THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 39 - 2014 NACHRICHTEN 25.09.2014

 

Kapitalfluss wird zu Rinnsal: Droht Ungarn das "größte Sparpaket aller Zeiten"?

Die demokratische Opposition hat dringenst Aufklärung über ein von Finanzminister Varga - im Zusammenhang mit den dräuenden "gigantischen Veränderungen" - vage erwähntes massives Sparpaket von 1.700 Mrd. Forint (rund 5,5 Mrd. EUR bzw. 6% des BIP) für die kommenden Jahre gefordert. Was die Regierung als Reform verkaufen will, könnte ein Hinweis darauf sein, dass dem Land mittelfristig das Geld und der Regierung die Ideen ausgehen...

Wirtschafts- und Finanzminister Mihály Varga hatte bei einer Fachtagung davon gesprochen, dass es vorrangiges Ziel sei, die Staatsquote im Verhältnis zum BIP (also die gesamten Ausgaben des Staates gemessen an der Wirtschaftsleistung) von derzeit deutlich über 50% auf unter 45% zu drücken, um so am Ende Steuerlasten senken zu können. Gleichzeitig aber müsse man das Budgetdefizit unter 3% halten und, was er nicht erwähnte, - neben dem Schuldendienst - verschiedene Sonderausgaben (lies: weitere Zentralisierungen und Verstaatlichungen im Rahmen der "2. großen Staatsreform") schultern, weshalb Einsparungen in der oben genannten Größenordnung nötig sein werden.

 

Ökonomen erklären die Notwendigkeit solcher massiven Einschnitte sowohl mit dem Auslaufen von budgetären Hilfs- und Einmaleffekten (private Rentenbeiträge - ausgegeben, Sondersteuern für bestimmte Branchen - weitgehend ausgereizt), die jährlich immerhin bis zu 5% des BIP zum Hauhsalt beitrugen, aber auch mit der der Welle von Verstaatlichungen im Energie- und Bankensektor. Hinzu kommt ein in diesem Quartal erstmals seit langem wieder negativer Direktinvestment-Saldo (FDI), d.h. produzierende Unternehmen zogen mehr Geld aus Ungarn ab als investiert wurde, viele senkten sogar das Stammkapital ihrer ungarischen Töchter um Geld in Form von Sonderdivdenden "in Sicherheit" zu bringen.

Doch auch der fehlende Kapitalinput durch die mit Sondersteuern, rückwirkende Belastungen und Forex-Zwangsumtausch verschreckten Banken sowie eine Wirtschaftsleistung, die statistisch zwar ansteigt, aber ohne nachhaltige Wertschöpfung, also Kapitalvermehrung ist (z.B. Kommunalbeschäftigung, Zivilbau aus EU-Mitteln etc.) auskommen muss und selbst zum Teil durch Steuerfinanzierung ein vorgetäuschtes Wachstum darstellt, engen den Spielraum von Wirtschaft und damit den Steuerzufluss ein.

Zudem fielen die erhofften massiven Investitionen und Anleihekäufe durch die neuen Partner der "Ostöffnung" (Russland, China, Saudi-Arabien etc.) deutlich kleiner aus als erhofft oder stellen in Form von waghalsigen Krediten (13 Mrd. EUR-Atomdeal mit Russland) selbst ein Risiko dar, was Ungarn als eine Ökonomie, die strukturell auf permanenten Zufluss von Fremdkapital angewiesen ist, in Probleme bringt. Bekommt die Konjunktur in Deutschland eine Delle und verschärfen sich die Auswirkungen der Sanktionen in der Russland-Ukraine-Krise, hat Ungarn ein echtes Problem. Schon heute können Defizitziel und Wachstum nur durch die jährlich rund 5 Mrd. EUR aus EU-Töpfen gewährleistet werden.

 

Die Opposition ist erbost: Das Volk habe - auch und gerade vor Wahlen - ein Recht darauf, zu erfahren, welche Belastungen zu erwarten sind. Ein Sparpaket von diesem Ausmaßen wäre "das größte aller Zeiten", dies könnten die Menschen der unteren Einkommensschichte, deren materielle und soziale Lage sich in den vergangenen vier Jahren permanent verschlechter hat (knapp 4 Mio. Menschen an bzw. unter der Armutsgrenze), keinesfalls mehr aushalten - zumal sie den Preis für die verfehlte und ideologisch besetzte Wirtschafts- und Finanzpolitik der Orbán-Regierung tragen.

Orbán selbst hatte immer erklärt, dass die im westlichen Europa praktizierte Sparpolitik für ihn nicht in Frage komme, seine “arbeitsbasierte Gesellschaft” im Rahmen einer “Nationalen Kooperation” und die “gerechte Verteilung der Bürden” sei seine Antwort. Allerdings führte Orbán bislang rund 20 neue Steuern ein oder hob sie an, bisher musste jedes Budget mehrfach nachjustiert werden, einschließlich massiver Kürzungen im Sozialbereich und Ausgabenstopps in fast allen Ressorts, außer dem Amt des Ministerpräsidenten...

In unterschiedlichen Variationen erklärten Vertreter sowohl der MSZP, der DK, LMP sowie E2014-PM, somit also alle im Parlament vertretenen demokratischen Oppositionsparteien, dass es ein Unding ist, das selbst die Volksvertreter nicht über so tiefgreifende Planungen informiert werden und auf Gerüchte und das Durchsickern von Informationen angewiesen seien.

Am Donnerstagabend, auf einer anderen Konferenz, erklärte Varga “Es gibt kein Sparkpaket”, auch “wenn sich die Linken das wünschen”. An den Zahlen zu notwendigen Einsparungen hielt Varga indes fest, ein smarter Name für das Nicht-Sparpaket wird den Fidesz-Propagandisten bis nach den Wahlen sicher noch einfallen....

Alles Weitere zum Thema im Ressort WIRTSCHAFT

Lesetipp:

Gefährliches Spiel: Wie Orbán mit der Energiewirtschaft sein Land verzockt

Ungarns Gaslager sind vor dem kommenden Krisenwinter gerade halbvoll, eine als Russland-Ukraine-Alternative gepriesene Pipeline in die Slowakei funktioniert nicht und mit der Verstaatlichung der Energieversorgung rollt eine langsame, aber gigantische Kostenlawine auf die ungarischen Steuerzahler zu, der mit dem Atomdeal eigentlich schon ausreichend bedient ist. Doch Orbán will weiter als Wohltäter blenden - Ausführung ist Sache des Apparates. Und der ist in heller Panik...

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