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(c) Pester Lloyd / 29 - 2012     SERBIEN 16.07.2012

 

Die Rückkehr der "Genossen"

Neue Regierung von Serbien setzt erste Duftmarken

Knapp zwei Monate nach der Präsidentschafts- und Parlamentswahl in Serbien, formt sich in Belgrad allmählich eine neue Regierungskoalition. Nationalistische Kräfte bekommen die Oberhand, Präsident Nikolić macht einen alten "Kollegen" aus Milošević-Zeiten zum Marionetten-Premier. Was das für die konkrete Politik, das Leben der Menschen, die Demokratie und die EU-Perspektive Serbiens bedeuten wird, kann man anhand erster Aktionen deuten: nichts Gutes.

“Ungültig” schrieb einer auf das Wahlplakat von Ivica Dačić zum Präsidentschaftswahlkampf. Doch der Präsident verlängert das “Haltbarkeitsdatum” des einstigen Milošević-Genossen nochmals.

Mit 14,5% zum Regierungschef?!

Designierter Ministerpräsident Serbiens ist der Parteichef der "sozialistischen" SPS, Ivica Dačić, einer Partei, die noch von Slobodan Milošević gegründet wurde. Dačić, der unter Milošević Pressesprecher seiner Partei war und als sein enger Vertrauter galt, wurde nach dessen Tod 2006 zum Parteivorsitzenden und bemühte sich um eine gewisse Entradikalisierung. Viele meinen, er drehte sein Mäntelchen einfach nach dem Wind. Diese führte 2008 sogar zu einer Koalition mit der proeuropäischen Demokratischen Partei (DS) von Ex-Präsident Boris Tadić. Diese dürfte diesmal von der Regierung jedoch ausgeschlossen bleiben.

Das Merkwürdige an der sich formenden neuen Regierungskoalition ist, dass Dačić den Premier stellen soll, obwohl seine SPS gerade 14,5% der Stimmen einfahren konnte. Getragen wird die Koalition von der SRS, der "Serbischen Radikalen Partei", die sich in letzter Zeit als "Fortschrittspartei" betitelt und bei den Wahlen mit 24% den ersten Platz belegte. Es ist die Partei des neuen Präsidenten Tomislav Nikolić, einst Regierungsmitglied, sogar Vizepremier unter Milošević, der sich bereits durch einprägsame politische Statements eingeführt hatte und dessen Schachzug klarmachte, dass er sich mit Dačić einen alten "Genossen" zurück geholt hat.

Rache an und Demütigung für den Erzrivalen

 

Offenbar war Nikolić das Ausboten seines Erzfeindes Tadić so viel wert, dass er sogar auf den Premierssessel für seine Partei verzichtete, nur um eine tragfähige Koaltion gegen die DS, die mit 22% zweitstärkste Partei (im Wahlbündnis mit einigen anderen) bei den Wahlen wurde, zu zimmern. Man kann nur ahnen, welches Geschacher in den Hinterzimmern der Parteizentralen die letzten Wochen stattgefunden hat. Mit von der Partie ist als Mehrheitsbeschaffer auch eine Listenvereinigung der "Vereinigten Regionen von Serbien" (URS) sowie der mächtigen "Vereinigten Pensionisten" einschließlich vieler "Kriegsveteranen". Dass sich die SPS als Königsmacher "kaufen" ließ, sorgte in Serbien für nicht wenig Aufsehen. Mag sein, dass Nikolić damit Tadić zusätzlich demütigen konnte, in dem er ihm seinen ehemaligen Koalitionspartner umdrehte, doch das Volk hat sehr wohl erkannt, mit welcher politischen Hure Nikolić ins Bett gestiegen ist.

Allianz möglichst vieler Spießgesellen

Ivica Dačić, der 14%-Premier, kündigte großzügig an, dass durchaus "auch noch andere Parteien eingeladen sind, sich der neuen Mehrheit anzuschließen". Zwar würden weitere Mitglieder einer solchen Koalition die Arbeit noch mehr erschweren, wer aber die serbischen Verhältnisse kennt, weiß, dass es für einen Machthaber besser ist, nicht zu viel auf die Treue seiner Spießgesellen zu geben und lieber eine größere Auswahl an Koalitionspartner auf Lager zu halten, die man gegeneinander ausspielen kann, als das Risiko einer Erpressung durch nur einen Partner einzugehen. Dačić hat dazu auch die Führer der Sozialdemokraten (SDPS) sowie der "Demokratischen Aktion der Sandžak" zu Gesprächen geladen, beide Parteien waren ebenfalls Teile von Tadić` Wahlallianz. Auch den Vertreter der Allianz der Vojvodina Ungarn, Ištvan Pastor wollte Dačić am Montag noch treffen "unabhängig davon, ob dieser unserer Koalition beitreten will oder nicht".

Ethnische Ungarn zwischen den Stühlen

Das will von Seiten der Ungarn auch wohl überlegt sein. Gerade hatte das serbische Verfassungsgericht die Rechte der Vojvodina als Region beschnitten. Das Höchstgericht untersagte z.B. die Errichtung einer eigenen Vertretung der Vojvodina in Brüssel und beschnitt die Befugnisse lokaler Gerichtsbarkeit. Beides tat es, so ist man im serboungarischen wie im oppositionellen Lager überzeugt, in erster Linie aus politischen Motiven, wiewohl die Begründung eher formaljuristischer Natur waren und eher auf die nicht gewährleistete Gleichbehandlung aller serbischen Regionen zielte, die durch eine Vorzugsbehandlung für die Vojvodina unterlaufen würde. Nun können die Ungarnvertreter überlegen, ob ihnen Opposition mehr bringt als eine Machtbeteiligung und wie hoch der Preis für beides sein würde. Auch Budapest wird sich dazu sicher schon positioniert haben, aus den Erfahrungen, die man mit solcherlei Ratschlägen in Rumänien oder der Slowakei gemacht hat, kann man den Vojvodina-Ungarn nur raten, exakt das Gegenteil von dem zu machen, was Budapest will...

Postenschacher wichtiger als Koalitionsvertrag

Am 23. Juli wird die konstituierende Sitzung des Parlamentes stattfinden, in dieser Woche sollen sich die Koalitionäre zunächst intern über Ministerkandidaten und Koaltionsabmachungen einig werden. Dačić kündigte jedoch schon an, dass er nicht davon ausgeht, dass an der Koalitionsvereinbarung "noch etwas zu ändern sein wird", was viel über die "Bedeutung" eines solchen Vertrages sagt. Das Personalgerangel ist jedoch schon in vollem Gange, die Unabhängige Gewerkschaftsföderation SSSS will verhindern, dass Pensionistenchef Krkobabić Vizepremier wird. Er sei zu alt, heißt die schlichte Begründung, die Gewerkschafter fürchten jedoch, dass er zu sehr für die Pensionisten, statt die aktiven Arbeitnehmer lobbyieren wird und sehen ihre Fälle wegschwimmen.

Kommt die "viktorianische Krankheit" auch nach Serbien?

Was Dačić vor hat, ist bisher noch schwer zu deuten. Offiziell kündigt er "das Ende des wilden neoliberalen Kapitalismus, wo es nur um den Profit ging" an. Doch dies hat nicht viel zu sagen, zum einen trug er diesen wilden Kapitalismus ja die letzten vier Jahre unter Tadić mit und die wichtigsten Partner Serbiens, Russland und die EU mögen zumindest den gezügelten Neoliberalismus sehr gern. Auch andere Ankündigungen des mutmaßlich neuen Regierungschefs Serbiens sind eher vage gehalten: "der soziale Dialog steht im Vordergrund", er wolle "soziale Gerechtigkeit". Ähnliches kündigten (nationale Konsultation, Kampf gegen Multis) auch die Nachbarn Viktor Orbán in Ungarn und (Ende des unsozialen Sparkurses etc.) Victor Ponta in Rumänien an und zerlegen nun nach allen Regeln der Kunst die Demokratie und den Rechtsstaat.

Im Falle Serbiens kommen zur Innenpolitik noch die vielen Baustellen mit den Nachbarn, Kosovo, Montenegro, Bosnien hinzu, über deren Behandlung nicht weniger als die Frage nach Krieg oder Frieden in der Region beantwortet wird.

Sündenfall Zentralbank

Einen "viktorianischen Anfall" hatte Dačić bereits, in dem er ankündigte, dass die "Unabhängigkeit der Zentralbank" in Serbien verhandelbar sei. Mit exakt der gleichen Begründung wie in Orbáns Ungarn will er nun den Zentralbankchef absägen. Serbien brauche mehr "Flexibilität" in der Notenbankpolitik heißt es. "Statt den Gürtel immer enger zu schnallen", bräuchte man "Impulse für Wachstum". Gemeint ist, dass man über niedrigere Zinsen und die Erhöhung der Geldmenge (Reserven) Kapital in den Markt bring, das schafft vordergründig Arbeit und Aufträge (!), die Inflation reduziert nominal die Staatsschuld. Die Risiken für Währungs- und Preisstabilität werden außer Acht gelassen, um erst einmal eine "Performance" zu zeigen. Ist die Unabhängigkeit der Zentralbank jedoch erst einmal angetastet, wird das Vertrauen in sie für lange Zeit zerstört bleiben. Ein teures Experiment, das z.B. in Ungarn nur durch massivsten Druck der EU und des IWF unterbunden wurde. Ob sie den gleichen Druck beim "Kandidaten" auch anwendet?

Serbien ist instabiler als zuvor

 

Ob Dačić von gleichem Kaliber wie Ponta oder gar Orbán ist, darf bezweifelt werden, Präsident Nikolić, der einstige Weggefährte eines Kriegstreibers und Massenschlächters dagegen ist ein offener Antidemokrat und hat daran auch keine Zweifel gelassen. Der gelernte Funktiokrat Dačić wird ein Premier von dessen Gnaden und es bleibt abzuwarten, wie weit er sich verbiegen lässt, um diese "Macht" zu behalten. Sollte er eine übergroße Gefahr für die Existenz seiner Partei durch eine ausartende Performance von Nikolić erkennen, wird Dačić schneller vom fahrenden Zug abspringen als man "Kosovo" sagen kann. Die Machtverhältnisse in Serbien sind zwar klar, aber sie sind mit, der sich sozialistisch gebenden, aber klar national-egoman ausgerichteten Regierung deutlich instabiler als vor der Wahl. Der Weg nach Europa wird nicht verlassen, aber er wird sich unnötig in die Länge ziehen.

ms.

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