THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 03 - 2014 NACHRICHTEN 14.01.2014

 

Terror gegen Banken?

Das Bombenattentat gegen eine Bankfiliale in Ungarn wirft Fragen auf - MIT KOMMENTAR

Sollte der montägliche Anschlag auf die CIB-Bank in Budapest wirklich der Terrorakt einer militanten Zelle der "Anti-Forex-Bewegung" gewesen sein, dann steht Ungarn vor einem echten Problem, denn die potentiellen Sympathisanten gehen in die Hunderttausende. Die Hintergründe der Explosion sind zwar noch nicht geklärt, aber die Politik weiß schon wieder alles besser. Dabei sollten Links wie Rechts lieber innehalten...

Der Bombenanschlag war am Montag natürlich Thema Nummer 1 in allen ungarischen Medien.
Hier beim privaten, regierungsfreundlichen Newssender HírTV.

Am Montagmorgen, kurz nach vier Uhr, erschütterte eine heftige Explosion Teile des 13. Bezirks von Budapest. Dabei wurde eine ganze Wand aus der Filiale der in der Lehél Straße ansässigen CIB Bank gerissen sowie auch ein unmittelbar daneben liegender Standort der Budapest Bank zerstört, zahlreiche Fenster in der Umgebung gingen zu Bruch, Trümmer flogen bis zu 70 Meter weit, Menschen kamen jedoch nicht zu Schaden, Tatort und umgebende Straßen wurden stundenlang gesperrt, das Haus selbst ist von der Polizei evakuiert worden. Die im gleichen Gebäude befindlichen Niederlassungen der Erste Bank und Allianz blieben weitestgehend unversehrt. Eine zweite Explosion am Mittag im gleichen Bezirk stellte sich als Gasunfall heraus (siehe am Ende des Textes).

Nach ersten Berichten handelte es sich in der Lehél Straße um eine Sprengkraft im Äquivalent von bis zu 800 Gramm TNT, die Ermittler wollen nun Anhaltspunkte auf die Täter auch über die Herkunft des Sprengmittels suchen. Nach jetzigem Kenntnisstand handelte es sich jedoch nicht um einen klassichen Banküberfall. Ein bei der Sprengung geöffneter Geldauomat blieb unangetastet, auch drangen die Täter nicht die offenen Räume ein. Die mutmaßlichen Täter sollen mit einem Motorrad der Marke Enduro, ohne Kennzeichen, vom Tatort geflüchtet sein. Zeugen berichten davon, dass die zwei Männer zuvor Obdachlose aufgefordert hätten, den Platz zu verlassen.

 

Medien spekulieren von persönlicher "Rache" eines Schuldners über einen geplatzten Kredit oder Überschuldung als einem denkbaren Motiv, was den Anschlag zu einem Terrorakt machen würde. Die Antiterroreinheit TÉK soll bereits in die Ermittlungen involviert sein. Laut Beobachtern ist auch ein allgemeineres politisches Motiv denkbar, was die Proteste gegen die Banken und die Verschuldung in Ungarn auf ein neues, gefährliches Niveau hebt. Immerhin hatte der militante und eher zu den Rechtsradikalen neigende Teil der Schuldnerbewegung, die sich sowohl gegen die in ihren Augen untätige Regierung als vor allem auch gegen die vom Ausland gesteuerten Banken wendet, mehrfach angekündigt, es nicht nur bei Demonstrationen vor den Wohnhäusern von Politikern und Straßenblockaden belassen zu wollen, ohne dabei aber konkreter zu werden. Bereits im Wahljahr 1998 und auch danach gab es immer wieder Molotow-Cocktail-Anschläge auf die Häuser von linken Politikern, in den Neunzigern erschütterten Bombenattentate mit Mafiahintergrund die Budapester Innenstadt.

Fidesz-Fraktionschef Rogán kündigte eine "schnelle, gründliche" Aufkärung an, den Sicherheitskräften sei es unter der Orbán-Regierung bisher immer binnen maximal eines Monats gelungen, größere Verbrechen aufzuklären, behauptet er. Einen Zusammenhang mit der Forex-Problematik wollte auch Rogán nicht ausschließen und sagte, dass "niemand glauben solle, dass man auf diese Weise schneller zu einer Lösung komme..." (gemeint eine gesetzliche Umtauschlösung zu Lasten der Banken, siehe hier mehr dazu). Es sei aber auch denkbar, so der Fidesz-Spitzenpolitiker, dass es einfach ein gescheiterter Banküberfall war.

Am Tatort in der Lehél Straße in Budapests 13. Bezirk.

Die linke Opposition, namentlich E2014 und MSZP ziehen die Regierung, "immer weniger die öffentliche Sicherheit gewährleisten zu können", man erwarte eine "schnelle Aufklärung" und die "umfassende Aufklärung der Öffentlichkeit" über die Ermittlungsergebnisse. Die neonazistische Jobbik gab den "Regierungsparteien der letzten 24" Jahre die Verantwortung für das Ereignis, man habe das "Versagen der Finanzinstitutionen" hingenommen und diese nie für ihr Verhalten zur Rechenschaft gezogen, während die sozialen Spannungen anstiegen, habe man den Banken nur Vorteile gewährt, die Entwicklung sei daher logisch.

Sollte der montägliche Anschlag auf die CIB-Bank (die in ausländischen Händen, jenen der Intesa Sanpaolo mit Sitz in Turin ist) in Budapest wirklich der Terrorakt einer militanten Zelle der "Anti-Forex-Bewegung" gewesen sein, dann steht Ungarn vor einem echten Problem, denn die potentiellen Sympathisanten gehen in die Hunderttausende und die rechtsextremen Kreise, die in Ungarn ungestört marschieren und Wehrlager abhalten, sind der Zugang zu Waffen und Sprengstoffen ein Kinderspiel.

Mehr zum Thema Forex-Kreditschulden und den gesellschaftlichen Auswirkungen in diesem Grundsatzartikel mit weiterführenden Links
http://www.pesterlloyd.net/html/1348forexkuriewechselr.html

Das jüngste Urteil des Obersten Gerichtshofes zum Thema sowie politische und gesetzgeberische Aspekte
http://www.pesterlloyd.net/html/1351forexkurieurteil.html

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Ebenfalls im 13. Bezirk flog am Montagmittag ein Dach und das oberste Stockwerk eines dreistöckgigen Hauses in die Luft. Die Feuerwehr sprach von einer Gasexplosion, die in Ungarn nicht gar so selten sind. Ein älterer Mann musste verletzt ins Krankenhaus gebracht werden, sieben Personen verloren ihr zu Hause und sind in Notunterkünften untergebracht worden. Die Rettungskräfte sprachen von "großem Glück", dass die meisten Bewohner gerade nicht zu Hause waren.

red.

Gefährlicher Humus - Kommentar

Die Politik, links wie rechts, sollte sich mit gegenseitigen Schuldzuweisungen zurückhalten. Terror (wenn es denn in diesem Falle welcher war) ist immer eine Folge von Politik: Es ist zum Einen nicht von der Hand zu weisen, dass Fidesz mit seiner angestrengten Anti-"Kolonisations"-Rhetorik gegen die "Multis und ihre inländischen Vasallen", das "Diktat des Finanzmarktes" und dem "Krieg gegen die Schulden" etc., vor allem u.a. über die Einpeitscher der sog. "Friedensmärsche", so Einiges zu der durchaus irrational bis militant-nationalistischen Stimmung beigetragen hat, die radikale Kräfte zu solchen Taten anstiften könnte. Auch die Äußerungen des Premiers, ein ungünstiges Gerichtsurteil bei der Forex-Kreditbewertung “nicht akzeptieren” zu wollen, als Staatschef also anzukündigen, das Recht zu missachten, ist praktisch eine Anstiftung zu Anarchie und Selbstjustiz. Auch die vorsätzlich ausgrenzende Sozial- und Steuerpolitik, die einen Bodensatz des Elends billigend, ja kalkulierend für den Wohlstand der eigenen Klientel in Kauf nimmt, ist mehr als fahrlässig, sie ist verbrecherisch und zeitigt Folgen.

Zum Anderen ist die entfesselte Gier, der sich die Banken bei der Aufteilung des ungarischen Kreditkmarktes hingaben, eine Folge mangelnder bzw. fehlender Regulierung unter den sogenannten sozial-liberalen Regierungen in Ungarn, aber auch der Macht der Banken in Europa generell, also Folge auch einer verfehlten Prioriätensetzung und Machtverteilung in der Gemeinschaft. Massenhafte private Überschuldung plus die weitere Verarmung der betroffenen Schichten durch vefehlte oder absichtlich fehlgelenkte Politik - führte und führt zu unzähligen, kaum vorstellbaren Familientragödien, zu Obdachlosigkeit, Verelendung und Zukunftsangst. Vermengt mit entsprechender Propaganda entsteht ein sehr bekannter Humus, der gefährliche, destruktive Gewächse gedeihen lässt und für den beide politischen Blöcke in Ungarn die Verantwortung gleichermaßen tragen.

Gebastelt wurden die Sprengsätze also von der Politik. Irgendwann findet sich jemand, der sie wirft. - Bomben gegen die Banken? Da wird so mancher Küchentisch-Regimekritiker möglicherweise Sympathien empfinden. Endlich zeigt man´s den asozialen Systemzerstörern einmal so richtig. Doch Obacht: Terror half bisher immer nur autoritären Kräften, niemals denen des Ausgleichs und der Freiheit. Dem Terror folgte nie etwas Gutes... cs.sz.

red.

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