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(c) Pester Lloyd / 15 - 2012     WIRTSCHAFT   10.04.2012

 

Steuermanns Irrfahrten

Wirtschaftsminister von Ungarn will 30% Mehrwertsteuer

Nicht ganz so heftig wie jene von Premier Orbán, in seinen finanziellen Auswirkungen aber womöglich unmittelbarer, waren die vorösterlichen Eingebungen von Nationalwirtschaftsminister György Matolcsy. Am vorigen Donnerstag ließ sich der Minister mit neuen "unorthodoxen" Gedankenspielen in der regierungsnahen Wochenzeitung "Heti Valász" vernehmen. Derweil mahnen Experten, dass ein weiteres Herauszögern einer Einigung mit der EU ein teures Vabanquespiel sei.

Matolcsys Ostergedanken, dessen Sager den Forint und damit Zigtausende Fremdwährungsschuldner immer wieder an den Rand der Verzweiflung brachten, stifteten wieder einmal mehr Verwirrung als Klarheit über den fiskalpolitischen Kurs der Orbán-Regierung. Noch nachvollziehbar scheint der Wunsch nach einer "Finanztransaktionssteuer", die schließlich auch von Experten als geeigentes Mittel für eine gerechtere Besteuerung sowie eine Sanktionierung überbordender Spekulation gesehen wird. Matolcsy begründete in dem regierungstreuen Blättchen, dass man durch eine solche Steuer die "Steuerlasten auf Geldtransfer und Konsum" im Gegensatz zu Arbeit und Einkommen verschieben könnte, womit er sich auf einer Linie mit vielen EU-Kollegen findet.

Die andere Idee ist jedoch ganz und gar nicht EU-like, will Matolcsy (Foto) doch fünf verschiedene Mehrwertsteuerseätze einführen, von 5% auf Grundnahrungsmittel u.ä. über 15, 20, 25 bis zu einem Spitzen-Áfa-satz von 30%. Dabei ist Ungarn mit einem Regelsteuersatz von 27% bereits Europameister, der Minister räumt denn auch ein, dass für eine Genehmigung seitens der EU dafür zur Zeit die Chancen schlecht stehen. Weiterhin sprach Matolcsy davon für kleinere Unternehmen mit bis zu 30 Mitarbeitern eine "einfachere Unternehmenssteuer" auszuarbeiten, was etwas eigenartig klingt, immerhin liegt die Körperschaftssteuer für Unternehmen mit Gewinnen bis 500 Mio. Forint (1,6 Mio. EUR) bei 10%.

Frisch machen dürfen sich die Unternehmer schon einmal für eine "fünfstufige Arbeitssteuer", die "den Ungerechtigkeiten bei Arbeitskräfteangebot und -nachfrage" Rechnung tragen soll, was ein Hinweis darauf sein kann, dass man die Malaisen aus der unseligen Flat Tax für die unteren Einkommensschichten durch eine neue Steuer auszugleichen gedenken könnte.

Experten und "Analysten" zeigten sich vorsichtig entsetzt über die Vorschläge. Eigentlich hätten sie Ideen für strukturelle Sparmaßnahmen und gezielte Wirtschaftsförderung erwartet, statt wieder endlosen Neuvorschlägen über höhere Steuern und "neue Systeme". Auch wäre ein Alleingang bei Finanztransaktionssteuern nicht gerade vorteilhaft für die Interessen der internationalen Gläubiger ungarischer Staatspapiere sowie ein riesieger Nachteil für die ohnehin stark schwächelnde Börse in Budapest. Fünf Mehrwertsteuersätze halten Finanzexperten für einen bürokratischen Wahnsinn und geradezu für eine Einladung zur Hinterziehung und zum Betrug. Im übrigen sei die Mehrwertsteuer in Ungarn ohnehin schon einer der größten Konsumkiller, der Minister möge sich daher besinnen.

Dem Chefunterhändler ist sichtlich langweilig

An einer weiteren finanzpolitischen Front, dem angestrebten neuen Kredit-Deal mit dem IWF, gibt es derzeit mehr Selbstbeschäftigung als echte Fortschritte. Wie bekannt, warten die IWF-Oberen auf ein eindeutiges "Go" aus Brüssel bis überhaupt wieder offizielle Verhandlungen über ein neues rund 15 Mrd. EUR schweres Sicherheitsnetz (Stand-by-credit) aufgenommen werden.

 

Derweil vertreibt sich der ungarische Chefunterhändler, Minister Tamás Fellegi, die Zeit mit Selbsteinladungen bei der IWF-Zentrale in Washington und bei IWF-Vorstand Rosenberg sowie mit Gedankenspielen. Ihm ist mittlerweile so fad in seiner Wartestellung, dass er jetzt "Action" braucht und daher eine "auf Expertenebene handelnde Sofort-Task-Force" ins Leben rief, die Maßnahmen ausarbeiten soll, die notwendig sind, um die EU zufrieden zu stellen und in Verhandlungen eintreten zu können. Gut, diese Maßnahmen liegen der Regierung schwarz auf weiß aus Brüssel vor, doch die scheinen viel zu konkret, um umsetzbar zu sein. Nach jedem seiner vielen "informellen" Treffen erläutert er, dass man "jederzeit" zur Aufnahme von Verhandlungen bereit ist, aber "noch keinen festen Termin" habe. Ungarn habe seine Antworten auf den EU-Tisch gelegt, nun sei sie am Zug. Vielmehr, so sieht es die EU, sind bald die Gerichte am Zug.

Die Finanzwelt ist sich einig, dass das Herumgeier der ungarischen Regierung bei den Vertragsverletzungs- und dem Defizitverfahren bares Geld kostet und die Verzinsung für ungarische Staatsanleihen künstlich oben hält. Führende Bankhäuser und Volkswirte, vor allem im angelsächsischen Raum sehen eine IWF-Vereinbarung "weiter entfernt, denn je" und prophezeien Ungarn ein Schreckenszenario am Anleihemarkt, sollte die Sache gänzlich platzen. Kurzfristig sähe man kein Problem für Ungarn, sich zu refinanzieren, aber ein Übereinkommen mit der EU, das in Summe zwangsläufig kein technisches, sondern vor allem ein politisches sein müsste, bleibt zwingend erforderlich, will die Orbán-Regierung ihre Konsolidierungspolitik irgendwann von Erfolg gekrönt sehen.

Einen Überblick über die Lage der Wirtschaft in Ungarn 2012 finden sie hier
Die aktuellen Entwicklungen im Battle Ungarn - EU - IWF
hier

red.

 

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