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(c) Pester Lloyd / 14 - 2013   WIRTSCHAFT 04.04.2013

 

Rosstäuscherei

Ungarn fordert erneut Beendigung des Defizitverfahrens bei der EU

Die ungarische Regierung insistiert weiter darauf, dass "Brüssel, wenn es wirklich nur die Zahlen in Betracht zieht, Ungarn aus dem Defizitverfahren (EDP) entlassen sollte". Das sagte Finanzstaatssekretär Zoltán Cséfalvay im Staatsfernsehen im Zusammenhang mit den aktualisierten Daten zum Haushaltsdefizit 2012, das mit 566,7 Milliarden Forint (heute ca. 1,89 Mrd. EUR) bzw. 2% des BIP geringer ausfiel als die in erster Lesung ermittelten 2,4%. Dass dieser “Erfolg” nicht reicht, wird schlicht ignoriert.

Ungarn, gegen das bereits seit dem EU-Beitritt 2004 ein Defizitverfahren läuft, weil es die Konvergenzkriterien nie erfüllte, ist, das räumte Cséfalvay ein, allerdings auch dazu "verpflichtet, nachzuweisen, dass es das Defizit langfristig unter 3% halten kann." Diesen Nachweis glaubt Cséfalvay allein dadurch erbracht zu haben, dass die Regierung für "2013 2,7% Haushaltsdefizit plant", während die "EU-Prognose von 3,4%" davon "deutlich abweicht". Die Differenz ergibt sich aus den unterschiedlichen Wachstumsprognosen und den damit geringeren Steuereinnahmen, so der Staatssekretär, der die Hauptrisikoquellen damit einfach unter den Tisch fallen lässt.

Aus dem erhobenen Zeigefinger ist längst ein gefühlter Mittelfinger geworden.
Orbán und Barroso in Brüssel.

Außerdem "übersieht" die EU, so der Staatssekretär, dass Ungarn "längst die erforderlichen" Maßnahmen ergriffen habe und nannte die E-Maut und die elektronischen Kassenregister, beides Projekte, die jedoch weit hinter dem Plansoll liegen. Bei ersterem musste eine Ausschreibung wegen Versagens des Gewinners abgeblasen werden, worauf nun, nach Orbáns Worten "der Staat" eine passende Lösung finden wird. Dass das Startdatum vom 1. Juli nicht zu halten ist, dürfte allen klar sein, nur offiziell bleibt "alles im Griff". Bei letzterem, der direkten Verbindung aller Registrierkassen mit dem Finanzamt, musste das Einführungsdatum nach hinten geschoben werden, weil die technische Umsetzbarkeit in der Kürze der Zeit schlicht unmöglich wurde.

Cséfalvay (Foto) beharrte im Morgenprogramm auf M1 weiter darauf, dass sämtliche "Bedenken der Kommission zu managen" sind. Allerdings ging er nicht auf einige Hauptbedenken ein, die u.a. darin bestehen, dass der Haushalt durch die wieder dramatisch anschwellende Staatsverschuldung (Allzeithoch im Februar, vornehmlich durch die Forintschwäche,
hier mehr dazu) das gesamte Haushaltsgerüst zum wanken bringen kann. Die erwartbaren Wachstums- und Währungsbasisdaten (das Budget fußt immer noch auf einer Annahme von 283,4 HUF/EUR!) sind bis heute nicht ins Budget eingeflossen, Budapest spielt mit gezinkten Karten.

Außerdem wird zur Einstellung des EDP eine "nachhaltige und strukturelle" Reform des Haushaltsgebahrens wie der Steuer- und Wirtschaftspolitik verlangt, es geht also nicht "nur um die Zahlen" selbst. Von beidem ist Ungarn heute weiter entfernt denn je - und das will bei dem Saustall, den die "Sozialisten" hinterlassen haben, etwas bedeuten. Dass dazu womöglich auch die nun völlig in Regierungshand befindliche Zentralbankpolitik gehört, blendet die Regierung einfach aus und sie und so auch Cséfalvay begnügen sich weiter mit reinem Wunschdenken Dder Staatssekretär meinte, dass die "Serie von Reformen der letzten zweieinhalb Jahre in Stabilität und Konsolidierung münden werden", was letztlich zu einem "Sprung der Investitionen führt".

Alle Kennzahlen weisen genau das Gegenteil aus: Investitionen (Binnen- wie Auslands-), Industrieproduktion, BIP-Wachstum, Landeswährung, Produktivität entwickeln sich negativ, partielle positive Zahlen Anfang 2013, wie z.b. bei der Inflation, ergaben sich nur aufgrund der allzu niedrigen bzw. hohen Basisdaten 2012, nicht aber aus effektivem Wachstum oder einem verbesserten "Klima". Die Zahlen zum Arbeitsmarkt und zum Einkommen sind ohnehin ein Witz und reine Rosstäuscherei, sie spiegeln nicht einmal mehr ansatzweise die tatsächlichen Verhältnisse im Lande.

Da der EU-Kommission der Einsatz der EDP als Mittel für die politische Korrektur Ungarns von Seiten des EVP-dominierten Rat der Regierungschefs unterbunden wurde, kann sich Ungarn dabei nicht mehr auf "Doppelstandards" herausreden, was man - sachlich falsch - mit Verweis auf eine angebliche "Sonderbehandlung" Spaniens tat. (Anm: Spanien hatte die Anforderungen und Anfragen der Kommission stets beantwortet und mitgearbeitet, während die Orbán-Regierung eine ganze Reihe von Deadlines einfach verstreichen ließ und bisher jeden ökonomischen Rat in den Wind schlug). Allein die wirtschaftlichen Unwägbarkeiten und konkreten Risiken in Ungarn sind derart umfangreich, dass diese schon für sich eine Aufrechterhaltung des EDP - mit der Androhung von Mittelsperrungen - rechtfertigen würden. Ob diese letztlich auch politisch zielführend sind oder sein könnten, steht auf einem anderen Blatt, ebenso wie die Frage, ob ökonomische Einflussmöglichkeiten überhaupt ausreichen können, um politische Verwerfungen grundsätzlicher Natur aufzuhalten oder rückgängig zu machen.

 

Fakt ist jedoch, dass die ungarische Regierung sich allmählich nicht mehr auf die bisher so glänzend funktionierende EVP-Kumpanei verlassen sollte. Denn im Bereich Rechtsstaat und Demokratie, wie wir heute wissen, einem rudimentären Arbeitsbereich der EU, hat man es sich nicht nur mit Kommissionspräsident Barroso gründlich verdorben, sondern auch die Geduld einiger befreundeter Regierungschef arg strapaziert, die langsam fürchten, dass ihre eigener "Ruf" als Demokraten unter der Solidarität mit Orbán leiden könnte. Budapest bleibt also nur, die Kommission beim in einigen Wochen anstehenden Defizit-Bericht mit verlässlichen Zahlen zu überzeugen, was schwer genug sein dürfte.

cs.sz. / red.

Mehr zu den politischen Hintergründen des EDP gegen Ungarn
sowie hier unter:
Punktsieg für Orbán - Phyrrhussieg für Ungarn
EU-Ungarn: Zahlungsfähigkeit wichtiger als Demokratie?

Ungarns Umgang mit den Empfehlungen von EU und IWF hinsichtlich Wirtschaft und Finanzen

Die Details zum Haushalt 2013 und die angeblich nicht notwendigen Korrekturen
 

 

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