THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 04 - 2014 WIRTSCHAFT 22.01.2014

 

Das Plusminus

Einkommensentwicklung in Ungarn: Grober statistisch-propagandistischer Unfug:

Während der öffentliche Dienst gehegt wird und die freie Wirtschaft zurückhaltend wächst, fallen die Einkommen der "Sozialberufe" um 7%, erreicht steuer- und unterbezahlte Ersatzbeschäftigung ein neues Rekordhoch. Dennoch wächst die Armut schneller als anderswo. 5,3% Plus beim statistisch durchschnittlichen Nettolohn verwandeln sich gesamtgesellschaftlich in in ein Minus. Gejubelt wird trotzdem.

Das durchschnittliche Bruttoeinkommen in Ungarn betrug 2013 230.000 Forint (ca. 760.- EUR, +3,8%). Das besagt zumindest die Statistik des staatlichen Zentralamtes KSH. Diese rechnet hierbei alle gemeldeten Unternehmen ab 5 Angestellten ein sowie Behörden und nachgeordnete Organisationen und Unternehmen, aber auch die
"1-Forint-Jobber". - Deren Monatsbrutto freilich betrug nur rund 77.000 Forint (255.- EUR), lag also 22.000 Forint unter dem gesetzlichen Mindestlohn, der extra für diese "Branche" aufgehoben wurde und drückte damit den Landesschnitt um immerhin 10.000 Forint.

Entwicklung des gesetzlichen Mindestlohns in Ungarn seit 2002. Die beeindruckende Steigerung ist ein Paradebeispiel statistisch-propagandistischen Unsinns und sollte den Mindestlohn-Neulingen in Deutschland eine Lehre sein: Zunächst sagt die Zahl und die Entwicklung nichts über die Kaufkraft aus, denn dazu bräuchte man die inflationsgewichtete Berechnung, also “bei gleichen Preisen”. Desweiteren wird der Wegfall der Steuerfreibeträge durch die Flat tax-Einführung 2010-2012 nicht gekennzeichnet, denn heute haben Minimallohnempfänger nominal-netto weniger als 2010, also real sowieso. Nicht zuletzt: 180.000 Közmunkas sind gesetzlich vom gesetzlichen Mindestlohn befreit und: viele Arbeitgeber stellen nur noch auf Mindestlohn-Teilzeit an (abgesehen davon, dass ohnehin oft noch ein Aufschlag schwarz bezahlt wird). Letztlich handelt es sich beim “Minimálbér” also nur um eine Berechnungsgrundlage für das Finanzamt und die Sozialkassen. Als Quelle für Erfolgspropaganda benutzt ihn die Regierung trotzdem.

Interessant an dieser insgesamt recht wenig aussagenden Statistik ist zumindest der Anstieg von 6% der Gehälter im regulären öffentlichen Dienst, der weit über dem liegt, was in den vergangenen Jahren zu verzeichnen war. Hier schlägt erstmals die (partielle und gehorsamsabhängige) Gehaltserhöhungsrunde bei den Lehrern zu Buche, aber auch eine gewisse Sparmilde im Vorfeld der Wahlen.

An der Spitze der offiziellen Gehaltspyramide stehen nach wie vor die Banker und Finanzleute mit einem Bruttobranchenschnitt von 470.000 Forint im Monat, am unteren Ende - natürlich - das Gastronomie- und Tourismusgewerbe, das 2013 (unternehmerseitig) so gut zulegen konnte und: die Sozialberufe mit beschämenden 153.000 Forint. Die einzige Branche übrigens, die schon beim Bruttogehalt Einkommensverluste hinnehmen musste und zwar um fast 7%! Was sagt uns das über die Prioritäten im Lande? Der öffentliche Dienst konnte sich 2013 noch über rund 10.000 Forint monatlich an "Steuerbelastungsausgleichszahlungen" freuen, d.h. der Staat übernahm für seine Angestellten die Finanztransaktionssteuer, die sogar die Oma bei der Einzahlung ihrer Stromrechnung bezahlen muss.

Die KSH Statistik errechnet aus ihrem Zahlsensalat ein durchschnittliches Nettoeinkommen von 150.400 pro Monat für den Normalangestellten, kinderreiche Familien haben etwas mehr, wobei die Schere zwischen körperlich Arbeitenden (104.100) und Büro-Arbeitern und sonstigen Angestellten (200.100) so groß ist wie nie zuvor in den Statistiken seit der Wende. In der privaten Wirtschaft hat sich damit der nominale Nettolohn, wie wiederholen: laut KSH, um 5,5% erhöht, im öffentlichen Dienst (ohne Zwangsarbeiter) um 7,1% und bei Staatsbetrieben bzw. budgetär finanzierten Non-Profit-Organisationen um 4,9%, in Summe um 5,3%.

Dass sich - wegen der extrem niedrigen Inflationsrate - der Reallohn für die Mehrheit der arbeitenden Menschen erhöht habe, kann man getrost als Legende bezeichnen, denn die Ausgaben für die unmittelbaren (Über)Lebenshaltungskosten sind - von der Energie abgesehen - wieder deutlich gestiegen, bei gleichzeitiger Erhöhung der Steuer- und Abgabenlast. Für diejnigen, die den größten Teil ihres Einkommens für das Lebensnotwendige aufwenden müssen, war auch 2013 ein mieses Jahr. So wird auch aus diesem Plus wieder ein Minus, ein Plusminus sozusagen.

 

Das KSH gibt keine Daten zum Medianeinkommen bekannt, daher ist es schwer nachzuvollziehen, wie die Einkommensverteilung aussieht, wieviel also die meisten Bürger verdienen. Klar dürfte sein, dass man von 150.000 Forint, also dem recht aussagelosen Landesjahresdurchschnitt nicht leben kann und bekannt ist, dass die obersten 20% der Einkommensskala, Dank der Flat tax ein Plus von bis zu 37% verzeichnen.

Dass sich gleichzeitig die
Zahl der Armen und Armutsgefährdeten konstant - über dem regionalen und dem EU-Schnitt - erhöht und mittlerweile genauso hoch liegt wie die Zahl der Beschäftigten (ca. 35% der Bevölkerung, die Regierung räumt max. 14% ein), sagt viel über die tatsächlichen Verhältnisse in Ungarn und auch den Sinn bzw. Unsinn der KSH-Erhebungen aus, die von der Regierung trotz allem mit Jubelüberschriften ("Reallohn stieg im November um 4,8%") versehen und stolz posaunt werden, so lange man irgendwo ein Pluszeichen (er)findet.

red. / cs.sz.

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