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(c) Pester Lloyd / 38 - 2012   WIRTSCHAFT 21.09.2012

 

Spekulantenspektakel

Ungarn stellt Ultimatum für "Taschenverträge" in der Landwirtschaft

Die Regierung in Ungarn will sogenannte "Taschenverträge", hinter denen sie "kriminelle Handlungen" von in- wie ausländischen, vor allem österreichischen Spekulanten erkennt, über ein hahnebüchen zurechtgebogenes Ultimatum aus der Welt schaffen. Offiziell zum Schutz des ungarischen Landmannes und der heiligen ungarischen Erde. Doch die Praxis zeigt, dass der Staatliche Bodenfonds sehr irdische Bedürfnisse, vornehmlich der neuen Nomenklatura stillt.

Wem nutzt es? - Auch in der Landwirtschaft die zentrale Frage zum Verständnis von Politik

Martialische Worte statt klarer Rechtslage

"Wer bis 1. Juli von all jenen Verträgen zurücktritt und diese offenlegt, die in ihrer Wirkung als sogenannte Taschenverträge zu bezeichnen sind, geht straffrei aus." So lautet die Ansage aus dem Landwirtschaftsministerium, die durch die Vorlage des ersten Berichtes der "Interministeriellen Kommission für den Kampf gegen Bodenspekulation" nochmals bestätigt wurde und in wenigen Tagen Gesetz wird. Wer das nicht tut und sich erwischen lässt, riskiert bis zu 5 Jahre Haft und die "amtliche Eigentumsrückübertragung", sprich Enteignung.

"Das gesellschaftliche Interesse an der Aufdeckung dieser illegalen Verträge ist größer als die Notwendigkeit der Bestrafung der involvierten Personen", so begründet der Minister die mit einem Ultimatum versehene Amnestie. Warum das nach dem 1. Juli nicht mehr so sein soll, begründet der Minister nicht, viel lieber spickt er seinen Bericht mit martialischen Worten, von dem Boden als "Grundlage unserer nationalen Existenz", und der "Schlacht" und dem "Krieg", den man gegen Spekulation führt.

In gewisser Weise haben die "involvierten Personen" nun wenigstens Planungssicherheit und ausreichend Zeit ihre Angelegenheiten zu legalisieren oder ihr Engagement in Ungarn aufzugeben. In vielen Fällen wird dem österreichischen Bauern, der, nachdem ab 1994 der Verkauf von agrarisch nutzbaren Flächen an Ausländer quasi verboten, zumindest sehr erschwert wurde, sich mit Strohmännern und -firmen und eben mit solchen Taschenverträgen aushalf, nichts anderes übrig bleiben, als das Geschäft zu verkaufen, so überhaupt jemand gewillt ist, einem potentiellen Straftäter, der er ja ab 1. Juli wird, überhaupt einen angemessenen Preis zu zahlen.

Die Überführung in eine Firma nach ungarischem Recht wäre eine weitere Alternative, aber die muß, so sie Eigner oder Pächter der Agrarflächen ist, in der Mehrheit in der Hand von inländischen Rechtspersonen sein, was sich als nicht immer sehr verlässliches Konstrukt für den ausländischen Investor herausstellte.

Bodensepkulation hat selten was mit Landwirschaft zu tun
- und braucht auch keine Ausländer

Es ist richtig, dass österreichische, holländische und deutsche, auch andere Landwirte und Agrarbetriebe in Ungarn investierten, Land kauften oder nutzen, oft legal, teils halblegal, auch illegal. Die meisten betreiben damit nur Landwirtschaft, bringen oft ausgereifte Technologien und Know how mit nach Ungarn, beide Seiten profitieren. Wo ein Käufer, da auch ein Verkäufer, ob nun offiziell oder nicht, es gab und gibt diesen Markt: Land hier, Geld und Technologie dort.

 

Auch Bodenspekulation gab und gibt es, sie ist fast ein eigener Wirtschaftszweig in Ungarn. Doch die hat weniger mit der Landwirtschaft zu tun und ist auch nicht vom Zutun von Ausländern abhängig. Entweder geht es um das Erschwindeln von EU-Subventionen oder aber meist um die explosionsartige Wertsteigerung von Grundstücken durch Umwidmung. Ein Geschäft in den immer auch die kommunale Verwaltung oder einzelne Vertreter davon verwickelt sein müssen, damit es funktioniert. Ein Insidergeschäft. Taschenverträge braucht es dazu jedoch keine und so wird der "Kampf gegen Spekulation" mehr ein Spektakel der Ablenkung.

Denn wem haben die Taschenverträge, im Unterschied zur reinen Umwidmungsspekulation, die der öffentlichen Hand Geld entzog und Gemeindeeigentum quasi verschenkte, wirklich geschadet? Und ist es nicht so, dass der einfache ungarische Bauer unter der einheimischen Agrar-Mafia nicht viel mehr leidet, als unter dem "ausländischen" Konnkurenz- und Kapitaldruck, von dem er unter Umständen sogar antizipieren kann?

Jahrelange Kampagne mit sehr durchsichtigen Motiven

Über die offiziellen Beweggründe, "Ungarnland in Ungarnhand" zu belassen, berichteten wir bereits ausführlich im Zusammenhang mit der neuen Strategie für den ländlichen Raum, die einige sinnvolle, doch auch sehr viel anachronistische, ja feudale Ansätze verfolgt. Das war im Januar, dann im März erklärte man den Spekulanten offiziell "den Krieg". Und man nennt Taschenverträge in einem Atemzug mit Spekulation. Sonderkommissar Budai startete eine regelrechte Hetzjagd auf die Spekulanten. Doch diese Kampagne war auch schon Teil des Wahlkampfes 2010, noch vor dem Amtsantritt im Mai sekundierte damals die regierungstreue Presse und behauptete, dass schon weit mehr als ein Fünftel der ungarischen Erde in der Hand von Ausländern und dass dies ganz schrecklich sei.

Die Interessenslage ist offensichtlich. Der ländliche Raum wird als ureigenes Terrain, ja als Beute der ungarischen Nationalkonservativen, sprich Fidesz-KDNP betrachtet, so wie es der industrielle und urbane Bereich für die Sozialliberalen war und zum Teil auch noch ist. Unsere Fortsetzungsgeschichte von den "Junkern von Felcsút", hier zum nachblättern, die eine Ahnung über Mechanismen und Beteiligte der neuen "Land(rück)nahme" gibt, ist längst nicht zu Ende geschrieben und wird wohl eine "never ending story" werden. Jedenfalls ist sie näher an der Realität als die Mär von den Geschichten über glückliche Jungbauernfamilien, die uns der Nationale Bodenfonds verkaufen will, gleichzeitig aber jeden Einblick in die Ausschreibungsunterlagen verweigert. Sogar bei der Regierungspartei selbst sind einige Restdemokraten perplex über die schlichte Dreistigkeit der Selbstbedienung.

Der in Österreich übermächtige Bauernverband hat in Ungarn nichts zu melden

Der nominale Rechtsbruch durch die Taschenverträge indes bleibt, unbesehen der Anmaßungen und bigotten Attitüde der neuen Machthaber. Ungarn hat ein Recht diese zu regeln, die Ausländer die Pflicht, sich daran zu halten. Die österreichische Regierung ist der höchste Lobbyist der Bauernschaft im Lande, über die ÖVP und deren Bauernbund, eine tiefschwarze Ausgeburt ständischer Burgmentalität. Sie hat protestiert und abgewiegelt, dannKooperation angeboten. Doch helfen kann sie den in Ungarn engagierten Bauern kaum, so wie auch die ungarische Regierung die Fortführung von Taschenverträgen nach dem Stichtag nicht verhindern können wird. Der interministerielle Bericht versucht, Maßstäbe zu definieren, nach denen ein Geschäftsverhältnis als "Taschenvertrag" qualifiziert und damit disqualifiziert werden kann. Teilweise sind diese bereits im "Landkaufgesetz" vom Juli 2012 niedergeschrieben, aber günstigerweise sehr allgemein gehalten.

Mittelstandspolitik frei nach Darwin

Eine Welle von Denunziationen, an den Haaren herbei gezogenen Prozessen, Erpressungen durch Dorfobere melden uns Leser schon jetzt. Ein judikatives und exekutives Durcheinander wird folgen. Der postulierte "Kampf gegen Spekulation" ist kein Kampf für das Recht, keiner für eine regulierte, faire Landwirtschaft, sondern ein archaischer Kampf der Um- und Neuverteilung bei dem Ausländer keinen Platz mehr haben sollen und auch für Inländer nur das Recht des Stärkeren gilt. Das ist die Mittelstandspolitik des Fidesz.

Eine Legalisierung wäre der bessere Weg

 

Die Legalisierung aller Taschenverträge, die auf einem tatsächlichen, ordentlich geführten Wirtschaftsbetrieb fußen, wäre für alle Seiten der bessere Weg gewesen. Die Bauern müssten nachweisen, was und wie sie produzieren, wie sie bilanzieren und dass sie Steuern zahlen. Dann kann das joint venture offiziell gemacht werden und weiterarbeiten. Das wäre sowohl juristisch wie auch volkswirtschaftlich vernünftig. Wer jedoch nur Brachflächen für westliche Eigentümer verwaltet, die besonders clever Kapital anlegen wollten, sollte Zeit bekommen sich zu entscheiden. Verkauf über den Markt oder Aufnahme landwirtschaftlicher Tätigkeit bis zu einem Stichtag. Danach könnte der Staat immer noch sanktionär aktiv werden.

Bis 2014 hat sich Ungarn das Recht, den Landverkauf an Ausländer zu verbieten, über ein Moratorium bei der EU erkämpft. Die EU sagt: eine allterletzte Frist. Das offizielle Ungarn sagt: Niemals. Weitere Kämpfe auf allen Ebenen sind also vorprogrammiert.

cs.sz.

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