THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 11 - 2014   FINANZEN 11.03.2014

 

Zwangskollektivierung und Rückprivatisierung

Wie in Ungarn aus Genossenschaftsbanken Parteifilialen wurden

Der Deal ist nach der staatlichen Übernahme der privaten Rentenbeiträge, noch vor dem Tabakdeal und der Landnahme, die größte finanzielle Aneignungsaktion regierungsnaher Kreise und geradezu ein Lehrstück in Klientelpolitik. Es geht um die Übernahme der über 100 Spargenossenschaften des Landes mit rund 1,1 Mio. Mitgliedern und Aktiva von umgerechnet mehreren Milliarden Euro durch neue “Genossen”. Der Deal wurde jetzt amtlich.

Wie wir mehrfach ausführlich berichteten, geschah die Übernahme in drei Schritten: 1.
Entzug der Geschäftsgrundlage durch eine Gesetzesänderung und Unterstellung unter die Aufsicht einer staatlich kontrollierten Bank 2. Machtübernahme durch einseitige Kapitalerhöhung seitens des staatlichen Hauptaktionärs 3. Rückverkauf der staatlichen Anteile an das von der Regierungspartei eingesetzte Management.

Standort der neuen “Hochfinanz” in Ungarn...

Über den letzten Schritt informierten jetzt die staatliche Entwicklungsbank MFB und Magyar Posta, die ihren Anteil an der Tarekékbank und damit an den dort zwangsweise angegliederten Spargenossenschaften erst kürzlich auf über 50% erhöhten (für rund 400 Mio. EUR), um nun 54,8% davon an eine Gesellschaft namens Takarék Befektetési és Vagyongazdálkodási zu veräußern, die wiederum den Hauptaufsichtsräten und Vorständen der Takarékbank gehört. Im Zentrum hier der smarte Tamás Vojnits, der beim Klassenfeind, der London Business School ausgebildet wurde und dann durch mehrere in Ungarn tätige Banken tingelte, bis er im Regierungsauftrag zur Kollektivierung der Genossen seine lohnende Erfüllung fand.

Der Kaufpreis für den Anteil wird mit 9 Milliarden Forint also rund 25 Mio. EUR angegeben, nur einem Bruchteil des vorher taxierten und von den Staatsfirmen bezahlten Preises, den das Management zudem noch aus den "Reserven der Bank" finanziert, also aus den Geldern der Genossenschafter, die nun allerdings nichts mehr zu melden haben. Auf diese Weise kontrolliert das Management bald 85% aller Aktien, d.h. selbst eine wirksame Sperrminorität von 25%+ ist zukünftig verhindert.

Die Regierung und die neuen Besitzer spielen die Posse bis zum Ende durch und nennen die Transaktionen eine Verschmelzung zwischen Takarékbank (einer genossenschaftlich organisierten Bank) und den einzelnen Spargenossenschaften, die das ungarische Kreditwesen revolutionieren soll. Denn nun erhalten Klein- und Mittelstand endlich "integrativen" Zugang zu Kreditmitteln aus "eigenen Quellen", anstatt sich von ausländischen Banken abhängig zu machen. Das würde "Arbeitsplätze sichern und die Sicherheit der Finanzdienstleistungen vor allem auf dem Lande sichern". Der Ablauf wird mit "Erfüllung der zuständigen gesetzlichen Auflagen" begründet, die freilich erst Monate zuvor geschaffen wurden. Weitere Vorteile seien, dass die Genossenschaftssparer nun von einem "einheitlichen Risikomanagement" und "neuen Synergien" profitieren würden und außerdem die "strikteren Eigenpaitalanforderungen der EU" leichter erfüllen könnten.

Finanzfachleute und die politische Opposition ergehen sich in bewunderndem Entsetzen über so viel Chuzpe und Gründlichkeit. Mit ein paar Federstrichen hat sich die Regierungspartei die Kontrolle über ein riesiges Kapital gesichert, noch dazu, da das Einlage-Kredit-Verhältnis dieser Bank - Dank der braven Genossenschafter - 2:1, im Unterschied zu ungefähr 1:1 bei den kommerziellen Banken beträgt und die Kreditausfallraten im Unterschied zu den üblichen 20%+ bei Erste, OTP und Co. geradezu marginal zu nennen sind. 2012 machten die Banken im Schnitt 8% Verlust, die Genossenschaften 8% Gewinn.

Zwangskollektivierung ist hier ein Schlüsselwort: Denn die Genossenschaftssparer fanden sich früher unter dem alten Gesetz zusammen, um eben gerade nicht den Logiken und Mechanismen wie Risiken einer normalen Bank zu unterliegen. Durch die neue Struktur entsteht eine
"informelle Kreditwirtschaft", denn die Takarék-Ponts in der Provinz, es gibt davon Aberhunderte, sind meist geführt von einem fidesz-nahen Vertreter, der über das Kreditwesen nun eine massive Machtfülle erhält. Jeder, der in dem Vorgang also die Aushebelung der althergebrachten und immer mehr funktionsuntüchtigen Abhängigkeit von Bauern und Kleinunternehmen vom herkömmlichen Kredit- oder genauer Schuldensystem feiert, begrüßt damit ein noch älteres System persönlicher Abhängigkeit, eine Art finanzieller Leibeigenschaft. Globalisierungskritik, die uns direkt in den Feudalsimus führt, das ist die Wirtschafts- und Finanzpolitik Orbáns.

Die Abläufe erinnern frappant an die Umsetzung des Tabakhandelsmonopols. Diese Aneignung des Kleinhandels mit gesetzlicher Gewinnspanne und Ausschaltung von Transparenz könnte eine Art Generalprobe für die ungleich größeren Dimensionen des Genossenschaftsdeals gewesen sein. Auch dort ging es sowohl um die Versorgung lokaler Parteistrukturen und -kader sowie die Ausübung von wirtschaftlicher Macht in der Provinz, in der Orbáns Fidesz weiterhin seine Wählerbasis hat. Auch dabei wurden Gesetze geschaffen und gebogen, um alles formaljuristisch legal ablaufen zu lassen.

 

Auch das überdimensioniert scheinende "Kredit für Wachstum"-Programm der kürzlich der Regierung unterstellten Nationalbank, die über 10% des BIP an frischem Geld in die Wirtschaft pumpen will und dieses sogar zinsfrei an die Banken weitergibt, bekommt in diesem Kontext einen Sinn: während nämlich die bis zum Hals in faulen Krediten stehenden traditionellen Finanzinstitute Kredite nur noch abbauen wollen, kann das neue Takarék-System eine kräftige Finanzdusche gut gebrauchen, auf das es auch zu wachsen und zu wirken beginnt.

Auf diese Weise können sich die neuen Fidesz-Landherren - und hier schließt sich der Kreis - die sich vom kleinen Provinz-Funktionär bis hinauf in die Latifundien des Premierministers und seines Gutsverwalters in Felcsút über den "Nationalen Bodenfonds" so großzügig mit heiliger ungarischer Erde ausstatten, ihre Expansionsprojekte, ein neuer Rinderstall, ein mittleres Fußballstadion, ein Weingut oder die Renovierung eines Herrenhauses günstig auf dem kurzen Dienstweg finanzieren lassen.

Vorbild ist auch hierbei wieder einmal der Premier selbst. In dessen 1.700-Seelen-Heimatdorf Felcsút
beobachten wir Zustände, die uns in andere Jahrhunderte versetzen, die aber, Dank der "Revolution" in der Genossenschaftskasse nun bald überall Schule machen können.

red.

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