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(c) Pester Lloyd / 45 - 2012   RUMÄNIEN 05.11.2012

 

Personal- & Schicksalsfrage

Neuer Antikorruptionsjäger und Generalstaatsanwalt als Demokratietest in Rumänien

Die eindrucksvolle Erfolgsbilanz der rumänischen Direcţia Naţională Anticorupţie, DNA, offenbart die  gigantischen Ausmaße von Amtsmissbrauch und Unterschlagungen in dem offiziell korruptesten Land der EU. Die Regierung Ponta besetzt nun die wichtigsten Posten neu. Um die Verbrecherjagd zu beenden oder sie auf das andere politische Lager zu verschieben? Was anderswo eine Personal- ist in Rumänien eine Schicksalsentscheidung. Die Feindschaft von Premier und Präsident könnten dem Land sogar einmal nützen, denn letzterer muss die Kandidaten bestätigen.

Die Bilanz der rumänischen Korruptionsjäger in den letzten zwei Jahren ist so eindrucksvoll wie erschreckend: elf Ex-Minister (hier ein prominentes Beispiel) und Staatssekretäre, dazu der ehemalige Ministerpräsident Nastase wanderten ins Gefängnis oder wurden erstinstanzlich verurteilt: 26 Bürgermeister und Landräte, 6 Abgeordnete von Stadtregierungen, 26 Richter und Staatsanwälte, über 30 Rechtsanwälte, rund 50 Firmeninhaber oder Manager sowie über 160 Polizisten und Zollbeamte fassten Haftstrafen aufgrund von DNA-Ermittlungen ab. In den acht Jahren zuvor erwischte es nicht einen einzigen aus dieser Riege. Insgesamt mussten sich in den sieben Jahren des Bestehens bereits 5000 Menschen vor Gerichten aufgrund von DNA-Ermittlungen verantworten.

Rumäniens Premier Ponta und Staatspräsident Basescu sind sich spinnefeind und verteidigen die Positionen ihrer Klientel vehement, auch auf Kosten des Landes. Doch manchmal neutralisieren sie sich auch und so tritt der eine schonmal als Korrektiv zum anderen auf, Minus x Minus = Plus... - eine Rechnung, die in anderen Ländern der Region schon nicht mehr aufgeht...

Die rumänische Justizministerin, Mona Pivniceru, hat, trotz - oder vielleicht gerade wegen - dieser Erfolgsbilanz am vergangenen Donnerstag einen neuen Generalstaatsanwalt sowie einen neuen Chef der Antikorruptionsbehörde DNA ernannt. Für den ersten Job wurde der 41jährige Tiberiu Nitu ausgewählt, der bis Ende 2011 bereits als Stellvertretender Generalstaatsanwlat tätig war, neuer DNA-Chef soll der 58jährige Ioan Irimie werden, der bis 2005 die DNA-Regionalbteilung Cluj leitete. Beide kritisierten nach ihren Abgängen die teils ineffizienten Abläufe und die schlechte Kooperationsbereitschaft der Politik.

Die Reaktionen auf die Ernennung schwanken zwischen Ablehnung, Skepsis und vorsichtigem Optimismus. Während das Basescu-Lager von regelrechten Säuberungen spricht, um die Verfolgung korrupter Amtsträger aus den Reihen der Sozialdemokraten zu beenden, erhoffen sich Fachbeobachter eher eine Ausweitung der Ermittlungen auch auf das bisher weitgehend verschonte Umfeld des Mitte-Rechts-Lagers, das, so die allgemeine Auffassung, keineswegs so sauber und unschuldig ist, wie es sich darstellt. Dass die Ministerin des Kabinetts Ponta ihre Auswahl verteidigte, überrascht nicht: "Sie sind die besten für die Posten. Sie haben eine klare Vision, wie ihre Behörden organisiert sein sollen, auch ihre Motivation, ihre Fähigkeiten und ihre Integrität empfehlen sie für diese Tätigkeiten."

Die Rumänen sind das Gezänk der eitlen Herren leid

Dass die Wahl auf relativ parteiferne Experten gefallen ist, verdanken die Rumänen nicht so sehr dem rechtsstaatlichen Verständnis von Premier Ponta, sondern dem Umstand, dass - laut Verfassung - die Ernennung nicht ohne das O.K. des Präsidenten, in dem Falle des Ponta spinnefeinden Traian Basescu auskommt. Eine Feindschaft, die, im Unterschied zu den Verhältnissen in anderen Ländern, wie in Ungarn, wo sämtliche wichtigen Posten und Kontrollistanzen gleichgeschaltet wurden, die Möglichkeit einer gewissen Kräftebalance offen hält, auch wenn sie aus egoistischem Konkurrenzdenken gespeist wird. Weder Basescu noch Ponta wollen derzeit eine neuerliche Eskalation in ihren Spannungen forcieren und eine erneute Staatskrise riskieren.

Denn der Wahltermin (9. Dezember) rückt näher und das Volk ist das Gezänk der zwei eitlen Männern an der Spitze leid. Die EU hat ein besonders wachsames Auge auf das Land, da es von einem "Sozialisten" regiert wird, ein wachsameres als z.B. auf das Ungarn von Merkels EVP-Parteifreund Orbán, die dort "keinerlei demokratische Defizite" erkennen mag, während man in Rumänien schon den Stalinismus wieder auferstehen sah. Mehr dazu in: Kannibalen der Demokratie - Staatskrise in Rumänien: Regierung Ponta in Orbáns Fußstapfen. Von dem Urteil aus Brüssel hängt auch der Zugang zu dringend benötigten Budgetmitteln ab, von denen neben der Wirtschaft auch die Interessensgruppen im Hintergrund beider Polit-Pole profitieren. Da bietet es sich für "Landesväter" an, eine gewisse staatsmännische Erscheinung abzugeben.

Milliarden an EU-Geldern könnten (wieder) gesperrt werden

Die EU wirft Rumänien in einem aktuellen Fall wieder einmal vor, EU-Gelder zweckentfremdet verwendet und betrügerisch abgerechnet zu haben. Vorwürfe die in direktem Zusammenhang mit der vielarmigen, mafiösen Krake stehen, die das Land im Griff hält. Konkret steht die Sperrung von bis zu 7 Milliarden EUR aus den operativen Programmen für Transport und Wettebewerbsfähigkeit im Raum. Die Regierung in Bukarest hat angekündigt, alle von Brüssel geforderten Maßnahmen zu ergreifen, die eine Sperrung der Mittel verhindern können.

Ministerpräsident Ponta zeigte sich jedoch verwundert, dass er "bisher keine formale Mitteilung" über die EU-Pläne bekommen habe. Er gestand ein, dass verschiedene Buchprüfungen "ernsthafte Sachverhalte" im Umgang mit EU-Mitteln zu Tage gefördert hätten, man werde aber "alles versuchen, um die Lage zu verbessern". Bereits im Februar wurde das "Human Ressources" Programm, POSDRU, ausgesetzt, wegen "unregulärem Management", das Regionalentwicklungsprogramm wurde schon einmal gestoppt, nachdem man Mogeleien bei Ausschreibungen herausfand.

 

Rumänien hat mit rund 10% ohnehin schon die niedrigste Absorbtionsrate von EU-Mitteln, d.h. das Land vergibt sich durch mangelnde Projektumsetzung Milliarden von Euro. Premier Ponta hat daher eigens zu diesem Zwecke ein Ministerium eingerichtet, dass die Realisierung von EU-Projekten wertmäßig binnen eines Jahres verdopplen, vor allem aber die Vergabewege verkürzen und damit den Zugriff diverser "Vermittler" einschränken soll. Auch der US-Botschafter merkte an, dass sein Land "von der Art und Weise, wie mit der Nominierung umgegangen wird, die Art der strategischen Beziehungen zu Rumänien" abhängig machen wird. Auch hier geht es um zukünftige Investitionen, also um bares Geld und Arbeitsplätze, nicht nur um eine schlechte Note in irendwelchen Korruptions-Indizies.

60 Tage hat der Oberste Richterrat, ein Gremium, das die Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit im Lande überwachen soll, Zeit, eine Stellungnahme zu den Kandidaten abzugeben, dann entscheidet der Präsident, d.h. die endgültige Entscheidung könnte erst nach den Wahlen fallen, wird also abhängig vom Wahlergebnis sein, womit die Personalien auch Thema im Wahlkampf werden könnten.

Die DNA in action macht auch vor Promis nicht halt: hier wird gerade ein Fernsehstar und Medienmagnat abgeführt, er soll EU-Gelder zweckentfremdet haben, genau 45 Mio. EUR. Bei den nächsten Wahlen will er mit einer eigenen Partei antreten, das würde ihm - wird er nicht vorher verurteilt - Immunität verschaffen...

Korruption und Amtsmissbrauch als strukturells Massenphänomen

Brandaktuelle Beispiele zeigen, dass es sich bei Korruption und Amtsmissbrauch um ein strukturelles Massenphänomen handelt:

- gegen 67 Personen leitete die DNA zusammen mit der Generalstaatsanwaltschaft Ermittlungen wegen des Verdachts von betrügerischen Aktiviten im Zusammenhang mit dem Referendum zur Absetzung Basescus ein, - bezeichnenderweise verteilen sich die Verdächtigen ziemlich gleichmäßig auf beide politische Lager

- die Staatsanwaltschaft ermittelt zur Zeit gegen mehr als 200 Mitarbeiter der Staatsbahn CFR Calatori, wegen der mutmaßlichen Hinterziehung von Bußgeldern und Erlösen aus nachträglichen Ticketverkäufen bei Schwarzfahrern. 50 Personen nahm man deswegen vorläufig in U-Haft, darunter nicht nur Schaffner, sondern auch Mitarbeiter aus dem Transportministerium. Der Schaden für die Staatskasse wird auf mehrere Zigmillionen Euro geschätzt.

- 33 Geschäftsleute und mehrere Mitarbeiter der rumänischen Tochter der französischen Bank Societe Generale wurde wegen des Verdacht des Betruges und der Hinterziehung verhaftet, darunter auch der Vizedirektor. Ihnen wird vorgeworfen, durch die Fälschung von Dokumenten und gemeinschaftliche Absprachen in den Jahren 2010 bis 2012 an 40 Kredite in Höhe von rund 22 Mio. EUR von 16 verschiedenen Kreditinstituten gekommen zu sein. Außerdem soll die Gruppe über selbst konstruierte Firmengeflechte auch unrechtmäßig Fördergelder aus dem Wirtschaftsministerium abgezweigt haben und sich dabei wiederum der Dokumentenfälschung strafbar gemacht haben.

- derzeit läuft gegen 12 Offizielle, Landräte, Bürgermeister und Beamte eine Ermittlung der Antikorruptionsbehörde, hier die Details direkt bei der DNA (in engl.), wegen der missbräuchlichen Verwendung von EU-Geldern

 

Die eingangs aufgeführte, eindrucksvolle Erfolgbilanz der Antikorruptionsjäger, die wir hier einmal näher beleuchtet und mit den Handlungsansätzen beim Nachbarn Ungarn verglichen haben, bedeutet also vor allem einen Hinweis darauf, wie gigantisch die Ausmaße von Amtsmissbrauch und Korruption in Rumänien sind, dem offiziell korruptesten Land der EU. Wirtschaftsanalysten kommen zu dem Schluss, dass die Aufteilung des Landes durch mafiöse Strukturen überhaupt das Problem Nr. 1 darstellt und die Auswirkungen von Finanz- und Wirtschaftskrise, die anderswo die Staaten in die Knie zwingt, im Vergleich dazu sogar zweitrangig ist.

Die unparteiliche Besetzung der wichtigsten Posten im Antikorruptionskampf ist daher in gewisser Weise eine Schicksalsfrage für Rumänien und gleichzeitig ein Test für den Stand von Demokratie und Rechtsstaat, der womöglich günstiger verläuft als in manchem allzu schnell reingewaschenem Nachbarland.

red.

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