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(c) Pester Lloyd / 41 - 2012   BOULEVARD 11.10.2012

 

FC Gernegroß

Die schöne neue Fußballwelt in Ungarn

Fußball sei ein Spiel, bei dem 22 Menschen 90 Minuten einem Ball nachlaufen und am Ende gewinnen immer die Deutschen. Diese für unumstößlich gehaltene Fußballweisheit des Gary Lineker ist ins Wanken geraten, zumindest in Ungarn, dort gewinnt in letzter Zeit nur ein Verein, der FC Felcsút. Keine Pokale, geschweige denn die Meisterschaft oder sportlich auch nur einen Blumentopf, aber finanziell gewinnt das Team des 1.700-Seelen-Ortes zwischen Budapest und Székesféhérvár derzeit in Serie.

Stolz wie ein Spanier. Orbán nutzt Auslandreisen gerne für den Besuch von Fußballstadien und -vereinen.

Der FC Felcsút ist sozusagen die Privatmannschaft des fußballbegeisterten Regierungschefs Viktor Orbán und trainiert und spielt in der Puskás Fußballschule, die auf dem Gelände und unter Obsorge von Orbáns eigener Privatstiftung in Felcsút, wiederum Orbáns Heimatort, betrieben wird. Der Kader rekrutiert sich im wesentlichen aus der zweiten und dritten Garnitur des Erstligaklubs Videoton Székesféhérvár, der just nach Orbáns erstem Regierungsjahr zum ersten Mal in der Teamgeschichte Ungarischer Meister wurde und ganz plötzlich Mittel in die Hand bekam, um sich mehrere portugiesische bzw. brasilianische Ballkünstler nebst neuem Teammanager und Spezialisten einzukaufen, von denen andere Klubs nur träumen können. Über einen Kooperationsvertrag trainert Felcsút auch Videoton-Nachwuchs.

Kann jedes Stadion in Ungarn am Geschmack erkennen... Orbán im ballesterischen Einsatz

Die VIP-Tribüne von Videoton und auch die Puskás-Fußballschule sind zu einem eigenen kleinen Universum rund um den Doppelstern Orbán und Csányi geworden, jenen Chef der größten Bank des Landes, OTP und im Nebenberuf Großbauer und Lebensmitteloligarch, der sich nach der Einigung über die Forex-Ablöse zum Präsidenten des Fußballverbandes machen ließ. Günstlinge und Liebdiener, Favoriten und Nebenbuhler, Magnaten und "Berater" mühen sich hier um Gunst, die Alphatierchen schließen Absprachen. Das Revier zwischen Felcsút, Bicske und der Komitatshauptstadt wurde längst abgesteckt, Orbáns Freunde, Verwandte und erweiterte "Familie" stieg zu Großgrundbesitzern auf, der Bürgermeister von Felcsút ist ebenso involviert, wie politisch treue Familien, die in regen Geschäftskontakten mit Orbáns Frau stehen, sogar dessen Vater musste seinen Namen für einen denkmalgeschützten Gutshof, der zum edlen Hotel umgebaut werden soll, hergeben.

Die VIP-Lounge. Orbán mit OTP-Chef Csányi und MOL-Chef Hernádi (unten), ganz links der des Betruges bereits überführte Ex-Präsident Schmitt.

Das Land der neuen schwarzen Barone reicht, so weit das Auge schauen kann. Alteingesessene Bauern schauen bei den "Ausschreibungen" des "Nationalen Bodenfonds", der eigentlich ungarische Jungbauernfamilien beim Karrierestart helfen sollte, regelmäßig in die Röhre. Hier mehr dazu. Natürlich läuft alles "regelkonform" ab, denn die Regeln macht man sich selbst. Als Dank für diese Wohltaten schanzten Kommune und Privateigner der Orbánschen Fußballschulstiftung genau die Grundstücke in der Gemeinde zu, die man für die Erweiterungsarbeiten gerade brauchte und die man schon vorher der Stiftung zur Nutzung überließ. Mitten in dem Revier findet sich auch Orbáns Privatanwesen, es fehlt eigentlich nur noch eine Burgmauer.

Für seine Felcsúter ist Orbán das Beste gut genug. Während anderen Vereinen mitunter die Bälle ausgehen, residiert die Puskás Akademie in einem Neubau im pannonischen Barock, aus edelsten Materialien, mit viel Platz und allem darinnen, was ein Fußballerherz begehrt.

Diskretion ist oberstes Gebot in der Felcsúter VIP-Lounge, irgendwo muss sich der Chef einmal zurücklehnen können und so ein Refugium will gehegt sein, auch dafür wurde gesorgt: Nach einem neuen Passus im Steuergesetz sind Zuwendungen für "spektakuläre Teamsportarten" fast unbegrenzt steuerlich absetzbar geworden und die ersten Spenden aus diesem Bereich lassen aufhorchen: Seit der Einführung des Gesetzes im April bis zum Ende des Sommers lukrierte der ungarische Sport auf diese Weise knapp 8 Milliarden Forint, immerhin 28 Mio. Euro.

Kein unbedeutendes Sümmchen für das wirtschafltich gebeutelte Land, das Dank der reichenfreundlichen Flat tax die Unterschicht verarmt hat und jährlich Einkommenssteuerverluste in Höhe von 2-3% des BIP einfährt. Der sogenannte Patriotenfonds, in den Wohlbetuchte freiwillig für den Schuldenabbau spenden sollten, hat in zwei Jahren übrigens gerade ein Zehntel dieser Summe aufgebracht hat. Der diesjährige Fonds für die Obdachlosen in Ungarn ist übrigens genauso hoch veranschlagt. Umgelegt auf die Einwohnerzahl käme das in Deutschland einem Betrag von 300 Mio. EUR gleich, den Unternehmen - warum auch immer - mal eben in ein paar Monaten für den Sport locker machen.

Der große Traum des kleinen Viktor, eine eigenes, großes Stadion. Hier ist er noch bei einem Gastauftritt auswärts, aber die Pose stimmt schon.

Von diesen 8 Mrd. landeten 6 Milliarden Forint, also stattliche 21,2 Mio. EUR beim Fußball jener Sportart, in der Ungarn seit den Goldenen Zeiten vor 50 Jahren international fast nichts mehr zu melden hat. Wasserball, wo das Land seit Jahrzehnten die Weltmacht Nr. 1 ist, bekam mit knapp 200 Mio. die geringsten Dotierungen, Eishockey, Handball und Basketball, wo man zumindest eine lokale Größe darstellt, teilen sich Summen zwischen 380 und 480 Mio. Forint (1,3-1,6 Mio. EUR), wohlgemerkt jeweils für den gesamten Verband.

 

Wie der "Zufall" es wollte, wanderten von den 6 Mrd. Fußballforint sage und schreibe 2,8 Mrd. Forint, also knapp 10 Mio. EUR bei dem Klub eines 1.700-Einwohner-Nestes, raten Sie mal: genau, Felcsút FC. An zweiter Stelle der Zuwendungen steht der aktuelle Meister Debrecen, wo sich der Orbán-Vize über 526 Mio. Forint freuen darf, auch dort wird gerade eine Fußballakademie errichtet. Die Spender, ob Private oder Unternehmen, dürfen ihre Spende selbst zuordnen und da ergab es sich, dass neben den 2,8 Mrd. für die Kriegskasse des FC Felcsút auch noch ein 3.500-Plätze state-of-the-art Fußballstadion mit Dach für die Puskás Fußballschule heraussprang. Die Bauarbeiten begannen genau im April, als auch das Steuergestz in Kraft trat, das neue Spielzeug für Viktor kostet weitere 3,5 Mrd. Forint, wovon "nur" 800 Mio. die Stiftung sebst tragen muss.

Auch wenn Orbáns Vermögenserklärung, die handschriftlich und einsehbar im Parlament hinterlegt ist, ihn praktisch als arme Kirchenmaus ausweist, geht sich finanziell erstaunlich viel aus, Dank großzügiger Gönner und "Sponsoren". Die Deals hinter den Kulissen kann man nur erahnen und lassen sich wohl am besten durch eine andere unumstößliche Fuballweisheit verstehen: Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel (Lukas Podolski). Die Planungen gehen weiter: das Puskás-Stadion, das größte des Landes, soll runderneuert werden, womöglich völlig neu gebaut. Schließlich will Orbán seinem Videoton eine ansprechende Kulisse für die Champions-League-Auftritte bieten, die Dank der Nachwuchsarbeit des FC Felcsút nur eine Frage der Zeit sein werden, - so die Planung.

Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel...

Die Nationalmannschaft und die Liga laufen da nur so nebenher. Die nationalistischen und antisemitischen Ultras des FTC Ferencváros zeigen regelmäßig ihre hässliche Fratze, allwöchentlich prügeln sich Fans miteinander und der Polizei, die meisten Klubs sind über beide Ohren verschuldet, mehrere Funktionäre und Spieler verschiedener Temas wurden wegen Schiebung und Wettbetrug suspendiert oder verhaftet, ein involvierter Trainer, der sich um Aufklärung und Läuterung mühte, wurde erst gemobbt und nahm sich dann das Leben.

 

Die Auftritte Orbáns hier in Felcsút, mal im Anzug hinter getönten Scheiben, mal im Fußball-T-Shirt und mit Schlamm im Gesicht, erinnern viele Landsleute an die dekadenten Attitüden tschetschenischer Kriegsgewinnler oder russischer Oligarchen und arabischer Scheichs, die sich als Gipfel der Selbstbefriedigung einen Fußballclub kaufen, um ihrem Sohn irgendwann einen internationalen Pokal zu "schenken". Freilich ist der FC Felcsút mit seinem Legoland-Stadion, samt seines gernegroßen Paten und den pannonischen Zwergabramowitschs nur eine lächerliche Farce, ein FC Gernegroß gegen die Big Player der Szene, doch auch die Fideszsche Nationalrevolution ist ja, bei Lichte betrachtet, nichts weiter als eine Art Zwergenaufstand ewig zu kurz gekommener, frei nach dem unsterblichen Motto des Hans Krankl: Wir müssen gewinnen, alles andere ist primär...

red. / ms.

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