THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 29 - 2014 NACHRICHTEN 18.07.2014

 

Rassismus als Konsens: "Linke" in Ungarn macht Wahlkampf auf Rücken der Roma

Álbert Pásztor, der gemeinsame Bürgermeisterkandidat der "linken" Oppositionsparteien für Miskolc, ist der nächste Offenbarungseid der demokratischen Opposition. Seine martialischen Sprüche zum "Zigeunerproblem", die er als "realistisch" verkauft, sollen Wahlerfolge zeitigen, - auf dem Rücken der Roma. Damit kopiert man das "Erfolgsrezept" der neonazistischen Jobbik. Die Regierungspresse applaudiert und höhnt.

 

Pásztor war unter den linksliberalen Vorgängerregierungen Polizeichef der drittgrößten ungarischen Stadt Miskolc, die traditionell einen sehr hohen Anteil Roma hat. Er fiel in seinem Job, vor allem 2009 mehrfach durch rassistische Äußerungen zur "Zigeunerkriminalität" auf, die er jedoch - wie es bei verkappten Rassisten Sitte ist - als "ehrlich" und "pragmatisch" gewertet wissen wollte. Kurz gesagt: er machte die örtlichen Roma für fast alle Diebstähle und Raubüberfälle der Gegend verantwortlich, denn "Ungarn" (lies: Magyaren) würden höchstens Banken und Tankstellen ausrauben, nicht aber Omas, Gärten und Geschäfte. Er wurde von der Regierung abgesetzt, nach "Protesten aus der Bevölkerung", also aus wahltaktischen Überlegungen, umgehend rehabilitiert. Siehe hier unsere Berichterstattung von 2009.

Pásztor hatte mehrfach einen direkten Zusammenhang zwischen ethnischer Herkunft, daraus folgender "Mentalität" und der Kriminalitätsstatistik gebastelt, obwohl ihm als Miskolcer die jahrzehntelange, gezielte Asozialisierung, Diskriminierung und Ausgrenzung der Roma - eben auch aus rassischen Motiven - bekannt gewesen sein musste und die Spezifika der von Roma verübten Straftaten eindeutig materiellen, sozialen und gesellschaftlichen (Bildung, Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Gesundheitsversorgung, Rechtssicherheit etc.) Ursachen zuzuornden sind. Über die Integration(un)fähigkeit der Roma zu spekulieren, ist so lange schäbig, so lange die Mehrheitsgesellschaft diese Integration verweigert und - auch mit Gesetzen - Bürger zweiter, eigentlich dritter Klasse schafft.

Pásztor ist - auch für das linke Spektrum - kein Einzelfall, rassistische Stereotypen - vor allem gegen Roma - sind in Ungarns Gesellschaft tief verankert, im gesamten politischen Spektrum und in allen Bildungsschichten. Doch eine derartige Person zum gemeinsamen Spitzenkandidaten der maßgeblichen linken Parteien DK, MSZP (E2014-PM hat sich später reserveirt gegeben) zu machen, ist neu und ein klares Signal, dass auch für die "Linke" die Roma nur ein Objekt politischer Spekulation sind. In einer Aussendung hieß es eindeutig, dass man jemanden als Kandidaten wollte, der "die breitest mögliche Zustimmung der Msikolcer" erfahre. Rassismus ist dort heute der größtmögliche Konsens.

Ein Mann der zupackt, der "Wahrheiten klar ausspricht", das scheint für Miskolc der wahltaktisch richtige Ansatz zu sein. Ob es den Roma dort hilft, die unter den Wohltaten der “Nationalen Romastrategie” der Fidesz-Regierung gerade mit der
Räumung eines der "Ghettos" und "Wegziehprämien" sowie mit dem fortdauernden Jobbik-Terror konfrontiert sind, ohne - außer erniedrigender "Zwangsarbeit" - eine Perspektive zu bekommen, scheint auch dem "linken" Lager zweitranging. Mit Pásztor gesteht die "Linke" ihr Versagen bzw. ihre Ignoranz bei der Roma-Problematik ein als sie selbst an der Macht war. Nun imitiert sie Fidesz, mehr noch, sie geht den Weg Jobbiks.

Pásztor legte jetzt nach und versuchte sein Image zu reparieren. In der "Népszabadság" zieh er all jene, die ihn kritisierten als Menschen, die "vor Problemen den Kopf in den Sand stecken" und dass das "Roma-Problem" auch all jene erfassen wird, die ihn jetzt rassistisch nennen. Inhaltlich versucht sich Pásztor zusammenzureißen und sieht das "Roma-Problem" im "Mangel an Bildung" begründet, der wiederum den Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt und der entstand, weil "man ihnen die Chance zur Integration in die Gesellschaft nicht gegeben" hat. "Unglücklicherweise wurden viele so zu Kriminellen".

Pásztor warnt im Interview vor "sehr baldigen Hungerunruhen", denn "es gibt Menschen, die hungern und die werden Geschäfte ausrauben und sich nehmen, was sie brauchen." Neben strukturierteren und an Law-and-Order-Standards gebundenen Förderprogrammen macht Pásztor jedoch auch Werbung für einen neuen Weg. Denn was die
(gescheiterte) "nationale Romastrategie", also die Fidesz-Politik versucht, ist ja keine Integration, sondern Assimilisation. Die kann nur schief gehen oder - sollte sie erzwungen werden - in Verbrechen gegen die Menschlichkeit enden. Das "Clan-System" der Roma, wie es Pásztor im Interview nennt, habe "jahrehundertelang funktioniert" und die "Mehrheitsgesellschaft sollte bis zu einem gewissen Grad die internen Regeln der Roma-Gemeinschaft tolerieren".

Das nächste heikle Plaster, das Pásztor aufreisst: die Übernahme "gewachsener Strukturen", Stammesriten, sozusagen. Ist das nun ethnisch feinfühlig, politisch korrekt, pragmatisch oder schon wieder rassistisch, unterstellt es doch den Roma, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht qualifiziert zu sein und hört sich eher nach Reservat als nach Internat an. Fakt ist auch, dass in dem "Vojvoden-System" (Pásztor) nicht nur Dinge geschehen, die gesetzlich verboten sind, sondern auch dafür sorgen, dass neben der äußeren eine innere Unterdrückung festgeschrieben bleibt.

Wenn Pásztor damit meinte, man müsse die Roma endlich bei den Problemlösungen einbeziehen, ihnen Verantwortung übergeben und das bürgerliche Minimum an Selbstbestimmung gewährleisten,  läge er richtig, allein sein "Lösungsvorschlag" ist dafür völlig ungeeignet - was er wüsste, wenn er sich z.B. einmal mit Roma-Bürgermeistern (
ein paar gibt es und auch einige "Best-Practice"-Beispiele) oder Aktivisten darüber unterhalten hätte, die sich nämlich nicht alle hinter Political correct-Floskeln verstecken. Die sind nämlich vor allem damit beschäftigt, - anhand sehr konkreter und kleinteiliger Projekte - allgemeine Grund- und Menschenrechte für alle gegen die Clanstrukturen der "Zigeunerbarone" durchzusetzen - und gegen die Maßgaben der Regierung. Sie wollen durch Leistung und Perspektiven überzeugen, Hoffnung geben, Widerstände - und eben auch alte Strukturen - aufbrechen.

 

Passenderweise arbeitet die Orbán-Regierung selbst daran, "jahrhundertealte" Clan-Strukturen zu revitalisieren, denn ihre ständische Politik zeitigt - vor allem auf dem Lande - auch unter "Magyaren" immer stärker den Rückfall in die Abhängigkeitsmuster feudaler Strukturen. Pásztor also ist, wie Minister Zoltán Balog oder Heimatdichter Zsolt "Zigeuner sind Tiere" Bayer, auch nur einer dieser "weißen Männer", die alles besser wissen, aber nichts besser machen. Doch man kann von Staatsbürgern, die man wie "Wilde" behandelt oder bezeichnet, kaum die Einhaltung von Normen erwarten. Eine Binsenweisheit, doch an dieser Grundvoraussetzung scheiterte bisher jede "Strategie" in Ungarn. Freilich wird man die Hühnerdiebe von Omas Garten nicht mit Nächstenliebe und Humanismus allein fernhalten, - ohne diese aber auf lange Sicht schon gar nicht.

Die regierungsnahen Medien triumphieren derweil ob der Auftritte Pásztors, erkennen sie doch das Eingeständnis der "Linken", dass ihre "political correctness" an der "Realität" gescheitert ist und sie daher nun Fidesz kopierten, ja, sich sogar an Jobbik orientierten, in dem sie versuchen, ihre Popularität über Ängste und Ressentiments der Bevölkerung zu erhöhen, wobei man diese Ressentiments notfalls auch selbst steigert. Die "Linke" seien sich für nichts zu schade und zu blöd, um irgendwie an die Macht zurückzukommen, aber so dumm sei das ungarische Wahlvolk nicht und werde im Zweifel eher das Original wählen als die billige Kopie.

red. / m.s.

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