(c) Pester Lloyd / 45 - 2011
POLITIK 16.11.2011
UN-Organisation kritisiert neues Arbeitsrecht in Ungarn
Wenig Geschmack scheint die internationale Arbeitsorganisation (ILO) an dem Entwurf für ein neues Arbeitsgesetzbuch gefunden zu haben, den ihr die sechs Gewerkschaftsbünde
Ungarn Anfang September zur Bewertung vorgelegt hatten. Darauf deutet jedenfalls die Antwort aus Genf hin, wo die älteste Unterorganisation der Vereinten Nationen (UNO)
ihren Sitz hat. Zwar gibt es noch keine autorisierte Übersetzung der immerhin 13 Seiten umfassenden Kritik, aber so viel konnten die Gewerkschaften schon einmal vorab der
Presse mitteilen, dass sie die Bedenken der ILO als Rückenstärkung in ihren Auseinandersetzungen mit der rechtskonservativen Regierung empfinden.
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Dringend empfiehlt das internationale Gremium, bei einem so grundlegenden
Gesetzesvorhaben wie der Umgestaltung des Arbeitsrechts zum konstruktiven dreiseitigen sozialen Dialog von Regierung, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften
zurückzukehren. Sie stützt sich dabei auf internationale Erfahrungen, die bewiesen hätten, dass mit den Sozialpartnern gemeinsam erarbeitete Vorschläge der Beschäftigung
und dem sozialen Frieden mehr dienen würden als eine einseitig von oben angeordnete Veränderung des gesetzlichen Rahmens.
Wie Tamás Székely, einer der führenden Köpfe der Ungarischen Solidaritätsbewegung und
Vorsitzender der Chemiegewerkschaft, mitteilte, hat die ILO in ihrer Bewertung des geplanten Arbeitsgesetzbuches dessen Bestimmungen an internationalen Vorschriften und
Konventionen gemessen. Im ungarischen Gesetzentwurf vermisse sie unter anderem die Garantien für den sozialen Dialog, die Freiheit der Meinungsäußerung, Chancengleichheit
von weiblichen und männlichen Arbeitnehmern und eindeutige Voraussetzungen für die gewerkschaftliche Tätigkeit. Székely hob vor allem die Bedenken der ILO gegenüber
erweiterten Rechten der Betriebsräte und einem „Mobbing“ der Gewerkschaften hervor. Bekanntlich beabsichtigt die Fidesz-Regierung, den Betriebsräten das Recht einzuräumen,
Vereinbarungen von der Art treffen zu können, die mit den Tarifverträgen der Gewerkschaften konkurrieren würden.
Die internationale Arbeitsorganisation sehe im neuen Arbeitsgesetzbuch gleich an
mehreren Stellen die Gleichbehandlung und Chancengleichheit von Männern und Frauen am Arbeitsplatz verletzt. Sie schlage deshalb vor, eine allgemeine Antidiskriminierungsklausel
aufzunehmen, wie sie das Abkommen zur Chancengleichheit enthalte, das auch Ungarn ratifiziert habe. Nach der ersten Lektüre der gründlichen und umfangreichen
Anmerkungen des internationalen Gremiums forderte Tamás Székely die Regierung auf, den Gesetzentwurf sofort zurückzuziehen.
Am Montag hatte bereits die parlamentarische Opposition scharfe Kritik am neuen Arbeitsrecht geübt.
Es reicht! - In Ungarn wurde eine neue “Szolidarnosc” ausgerufen
Rainer Girndt
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