THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 09 - 2014   WIRTSCHAFT 26.02.2014

 

Von der Blase ins Nichts

Wohnungsbau in Ungarn erreicht neues Allzeittief

2013 spiegelte der Niedergang im Wohnbau nicht mehr nur die notwendige Marktbereinigung, sondern den sozialen Verfall eines Landes, die Folgen der “nationalkonservativen Revolution”. Private Überschuldung und Martübersättigung, öffentliche Investitionsausfall, gefakte Arbeitsmarkt- und Einkommensentwicklung sowie Abwanderung und Gebürtenrückgang sprechen gegen eine baldige Erhohlung.

Die Zahl der fertiggestellten Wohneinheiten in Ungarn erreicht 2013 mit 7.293 ein neues historisches Tief, das fünfte in Folge. 2013, das waren nochmals 31% weniger Wohneinheiten als im vorherigen Negativrekordjahr 2012. Der Wohnungsbau in Ungarn erreicht damit nur noch 20% des Wertes von 2008. Seitdem fielen die Fertigstellungen jährlich im Schnitt um 30%. Lediglich in Budapest nahm die Zahl der Wohnungen gegenüber 2012 um 7% zu, alle anderen Landesteile hatten zweistellige Rückgänge zu verzeichnen, in den ärmsten Regionen im Osten, Norden und Süden sogar über Minus 50%. Auch die Zahl der 2013 neu erteilten Baugenehmigungen ging stark zurück, um weitere 29% auf 7.536.

Zusätzlich sank der Anteil kleiner, für den privaten Eigenbedarf gebauter Wohneinheiten deutlich stärker als der Gesamtschnitt, während größere Wohnungen und Einfamilienhäuser zulegten, was ein Beleg für die weitere soziale Fragmentierung der Gesellschaft ist. Noch nie seit Ausbruch der Lehman-Krise war der Rückgang bei den kleinteiligen Eigenheimeinheiten so groß wie 2013.

Lediglich in den Großstädten Györ, Kecskemét, Sopron und Szeged wurden 2013 überhaupt mehr als 200 Einheiten übergeben, Budapest glänzt in der Statsitik mit 1.700. Während sich die Rückgänge in städtischen Regionen zwischen 20-25% einpendelten, sind ländliche Regionen im Schnitt mit über 50% Minus konfrontiert. Zum materiellen Niedergang kommt also noch eine Landflucht, die sich zum Teil bereits in ausgesprochenen Geistersiedlungen beschauen lässt. In manchen Regionen übersteigt die Zahl der Abrisse bereits, die der Neubauten.

Die Zahl der neuen Baugenehmigungen erreichte 2013 gerade noch 17,2% der Zahl von 2008, wobei man damals durchaus von einer ausgesprochenen Blase sprechen muss, getrieben durch zunächst sehr billig erscheinende Forex-Hypothekenkredite, die den Leuten später teuer auf die Füße fielen. Viele Banken interessierte damals nicht einmal das Einkommen der Kreditnehmer, die Immobilie selbst genügte als "Sicherheit", denn vor allem den ausländischen Banken ging es in erster Linie um Eroberung von Marktanteilen und man hoffte, dass ein permanentes Wachstum in der Region für ausreichend Einkommen sorgen sollte.
Kreditausfallraten von einem Viertel und mehr sind die Folge, hinzu kommt ein marktzerstörerischese Überangebot.

Der Anteil der Wohneinheiten, die vom Bauherren für den Eigenbedarf errichtet wurden, fiel 2013 nochmals von 64 auf 53%, dagegen stiegen Projekte für den Verkauf von 33 auf 44%, nur 2% waren für eine spätere Vermietung bestimmt. In dem Segment lässt sich derzeit in Ungarn überhaupt kein Geld mehr verdienen, zumindest nicht im Wohnbereich. Auch die Fertigstellungen im Industrie- und Agrarbereich gingen um 12 bzw. 6% zurück, hier lässt sich aber aufgrund monolitischer Einzelprojekte kaum ein Trend in die eine oder andere Richtung ablesen.

Eigenheimförderungen, die diesen Namen verdienen, gibt es in Ungarn heute nur für kinderreiche Mittelstandsfamilien über dem Einkommensschnitt, also die soziale Kernklientel, das Orbánsche Ideal von der ländlich verankerten, rechtschaffenen Familie. Der immer größere und immer ärmere Rest - 3-4 Mio. Ungarn leben unter, an oder knapp vor der Armutsgrenze - wird sich auch für die kommenden Jahre in seinen bestehenden 4 Wänden, so sie überhaupt "seine" sind, einrichten müssen.

Karriereende für Forex-Schuldner: “Fröhliche Baracken” im Nirgendwo

Der Verfall der Wohnqualität für den Durchschnitt ist eine Folge dieses erzwungenen Baustopps und ein natürlicher Begleiter einer "nationalkonservativen Revolution", deren Früchte nur eine kleine Oberschicht genießen soll, weil die soziale Schichtung die Natur des rechten Weltbildes darstellt, sozusagen die gottgewollte Ordnung. Eine weitere Folge, der Orbánschen “Erfolgspolitik”: 500.000 Ungarn verließen seit 2010 das Land, auf der Suche nach adäquat bezahlten Jobs, Perspektiven und Normalität.

 

Getröstet wird die Unterschicht dann spätestens im kommenden Jahr wieder mit gigantischen Wachstumsraten, - Dank Basisdaten nahe dem Null-Meridian. Auf diese Weise spielt "Ungarn (seit gestern, Anm.) wieder in der Topliga der europäischen Ökonomien", auch wenn die Menschen nichts davon merken. Dank “kreativer Statistik”, ist die “Beschäftigung” so hoch wie nie, auch wenn dafür im Ausland Arbeitende, umdeklarierte Frührentner mitgezählt und mehr als 200.000 Menschen mit 170.- EUR für Sklavenarbeit erniedrigt werden müssen. Dass all das Folgen zeitigt, die sich u.a. in der Wohnbaustatistik wiederspiegeln, die längst nichts mehr eine Marktbereinigung spiegelt, sondern den sozialen Verfall eines Landes, lässt die Regierung kalt.

Denn plötzliche Wunder gibt es auch im Wohnungsbau: 2012, als 140 staatlich finanzierte Wohneinheiten für die Opfer der Giftschlammkatastrophe in Devecser eingeweiht wurden oder 2013, als im Komitat Pest plötzlich eine Steigerungsrate von über 80% erreicht und durch die Regierungs-PR gefeiert wurde. Grund dafür: die Fertigstellung von 80 völlig überteuert errichteten und bis heute zur Hälfte leerstehenden Wohnschachteln mit angeschlossenem Gemüseacker, den "fröhlichen Baracken" eines Armenghettos im Nirgendwo namens Ócsa (Foto oben): für Forex-Schuldner, denen ihr Heim weggenommen wurde, die sozusagen am Karrierende von der Blase zum Nichts, angekommen waren.

cs.sz.

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