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(c) Pester Lloyd / 14 - 2013   WIRTSCHAFT 04.04.2013

 

Kick-Start oder Amoklauf?

Geteiltes Echo auf "kreative Finanzmarktinstrumente" in Ungarn

Der neue Zentralbankchef György Matolcsy hat am Donnerstag zu einer Pressekonferenz im Nachklang einer außerordentlichen MNB-Vorstands- und Währungsratssitzung geladen. Dabei gab er einige der "kreativen" Finanzmarktinstrumente bekannt, die angewendet werden sollen, um das Wachstum in Ungarn anzukurbeln. Kostenlose Kredite und andere "Anreize" sollen die Geschäftsbanken aus der Kreditverweigerung locken, die Devisenreserven werden für die Schuldentilgung angeknabbert. Das Risiko dieser Schritte ist größer als der erwartbare Nutzen.

Von der Zahlenfee zum Forintmagier?
“Matman” György Matolcsy, hier bei der gestrigen
Präsentation vor der Fassade (!) der Zentralbank, hat es schon länger mit Übersinnlichem.
Die Märkte wissen, warum sie ihm nicht trauen.
Ein “Best of” gibt es hier.

1,6 Mrd. EUR für einen Wachstumsschub?

Matolcsy wird die Gelddruckmaschinen anwerfen und auch eine Scheibe von der heiligen Kuh Devisenreserven anschneiden. Er hält das für gerechtfertigt, weil die Inflation nun, da die Jahresanfangswerte unter 3% gesunken sind (zu den über 5% vom Vorjahr), im Griff sei. Umgerechnet rund 830 Mio. EUR und damit ca. 0,8% des BIP bzw. 3,5% des gesamten Kreditportfolios für Unternehmen, werden den Geschäftsbanken zinslos zur Verfügung gestellt, die diese zu max 2% Aufschlag an Unternehmen für Kredite weiterreichen können.

Ein weiterer, gleich großer Rahmen, wird für die Umschuldung von KMU-Krediten bereitgestellt, wobei hier ähnlich vorgegangen werden soll wie bei den Hilfsprogrammen für Privathaushalte, sprich, die Forex-Kredite sollen in verlängerte Forintkredite zu bevorzugten Zinssätzen umgetauscht werden. Man hofft, auf diese Weise rund 30% der KMU-Forex-Kredite in Forint konvertieren zu können. Die Neukredite werden in den Büchern der MNB geführt, das Ausfallrisiko soll dadurch mit den Geschäftsbanken geteilt werden.

"Schuldenreduzierung" könnte nach hinten los gehen

Außerdem sollen mit Hilfe von rund 3 Milliarden EUR - also knapp 10% der Devisenreserven des Landes - der Anteil von kurzlaufenden Einlagen der Geschäftsbanken bei der MNB von derzeit etwa 15 Mrd. auf 12 Mrd. EUR gesenkt werden. Das Problem dabei: die meisten dieser 2-Wochen-Schuldverschreibungen werden von den ungarischen Geschäftsbanken selbst gehalten als gute und verlässliche Anlagemöglichkeit im Unterschied zum - seit der Finanzkrise - gescheuten Interbankenverkehr und der Anlage auf dem freien Markt.

ie Reduzierung dieser Möglichkeit, die dem Staat natürlich auch Zinsen spart, könnte eine Verlockung für Töchter ausländischer Banken darstellen, weiteres Kapital aus Ungarn abzuziehen, womit der gegenteilige Effekt erreicht wäre, den Matolcsy vorgesehen hat, nämlich, das freiwerdende Geld in Form von Krediten in Umlauf zu bringen. Außerdem werden damit nominell die Staatsschulden vom derzeitigen Allzeithoch von ca. 70,3 Milliarden EUR (Stand Februar) auf etwas über 67 Mrd. EUR gesenkt, allerdings unter Einsatz der Zentralbankreserve. Vordergründig erreicht man damit jene Quote, auf die die Regierung so stolz war, bevor der - wegen der Regierungspolitik - stark fallende Forint, die teuer erkaufte Schuldenreduzierung wieder zu Nichte machte. Offenbar ging es in erster Linie darum, vor Brüssel im Rahmen des Defizitverfahrens besser da zu stehen.

Beide Programme starten im Juni und sind zunächst auf eine dreimonatige "Probezeit" beschränkt.

Märkte haben nichts gegen billiges Geld und werden Lust auf mehr "Spielchen" bekommen.

Von Marktexperten werden die Schritte als relativ moderat, doch nicht ganz risikofrei betrachtet. Zum Einen ist die Erhöhung der zirkulierenden Geldmenge immer mit Inflationsrisiken verbunden. Zum anderen könnte das Antasten der Währungsreserven ein fatales Signal sein, weiter auf den Forint zu spekulieren, ohne dabei - vorerst - einen Ausfall der Zahlungsverpflichtungen Ungarns zu risikeren. Matolcsy erbat sich zeitglich ausgedehntere Interventionsmöglichkeiten bei Schwankungen im Anleihe- und Währungsmarkt, was die Lust der Spekulanten jedoch eher anregen als verderben könnte, mit dem tapsigen "Matman" ihre Spielchen zu treiben, denn nichts mögen Spekulanten mehr als eine höhere Anzahl an beeinflussbaren Faktoren. Diese enthielt ihnen der konservativ agierende Matolcsy-Vorgänger Simor vor, sein Nachfolger öffent nun die Büchse der Pandora.

Die Märkte hatten schon im Vorfeld, sowohl auf die Berufung von "Mr. Unorthodox" Matolcsy, Anfang März, wie auf seine Anspielungen eines erweiterten Arbeitsfeldes der Nationalbank sehr nervös reagiert, die Nachfrage bei der letzten Anleihebegebung lag niedriger als zuvor, der Forint stürzte schon vor einem Monat deutlich ab, hat sich aber, vor allem wegen der Euroschwäche und den moderaten Äußerungen des neuen Wirtschaftsministers Varga (Nachfolger Matolcsys) wieder bei knapp über 300 gefangen. Kurz nach der Pressekonferenz Matolcsys verlor der 2 Forint zum Euro, berappelte sich am Freitagmorgen aber wieder bei 301,5, also auf Vortagesniveau.

Werden Matolcsy und Orbán das nötige Maß halten?

Die Maßnahmen Matolcsys haben freilich Vorbilder bei anderen Notenbanken, u.a. der Bank of England, wie der Zentralbankgouverneur etwas größenwahnsinnig betonte und sind an sich nichts ungewöhnliches. Die Nachfrage in Großbritannien hielt sich jedoch in engen Grenzen, der Rahmen dort wurde längst nicht ausgeschöpft, da Unternehmen auch mit Krediten nicht fehlende Investitionsanreize und ein schlechtes Konjunkturumfeld ausgleichen können. Auch fürchtet man, in der Kombination mit der Persönlichkeit Matolcsys, aber mehr noch Orbáns, dass das notwendige Maß des Einsatzes der Instrumente ausbleiben könnte und die Verlockung, "schnelles Geld" in den Markt zu bringen, die Vernunft übersteigen wird, wenn sich der erhoffte Wachstumseffekt nicht sogleich einstellt, vor allem mit Hinblick darauf, dass der Wahltermin im Frühjahr 2014 bedrohlich nahe gerückt ist.

Die Äußerungen Matolcys, dass sein "Wachstums-Kick-Start"-Programm den "Regierungszielen" dienen soll, ist ein (weiterer) starker Hinweis darauf, dass die Politik der ungarischen Zentralbank in Zukunft mehr Orbáns Wünschen als den ökonomischen und monetären Gegebenheiten folgen wird. Kurz: "Kreativität" bei Zentralbankinstrumenten ist an sich kein Problem, wenn sie in einem stabilen und vorhersagbaren politischen Umfeld stattfinden. Das findet man in Fidesz-Ungarn aber nicht vor.

Opposition: Kredite genügen nicht, um zerstörtes Vertrauen zurückzukaufen

Die ungarische Politik reagierte - naturgemäß - gespalten auf das Programm, während die Regierungspartei jubeln ließ, dass nun endlich auch die letzte Blockade für Wachstum beseitigt sei, Orbán ankündigte, dass man die Welt “mit einem Wachstumsschub überraschen” werde und er die komplexe Problematik auf das Argument reduzierte, dass sich KMU nunmal keine Kredite zu über 10% leisten könnten, tut sich die Opposition schwer mit Lob.

Die LMP drückte sich noch ein "sowohl als auch" heraus, betonte aber, dassdie angedachte 3-Monats-Frist zu kurz und "kostenlose Kredite nicht genügen, um das zerstörte Vertrauen in die Wirtschaftspolitik dieser Regierung wiederherzustellen", sagte Gábor Vagó. "Dialog für Ungarn", Teil der Bajnai-Wahlallianz "Gemeinsam 2014" findet, dass die Maßnahmen kaum etwas bringen werden, was die Märkte und Banken, wenn denn das Umfeld stimmte, nicht selbst auf die Reihe bekämen. Die Regierung sollte sich lieber um Maßnahmen bemühen, die direkt die Lebensverhältnisse der Menschen verbessern, so Gábor Scheiring.

Geld hat der Markt selber, es fehlt an Verlässlichkeit

 

Bajnais Think tank "Heimat und Fortschritt", bei dem eine Reihe anerkannter Ökonomen tätig ist, sprach von dem Versuch eines "weiteren Zuaberkunststückes". Die Unternehmen bräuchten indes Verlässlichkeit und wirtschaftliche Kompetenz in der Regierung. Die Banken hätten ihre Kredittätigkeit ja nicht wegen fehlenden Geldes "quasi eingestellt", sondern wegen des wirtschaftspolitischen "Amoklaufes" der Regierung, bei dem die jetzigen Maßnahmen nur ein weiterer Schritt der Hilflosigkeit seien. Außerdem sei Matolcsys Plan auf Pump gebaut, denn die Gewinnausfälle der Zentralbank durch die "kostenlosen" Kredite und das erhöhte Risiko (Umtauschprogramm) müsse der Steuerzahler ausgleichen, womöglich erst in dern nächsten Legislaturperiode, was also auch kommende Regierungen treffen könnte, die Unternehmen und Familien sowieso.

red.
 

 

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