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(c) Pester Lloyd / 04 - 2013   NACHRICHTEN 23.01.2013

 

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Ungarn versucht ein Online-Glücksspielmonopol einzuführen, Internetzensur inklusive

Als die ungarische Regierung ihr halbherziges Verbot für Geldspielautomaten verkündete, bei dem jedoch lizensierte Casinos ausgenommen waren, die sich bis auf wenige Ausnahmen heute in den Händen von Fidesz-nahen Geschäftsleuten befinden , kündigte sie zeitgleich eine Besteuerung von Online-Glücksspielen an, um Steuerverluste zu kompensieren. Nun liegen erste Details vor, die unsere Mutmaßung bestätigen, dass ein solches Vorhaben nur mit tiefgreifenden Zugriffen auf die Nutzerdaten bei Providern und Usern umzusetzen ist.

Das angedachte Gesetz, dessen Beschluss legislativ nur eine Formsache ist, wird nicht nur technisch und juristisch aufwendig, sondern öffnet zugleich das Tor für eine ständig erweitbare Überwachung nicht nur von Online-Geldtransfers, sondern der Nutzung des Internets insgesamt. Zugleich versucht sich die ungarische Regierung an einem hypernationalen Glücksspielmonopol, das allein schon an einer Prüfung durch die EU-Binnenmarktregeln scheitern müsste. Immerhin hat man den Entwurf der EU-Kommission schon einmal vorab zur Prüfung vorgelegt. Wetten werden angenommen...

Das vordergründige Ziel lautet, pro Jahr rund 10 Milliarden Forint, als rund 35 Mio. EUR durch eine neue Steuer und Lizenzen auf Online-Glücksspiele einzusammeln, was nur ungefähr einem Drittel der Ausfälle aus dem Automatenverbot kompensiert, weshalb die Vermutung, der damit einhergehende Kontrollmechanismus könnte später Weiterungen erfahren, gestärkt wird.

Der Plan der Regierung sieht so aus, nur noch Inhabern von zu erwerbenden Fünf-Jahres-Lizenzen das Angebot von Online-Glücksspielen auf Sportwetten, Kartenspiele, Casino-Spiele, Windhund- und Pferderennen im Internet zu gewähren. Die Konzession wird den interessierten Anbietern für 100 Millionen Forint (350.000 EUR) für fünf Jahre verkauft, außerdem müssten sie 20% ihrer Nettoeinnahmen als Steuer abliefern. Die Abrechnung soll mit einer alle zwei Wochen fälligen Steuererklärung erfolgen und die Server müssen für einen direkten Remote-Zugriff der Finanzbehörde NAV geöffnet werden. Hier ist noch nicht näher bezeichnet worden, ob der Zugriff nur für die unternehmensseitigen Geldflüsse gelten soll oder auch für die persönlichen Daten der Nutzer. Für den Service, direkt "abgehört" zu werden, wird nochmals eine "Aufsichtsgebühr" von weiteren 2,5% der Nettoeinnahmen bei Spieleinsätzen zwischen 100.000 und 50 Mio. Forint fällig, die vierteljährlich abzuschöpfen ist. Jedes Unternehmen, das eine Lizenz beantragen möchte, müsste ein Mindesteigenkapital von 200 Millionen Forint (700.000 EUR) vorweisen können.

 

Interessant wird das Verfahren, sofern das Unternehmen seinen Sitz außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraumes hat, was bei den meisten namhaften und umsatzstärksten Anbietern ja der Fall ist. Dann wäre es verpflichtet, einen sekundären Server für die Datenspeicherung in Ungarn zu platzieren. Hier bleibt ziemlich fraglich, inwieweit kontrollierbar ist, ob die auf dem Monitor-Server abgelegten Daten tatsächlich den Aktivitäten entsprechen. Das Gesetz geht aber noch weiter und nun wird es wirklich haarig: die Internetserviceprovider (ISP) in Ungarn und jene, die in Ungarn Dienste anbinden, werden verpflichtet, alle Echtgeld-Glücksspielseiten zu blockieren, die ohne eine ungarische Lizenz betrieben werden, was einer offenen Internetzensur gleichkäme und außerdem die Vertragsfreiheit der Kunden einschränkt, denn, per Gesetz kann niemandem verboten werden, mit einem ausländischen Unternehmen eine Geschäftsbeziehung einzugehen. ISPs, die sich dem widersetzen, wird schon einmal vorab mit einer Bestrafung von bis zu 500.000 Forint (1.700 Euro) pro nachgewiesenem Fall gedroht.

Geschätzte Umsätze der Online-Gambling-Indsutrie (inkl. Online-Spiele) weltweit und in Europa

Um dieses komlpexe und in der Umsetzung fragliche Vorhaben den Spielern selbst schmackhaft zu machen, sollen die Reingewinne für die Spieler von der Einkommenssteuer befreit werden. Dieser Passus führt die ganze, von der Regierung herumposaunte Argumentation ad absurdum, wonach man sich die Glücksspielindustrie hauptsächlich deshalb so vehement vorknöpft, weil man das Volk vor süchtigmachenden und wirtschaftsschädigenden Angeboten schützen will. Dagegen wäre ja nichts einzuwenden, denn es ist keine Frage, dass Spielsucht neben Alkohol-, Medikamenten- und Suchtgiftabhängigkeit ein ernsthaftes Problem für die Gesellschaft, vor allem die Betroffenen selbst darstellt.

Dann müsste das Gesetz aber völlig anders gestrickt sein, das so - neben den rechtstaatlich bedenklichen Vorstößen im Strafrecht - nur als weiterer Versuchsballon für effiziente Techniken der totalen Kontrolle der Bürger und als neuer Streitherd mit der EU anzusehen ist. Beide werden durch das riskante Spiel der Orbán-Regierung nun in die äußerst missliche Lage gebracht, sich mit einem Player von sehr zweifelhaftem Ruf, der milliardenschweren Online-Spieleindustrie verbünden zu müssen, um mit deren auch die eigenen Rechte auf weiteren Feldern zu schützen.

Mehr zum "Geldspielautomatenverbot":
http://www.pesterlloyd.net/html/1243casinoverbothaken.html

S.B. / red.

 

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