THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 39 - 2014 WIRTSCHAFT 22.09.2014

 

Gefährliches Spiel: Wie Orbán mit der Energiewirtschaft Ungarn verzockt

Ungarns Gaslager sind vor dem kommenden Krisenwinter gerade halbvoll, eine als Russland-Ukraine-Alternative gepriesene Pipeline in die Slowakei funktioniert nicht und mit der Verstaatlichung der Energieversorgung rollt eine langsame, aber gigantische Kostenlawine auf die ungarischen Steuerzahler zu, der mit dem Atomdeal eigentlich schon ausreichend bedient ist. Doch Orbán will weiter als Wohltäter blenden - Ausführung ist Sache des Apparates. Und der ist in heller Panik...

Ist da vielleicht eine Schraube locker? Orbán dreht lieber am großen Rad und glaubt sich am längeren Hebel. Genug mit dem Schabernack. Die Premiers Fico und Orbán Ende März an der “Kulisse” der neuen Pipeline, die bisher nur lauwarme Luft transportiert.

Fangen wir klein an: Kurz vor den Wahlen im April wurde eine neue Erdgas-Pipeline zwischen der Slowakei und Ungarn eingeweiht, Premier Orbán setzte sich zusammen mit seinem slowakischen Amtskollegen Fico dabei medienwirksam als Experte für Energiesicherheit in Szene und rühmte das Verbindungsstück als wichtigen Teil des neuen Nord-Süd-Interconnectors von der Ostseee bis zum Schwarzen Meer, der Ostmitteleuropa unabhängiger von russischen Gaslieferungen bzw. den ukrainischen Unwägbarkeiten machen sollte.

Stutzig wurde man, als erst für Juli ein Probebetrieb der neuen Energieautobahn, die in beide Richtungen funktionieren soll, angekündigt wurde. Nun wurde bekannt, dass dieser bis heute noch immer nicht stattfand, die Leitung also nicht fertig gestellt ist. Das 111 Kilometer-Bauwerk kostete offiziell 150 Mio. EUR, wobei 27 Mio. EUR von der EU beigesteuert wurden und die langsam beginnt, nachzufragen, was denn mit dem Geld eigentlich geschehen ist. Schon
am Tag der Eröffnung wusste man zwar, dass die Leitung noch nicht betriebsbereit ist, nun aber steht in Frage, ob die Inbetriebnahme überhaupt noch in diesem Jahr möglich ist.

Verantwortlich für den ungarischen Abschnitt ist die riesenhaft gewordene staatliche MVM, mitfanziert durch die ebenfalls staatliche Entwicklungsbank MFB. MVM lagerte die Arbeiten an Subunternehmen aus, weil die EU angeblich verlangt, dass solche Arbeiten von Privatunternehmen erledigt werden sollen. Ungarn, regeltreu, wie es nunmal ist, gehorchte. Im Anschluss an die Arbeiten will der Staat über die MVM diese Unternehmen jedoch wieder aufkaufen - eine Spielwiese für Geldverschwendung par exzellence, aber nur ein laues Lüftchen im Vergleich, zu dem, was da noch kommt...

 

Die Propaganda-Show um die Pipeline ist längst nicht die einzige Ungereimtheit im staatlichen Gas-Business und es ist noch eine der kleinsten. Unlängst wurde bekannt, dass - ausgerechnet vor dem bevorstehenden Krisenwinter - Ungarns Gaslager, auch die strategischen Reserven nur zu 54% befüllt sind, weil man vergleichsweise billig aufgekauftes Erdgas in Größenordnungen über Off-Shore-Unternehmen durch einschlägig bekannte "Freundeskreise" verscherbeln ließ, nachdem die meisten Erdgaslager verstaatlicht wurden. Im Zentrum steht hier ein bis weit in die Off-Shore-Inselwelt verflochtenes Unternehmen namens MET, in dem u.a. ein enger Freund und Parteigenosse Orbáns zu Gange ist.

MOL und MVM beruhigen beflissen. Angeblich reichen die vorhandenen Reserven für mindestens 3 Monate Selbstversorgung, sollte Gazprom den Hahn zudrehen oder Poroschenko umleiten lassen. Ja, Russland wolle nun sogar eine halbe Milliarde Kubikmeter Gas in Ungarn lagern lassen, um denkbaren Lieferengpässen durch möglichen Missbrauch der ukrainischen "Putschisten" vorzubeugen.

Eine weitere ungeklärte Geschichte der Geldvernichtung ist der -
laut geheim gehaltenem Fachgutachten - maßlos überteuerte Kauf der E.ON-Gastöchter. Diese hatten nach einem Last-Minute-Deal der Alteigentümer kurz vor der Übergabe an den ungarischen Staat wegen langfristiger Kaufverpflichtungen eine negative Vermögensbilanz, Ungarn zahlte dennoch einen üppigen Kaufbetrag. Eigentlich ist das ein Fall für Gerichte und einen parlamentarischen U-Ausschuss, doch bisher wurden sämtliche dahingehende Versuche durch die Fidesz-Viererkette (Judikative-Exekutive-Legislative-Lázár) abgeblockt, möglicher Schaden für den Steuerzahler: 800 Mio. EUR bzw. 0.9% des BIP.

Gerade teilte zudem die Fidesz-Spitze - gemäß ihrer langfristigen und vodergründig ideologischen Strategie - mit, zwei Staatsunternehmen für die Energie- und Kommunalendkundenversorgung (eines für Strom, Gas, Fernheizung, das andere für Wasser, Abwasser, Müllmanagement) zu gründen, um den Bereich zukünftig als "Non-Profit"-Branche unter Staatsaufsicht laufen zu lassen. Denn, so Fidesz-Fraktionschef Rogán: Offenbar "können wir die Preise für Strom, Gas und Fernheizung gar nicht genug senken", die "Multis machen trotzdem noch Gewinne".

Eine Analyse des Wirtschaftsblattes Portfolio ergab, dass allein bei Berücksichtigung des derzeitigen Betriebszustandes der Netze (die der Staat neben vielen Schlüsselversorgern auch übernehmen will. obwohl die selbst für die "Extraprofite machenden" Provider immer nur lästige, aufgrund von Regularien zu betreibende Verlustbringer sind) jährliche steuerliche Zuschüsse von bis zu 90 Mrd. Forint (knapp 300 Mio. EUR)  fällig werden und fragt, welchen Sinn die angestrebten weiteren "Energiekostensenkungen" haben, wenn die Steuerzahler die Defizite dann wieder ausgleichen müssen. Der Wahlkampf-Coup mit den Energiepreissenkungen funktioniert für den Staat ja nur, so lange er Unternehmen trifft, die Gewinne machten. Energiepreissenkungen aus einem Verluste machenden Staatsbetrieb sind eine reine Milchmädchenrechnung.

 

In anderen Szenarios fallen die zu erwartenden Verluste für die öffentliche Hand noch deutlich höher aus, auch eingedenk der Tatsache, dass die geschröpften und vergraulten Energieunternehmen seit Jahren nur noch die notwendigsten Instandhaltungen und praktisch keine Investitionen mehr vornahmen und außerdem ein völlig neuer, flächendeckender Verwaltungs- resp. Managementapparat aufgebaut werden muss. Nicht zu vegessen: auch Zukäufe stehen noch an, z.B. die Übernahme der Budapester Anteile an der früehren RWE-Tochter Fögáz und "weitere wichtige Energieversorger", die Wirtschaftsminister Varga von Orbán auf die Einkaufsliste diktiert wurden. Wie die Fachleute es auch drehen und wenden, keiner traut dem Staat zu, schadenfrei für das Budget als Universal-Energieprovider zu operieren. "Non profit" wird am Ende wohl stimmen, bekommt aber eine ganz neue Bedeutung.

Orbán hat seinem Volk außer Feindbildern und ein paar Wahlzuckerln nichts mehr zu bieten, daher hält er an seiner Strategie fest, die Energie- und Wohnnebenkosten "für die ungarischen Familien" konsequent zu senken, - koste es was es wolle.

Energie ist für ihn der "Schlüssel zum Wachstum", sie soll möglichst "so billig wie in den USA" sein, Ungarn werde auch hier Vorreiter und Speerspitze in Europa sein - was übrigens auch ohne regenerative Energiequellen funktionieren muss. Nicht so ganz nebenbei gießt Orbán durch seine eigensinnige Regulierungspraxis viel Öl ins Feuer potentieller EU-Vertragsverletzungsverfahren, - das ist ihm nur recht.

Man wird den Verdacht nicht los, dass Orbán - ganz Kádár-style - in seinem Politbüro nichts weiter als das Ziel "Energiepreise senken" vorgegeben hat und seine Untergebenen nun, von Panik getrieben, die Umsetzung starten, fern jeder budgetären Vernunft. Wie wir aus erster Hand erfuhren, haben eine Reihe fachlich versierter Manager der Energiewirtschaft gleich abgewunken als ihnen Spitzenposten in den neuen "Non-Profit"-Kombinaten angeboten wurden, während sich politisch motivierte und entsprechend vernetzte Alleskönner schon an den Fressnäpfen positionieren. Auf die Personalien darf sich die Leserschaft schon einmal freuen... Dazu bald mehr.

All die Unwägbarkeiten über das künftige staatliche Primat in der Energieversorgung sind natürlich nur Peanuts gegen den Jahrhundertdeal des 13 Milliarden Euro teuren Ausbaus des AKW in Paks - davon 10 Mrd. EUR über einen Kredit aus Russland, der das Land locker 30 Jahre an den Kreml verpfändet. Es gibt in der Regierungspartei jedoch tatsächlich Stimmen, die glauben, dass - fahren die zwei neuen Blöcke in ca. 10 Jahren erstmal hoch - sich alle Energiesorgen Ungarns in Luft auflösen, da man dann sogar Überschüsse produzieren wird, deren Gewinne man wiederum zum Ausgleich etwaiger "Investitionsvorschüsse" benutzt.

Der staatliche AKW-Betreiber (MVM) selbst hat die Rechnung
in einer Studie bestätigt. Allerdings geht die nur auf, wenn man die Strompreise mindestens verdoppelt - und den Kredit aus Moskau pünktlich bedient. Ersteres kann man nur durch Steuererhöhungen verhindern, Letzteres nur durch ebensolche erreichen. Geht die Sache schief, geht entweder das Licht aus oder jemand wird dem großen Vorsitzenden selbiges ausblasen.

Aus solchen Erwägungen heraus hat die tschechische Regierung - die sonst ja auch kein Chaos auslässt - eine Ausschreibung für ein neues AKW gerade abgeblasen, dabei liegt Tschechiens Staatsschuldenquote mit rund 45% dramatische 40 Prozenpunkte unter der ungarischen. Aber “Ungarn macht´s besser”...

a.l.

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