legislative und Exekutive ausüben könnte, verfügen die geschätzt 600.000 ungarischen Roma bis heute nicht, die Minderheitenselbstverwaltungen sind eher Versorgunseinrichtungen für die jeweiligen Minderheitenfunktionäre und entfalten über die Verwaltung von einigen Kultur- und Bildungseinrichtungen keine maßgebliche Wirkung.

Die heutige Deckel-drauf-Politik ist indes lediglich die militante Fortsetzung der sträflichen Ignoranz der vorhergehenden Jahrzehnte, dieser - wie auch jeder vorherigen Regierung sowie auch der Mehrheit der Bevölkerung - fehlt es an jedem empathischen Ansatz, die systematische Asozialisierung der größten ethnischen Minderheit mit Konsequenz und Gründlichkeit in einer "nationalen Anstrengung" zu durchbrechen, was nur gelänge, wenn man die Betroffenen an der Gestaltung ihres Schicksal mit beteiligt.

Mehr zu diesem komplexen Thema in einigen Grundsatzbeiträgen dieser Zeitung sowie ein Beispiel von gelungener Arbeit an der Basis:

Die Unbelehrbaren
Gyöngyöspata und die "Zigeunerfrage" in Ungarn
http://www.pesterlloyd.net/2011_18/18unbelehrbare/18unbelehrbare.html

Perspektiven statt Interventionen
Forderungen zum Internationalen Tag der Roma an die EU
http://www.pesterlloyd.net/2011_14/14romatag/14romatag.html

Die Republik der Bürger
Bürgerproteste und neue Opposition in Ungarn - Teil 3: Die Roma-Projekte bei TASZ
http://www.pesterlloyd.net/2011_26/27republik3/27republik3.html

 

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