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(c) Pester Lloyd / 18 - 2013   POLITIK 29.04.2013

 

Vollmacht und Revanche

Die Parlamentswoche in Ungarn

Auch in dieser Woche finden wieder zwei Parlamentssitzungen statt, am Montag und am Dienstag stehen unter anderem die gesetzliche Verankerung der staatlichen Preishoheit für kommunale Dienstleistungen und Energieversorgung auf der Tagesordnung und in einer "Protestresolution" will man EU-Justizkommissarin Reding abwatschen. Auch der aktuelle Geheimdienst-Skandal dürfte für lautstarke Minuten im "Hohen Hause" sorgen. In Summe dient die Legislative auch in dieser Woche hauptsächlich als Bühne für das Austauschen politischer Parolen und die gesetzliche Untermauerung der herrschenden Ideologie.

Generalvollmacht für Preisdiktate zum Wohle des Volkes

Die nachträgliche gesetzliche Verankerung und Justierung der seit 1. Januar angeordneten 10%igen Preissenkungen auf Strom, Gas und Fernheizung für private Abnehmer, soll so vorgenommen werden, dass spätere weitere Preiseingriffe (geplant ab 1. Juli, -10% auf Wassser, Abwasser und Müll und - wenn das Ergebnis stimmt - weitere Absenkungen für nach den kommenden Wahlen) sowie die Ausweitung auf andere kommunale und Versorgerdienstleistungen bis hin zum Kohlehandel und zu den städtischen Beerdigungsdiensten, per einfachem Dekret und ohne weitere gesetzliche Änderungen vorgenommen werden können.

Diese ökonomische höchst umstrittene Maßnahmen, verbunden mit der rechtsstaatlich bedenklichen Beschneidung der Vertrags- und Eigentumsrechte, die durchaus auch EU-Recht tangieren (und daher mal wieder als großartiger Befreiungskampf inszeniert werden) die von fachkundigen Kritikern als Machtinstrument und Wahlkampfvehikel bloßgestellt wurden
http://www.pesterlloyd.net/html/1314teurerkurzschluss.html, führen jedoch keineswegs zu einer Nettoentlastung der Haushalte (wenn man die auf der anderen Seiten ständig erhöhten bzw. neu eingeführten Steuern gegenrechnet). Dafür erfahren sie eine weitere Politisierung, da die Regierungspartei nach ihrer umstrittenen Unterschriftenaktion von Tür zu Tür, nun um weitere Unterstützung beim Volke im Internet ansucht. Das wird von Datenschützern als weitere Möglichkeit gewertet, Datensammlungen über die Gesinnung (also regierungsfreundlich, ablehnend oder desinteressiert) der Bürger zu erstellen, die in Ungarn gesetzlich verboten sind, ein Verbot, das jedoch bereits mehrfach ignoriert wurde.

Explizit werden auch die "im Ausland lebenden Ungarn" aufgefordert, die Sache im Internet zu unterstützen, Menschen also, die weder unter den Tarifen leiden, noch von den Tarifkürzungen profitieren. Damit tritt das erste Mal greifbar zu Tage, was das Wahlrecht für Auslandsungarn für Probleme bereiten kann, nämlich, dass (u.U. Hunderttausende) Menschen, die von der Politik gar nicht betroffen sind, über selbige mitentscheiden dürfen und so über das Schicksal der eigentlich Betroffenen mitherrschen. Mag der Effekt bei dieser Frage zu vernachlässigen sein, wirft er doch ein grundsätzliches Problem der "proaktiven Nationenpolitik" der Fidesz-Regierung auf.

Rache an regierungskritischer EU-Kommissarin

Die Regierungspartei will in einer Erklärung das "Verhalten" der EU-Justizkommissarin Viviane Reding im Falle des Iren Francis Ciaran Tobin "verurteilen", der in Ungarn, in Abwesenheit zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden ist, weil er im Jahre 2000 in Leányfalu zwei Kinder mit dem Auto fahrlässigst zu Tode gefahren und sich dann aus dem Staub gemacht hatte. Nach Auffassung der Regierungspartei hatte die Justizkommissarin in "skandalösen" Äußerungen die Auslieferung des Mannes an Ungarn verhindern wollen, weil hier angeblich die rechtsstaatliche Verfahrensdurchführung nicht gegeben sei. Nach langem, teils sehr unerfreulichem Hin und Her, einigten sich Ungarn und Irland erst vor wenigen Wochen darauf, dass Tobin seine Haftstrafe in Ungarn antreten wird. Justizminister Navracsics "garantierte" den Iren jedoch, dass er nach einer Weile, zur Abbüßung der Reststrafe - internationalen Gepflogenheiten entsprechend - in sein Heimatland zurückgesandt wird.

Diese Gepflogenheit führte neulich in einem anderen Falle, bei dem ein echter Mörder in seine aserbaidshanische Heimat expediert und dort umgehend freigesprochen und als Held gefeiert wurde (Axtmörderskandal
http://www.pesterlloyd.net/html/1237orbansfarovallein.html ), zum Abbruch der Beziehungen mit Armenien. Ungarn eröffnete kurz darauf in Baku, der Hauptstadt des ölreichen und demokratiearmen Landes, die erste von einem Dutzend neuer Handelshäuser bei "strategischen Partnern der Ostöffnung"...

Die Deklaration gegen Reding hat den Fall Tobin jedoch nur zum Vorwand. In Wirklichkeit geht es um die Diskreditierung der EU-Kommissarin, die sich regelmäßig, ob bei Mediengesetz oder Verfassungsänderungen mit deutlichen Worten gegen die ungarische Regierung und auch die "Atombombe Artikel-7-Verfahren" in den Raum stellte. Sie führe "einen Krieg gegen Ungarn" ist die offizielle Sprachregelung, ob eine "Verurteilung" durch das ungarische Parlament einen europäischen Demokraten heute jedoch beschädigen kann oder nicht viel eher aufwertet, steht auf einem anderen Blatt.

 

Weitere "Debatten" werden über Änderungen am Bildungsgesetz, über Änderungen am Forstwirtschaftsgesetz sowie Änderungen am Kirchengesetz, den Regelungen für den Handel von Altmetall sowie am Gesetz über die öffentliche / staatliche Lagerhaltung für Notlagen stattfinden.

Auch
der aktuelle Geheimdienstskandal wird ein Thema sein, denn die Opposition fordert vehement die Veröffentlichung aller noch als geheim eingestufter Materialien zu dem Fall, weil man fürchtet, durch die nur teilweise Veröffentlichung der Gesprächsprotokolle, ein unvollständig und damit politisch nutzbares Bild zeichnen zu wollen. Eine Gruppe verlangt zu dem Thema eine Sondersitzung.

red

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