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(c) Pester Lloyd / 02 - 2012      POLITIK 13.01.2012

 

Am Tiefpunkt

Das Volk in Ungarn wendet sich von den Parteien ab

Die Performance der maßgeblichen ungarischen Politiker und Parteien wird von den Wählern als katastrophal eingeschätzt. Das Gefühl, wieder die falsche Wahl getroffen zu haben und nun gar keine mehr zu haben, ergreift die Mehrheit. Der Trend ist nicht neu, doch nimmt er allmählich Ausmaße an, die den althergebrachten Parteienstaat in Frage stellen könnten, was nicht unbedingt schlecht sein muss.

“Das System gefällt mir nicht”, gemeint das ganze Parteiensystem. Darin herrscht weitgehend Einigkeit in Ungarn. Aber wohin führt das: in die arme rechtsextremer Bauernfänger oder in eine neue Bürgergesellschaft?

Nach den neuesten Erhebungen des Umfrageinstituts Ipsos haben sich bereits 57% der Wahlberechtigten von den existierenden Parteien abgewandt und wollen gar nicht mehr zur Wahl gehen. Erstaunliche 84% der Gesamtbevölkerung sind dabei der Meinung, dass sich das Land auf dem falschen Weg befindet, was also den Zahlen nach auch einen Großteil derjenigen einschließen muss, die noch immer der Regierungspartei ihre Stimme geben würden, was ein gewisses Paradoxon oder dem Irrsinn nahe Verzweiflung darstellt.

Nach Angaben des Umfrageportals Polsters haben derzeit nur ein Viertel der Wahlberechtigten eine klare Parteipräferenz (Sonntagsfrage). Unter diesen Wählern steht die Regierungspartei Fidesz (samt KDNP) mit 39% Unterstützung an der Spitze, gefolgt von den Sozialisten (MSZP) mit 26%. Die rechtsextreme Jobbik liegt mit 22% der MSZP dicht auf den Fersen. Mit 9% kommt auch die LMP in dieser Kategorie auf ein beachtliches Ergebnis. Die vom ehemaligen Premierminister Ferenc Gyurcsány gegründete „demokratische Koalition“ wurde von 3% der Befragten als sichere Wahlpräferenz genannt. Die Daten der anderen Institute sehen das Fidesz etwas stärker, MSZP und Jobbik gleichauf bei um die 20% und LMP ein paar Punkte schwächer.

Übertragen auf die Gesamtbevölkerung heißt das folgendes: nach neuesten Analysen schrumpft die Wählerbasis der Fidesz weiter. Im Januar wollten nur noch 16% der Wahlberechtigten der Fidesz ihre Stimme geben, im Dezember 2011 waren es noch 18%, 2010 lag der Wert einmal über 35%. Die Oppositionsparteien haben es aber immer noch nicht geschafft sich die sinkenden Zustimmungswerte der Fidesz zunutze zu machen und sich als eine wählbare Alternative zu präsentieren.

Während das Nichtwählerpotenzial von Dezember auf Januar von 54% auf 57% anstieg, waren bei den Wählerpotenzialen der Oppositionsparteien nur geringfügige Veränderungen zu beobachten. Die MSZP liegt derzeit konstant bei 11%, während der Zustimmungsanteil der Jobbik von 10% auf 8% gesunken ist. Der Anteil der neu gegründeten Demokratischen Koalition liegt konstant bei 2%. Einen kleinen Zuwachs konnte nur die LMP erreichen, deren Zustimmungswerte unter den Wahlberechtigten von 3% auf 4% gestiegen sind.

Insgesamt hat Ipsos vor allem einen Trend festgestellt: die Wählerschaft hat eine schlechte Meinung von allen Politikern, von der derzeitigen Regierung und den Oppositionsparteien. Auf einer Skala von 0-100 Punkten erreichten beide Gruppen nur 19 Punkte.

In der Gruppe der Rentner hat die MSZP seit Monaten die höchsten Zustimmungswerte und liegt auch im Januar mit 25% Zustimmung deutlich vor dem Fidesz mit 18%. In der Gruppe der um die 50-Jährigen liegen Fidesz und MSZP derweil mit jeweils 15% gleich auf. Eindrücklich sind die Ergebnisse der Wähler in den Zwanzigern oder in den frühen Dreißigern – bei der jüngeren Wählerschaft liegen Fidesz und Jobbik mit 18% und 15% Zustimmung vorne.

Um einen Machtwechsel in der Zukunft möglich zu machen, wäre auch statistisch eine Kooperation zwischen den Oppositionsparteien notwendig. Der Januar war der erste Monat, in dem die Oppositionsparteien mit 16% in den Umfragen gemeinsam genau so viele Stimmen wie der Fidesz bekamen. Gleichzeitig ist eine Kooperation der Oppositionsparteien aus mehreren Gründen nicht sehr wahrscheinlich. Die Anhänger der LMP bleiben beispielsweise in kritischer Distanz zu den Sozialisten. Nur 5% gaben die MSZP als Zweitwahl an, während 18% eine Unterstützung der MSZP vor dem Hintergrund der vergangenen achtjährigen Regierungszeit vor dem Regierungswechsel 2010 ausschlossen.

Währenddessen erfreut sich die LMP bei den Anhängern der Sozialisten einer breiteren Unterstützung, 16% der Befragten gaben die LMP als ihre Zweitwahl an und nur 2% lehnten ein gemeinsames Bündnis ab. Bezeichnend ist dabei die Feststellung von Ipsos, dass Parteiaversionen in der Bevölkerung deutlich stärker ausgeprägt sind als Parteipräferenzen. Von den Befragten nannten 57% Parteien, die sie ablehnten, während nur 43% eine bevorzugte Partei im Parteienspektrum Ungarns ausmachen konnten. 17% der Umfrageteilnehmer waren sogar nur in der Lage Parteien zu nennen, die sie abgrundtief hassen und konnten keiner Partei auch nur einen Funken Sympathie entgegenbringen.

Auch den bisherigen Leistungen der Fidesz-Regierung stehen die Befragten meistens kritisch gegenüber. Während Fidesz-Anhänger der Regierung mit 53 aus 100 Punkten immerhin noch die Note „C“ auf der Zufriedenheitsskala gaben, waren die Anhänger der Oppositionsparteien deutlich kritischer und brachten mit Wertungen von 38 Punkten (Anhänger der MSZP), 28 Punkten (Anhänger der LMP) und 24 Punkten (Anhänger der Jobbik) ihre Unzufriedenheit mit der derzeitigen Regierungspolitik zum Ausdruck.

Die Umfragen zeigten auch, dass diejenigen ohne Parteipräferenz mit der politischen Elite insgesamt sehr unzufrieden sind. Die Zufriedenheitswerte aus dieser Gruppe wurden von dem Umfrageinstitut als „Zeichen totaler Verzweiflung“ gedeutet. Zustimmungswerten von 15 für die Regierung und 16 für die Opposition zeigen laut Ipsos, „die äußerste Enttäuschung“ von der ganzen politischen Klasse.

Insgesamt also ein äußert vernichtendes Urteil, dass die Umfrageinstituten der politischen Elite da übermitteln. Hatte der Fidesz schon im November massiv an Stimmen im Vergleich zur Machtübernahme im Frühjahr verloren, sollte es für die Verantwortlich doch Besorgnis erregend sein, dass sich dieser Trend nun auch im neuen Jahr fortsetzt.

 

Was aber vielmehr ins Auge fällt, ist die weitere Zunahme der Politikverdrossenheit oder auch Politikablehnung in der ungarischen Gesellschaft, die ungeahnte Ausmaße erreicht hat und damit auch den Oppositionsparteien ein miserables Zeugnis ausstellt. Ein politischer Wechsel scheint nur möglich zu sein, wenn es gelingt den Frust in der Bevölkerung in zivilpolitisches Engagement umzuwandeln und neues Vertrauen in womöglich ebenso neues politisches Personal zu wecken, das sich jenseits der althergebrachten Grabenkämpfe um eine wahre Interessensvertretung für die Belange des Volkes einsetzt, Beispiel: Szolidaritás-Bewegung. Vielleicht sollten die Meinungsforscher ihre Fragebögen allmählich umstellen.

Hannah Hecker

Ein Überblick über die Umfrageergebnisse der vergangenen Monaten seit den Wahlen 2010

Wahl analyse 2010. Die Jugend wählt rechts oder grün:http://www.pesterlloyd.net/2010_15/15forsense/15forsense.html

Wahlergebnisse 2010: http://www.pesterlloyd.net/2010_14/14wahlergebnis/14wahlergebnis.html

Umfrage Februar 2011: http://www.pesterlloyd.net/2011_07/07umfrage/07umfrage.html

Umfrage April 2011: http://www.pesterlloyd.net/2011_14/14umfrage/14umfrage.html

Umfrage September 2011: http://pesterlloyd.net/2011_38/38umfrage/38umfrage.html

Umfrage Oktober 2011: http://www.pesterlloyd.net/2011_39/39umfrage2/39umfrage2.html

Umfrage November 2011: http://www.pesterlloyd.net/2011_47/47umfrageipsos/47umfrageipsos.html

Umfrage Dezember 2011: http://www.pesterlloyd.net/2011_50/50wahlumfrage/50wahlumfrage.html

 

 

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