THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 40 - 2014 WIRTSCHAFT 03.10.2014

 

Asoziale Symbiose: Autohersteller in Ungarn sollen nur noch 10% Steuern zahlen

Daimler, Audi, Opel, Suzuki und Co., die im Unterschied zu Handelsketten, Banken, Telekoms, Energieprovidern und Medien, nicht mit Sondersteuern traktiert und politisch gegängelt werden, brauchen bald nur mehr 10% auf ihre Gewinne in Ungarn zahlen - selbst Bettler zahlen hier mehr! Wie sehr die Premium-Hersteller von Orbáns asozialen Gesellschaftsbild profitieren, belegen harte Fakten und untermalte kürzlich ein ganz "besonderer" Gast.

Weshalb der Chef der "Abteilung Politik und Außenbeziehungen", also der Cheflobbyist der Daimler AG, Eckart von Klaeden, vor einer Woche bei Premier Orbán vorsprach, erklärt sich aus einer kurzen Notiz im Wirtschaftsblatt "Napi Gazdaság" vom Donnerstag. Darin wird gemeldet, dass die Regierung ab dem kommenden Jahr eine Senkung der Körperschaftssteuer für Autohersteller vornehmen wird, vom bisherigen Regelsatz 19% auf 10%, also auf jenen Steuersatz, den bisher Unternehmen nur bis zu einem Gewinn vor Steuern von unter 500 Mio. Forint (1,7 Mio. EUR) in Anspruch nehmen konnten.

Alle für Einen und das Meiste für mich: Premier Orbán mit Werksleiter Klein und Daimler-Chef Zetsche beim Startschuss für das Werk in Kecskemét.

Unsere Quelle im Wirtschaftsministerium bestätigt diesen Plan, fügt aber hinzu, dass der Nachlass womöglich nicht so direkt über den Steuersatz gewährt wird, weil es sonst Ärger mit den EU-Wettbewerbshütern geben wird. Man sucht noch einen geschmeidigen Weg - und wird diesen auch finden, um die Zielvorgabe von Daimler zu erfüllen. Der Dank der Stuttgarter kam postwendend: man werde die Produktion in Kecskemét kontinuierlich erhöhen.

Direkte, indirekte Förderungen und ein gewerkschaftsfreies Umfeld

 

Die in Ungarn ansässige Automobilindustrie ist schon heute gegenüber den meisten anderen Branchen privilegiert. Immerhin blieben Daimler, Audi, Suzuki, Opel, aber auch ihre namhaften Zulieferer wie Bosch etc. - im Unterschied zu Handelsketten, Banken, Telekom- und Energieunterehmen, Medien - von Branchensondersteuern verschont. Der Grund dafür ist ein ganz einfacher: das produzierende Gewerbe nutzt Ungarn vor allem als verlängerte Werkbank, der Binnenmarkt spielt eine untergeordnete Rolle, weshalb es fast ausschließlich die günstigen Produktionsbedingungen (Löhne, Energiekosten, logistisches Umfeld, Qualifikation der Arbeitskräfte, unternehmerfreundliches Arbeitsrecht, Steuerumfeld) sind, die diese Unternehmen im Lande halten.

Um die Autohersteller nicht an regionale oder globale Mitbewerber zu verlieren, ist ein für die Länder und ihre Steuerhaushalte gefährlicher Konkurrenzkampf im Gange. Neben den direkten Steuern bzw. den großzügigen Nachlässen darauf (Orbán senkte den Körperschaftssteuersatz bereits vor vier Jahren einmal), erhalten die Autobauer für Green Field Investments teils großzügige staatliche Zuschüsse, meist in Form von Steuergutschriften oder Pro-Kopf-Förderungen pro geschaffenem Arbeitsplatz, die üblicherweise 10-20%, manchmal auch 30% der Investitionssummen ausmachen. Zusätzlich kümmert sich das Gastgeberland um die periphere Infrastruktur und sorgt z.B. für Erschließungen, Zufahrtsstraßen und Bahn- und Autobahnanschlüsse, auch mit EU-Mitteln und auch bei öffentlichen Beschaffungen haben die "heimischen" Hersteller natürlich einen großen Vorteil.

Im Falle Daimler, das gerade sein 250.000. Fahrzeug aus der im März 2012 eröffneten
800 Mio. EUR-Fabrik in Kecskemét auslieferte und seit Mai mit rund 3.500 Mitarbeitern im Drei-Schicht-System fährt, hatte Klaeden Orbán ein Angebot zu machen, das dieser kaum ablehnen konnte. Steuersenkung oder die Produktion wandert irgendwann nach Mexico, Indien, China - vielleicht sogar in die Slowakei, - nicht sofort, aber allmählich, so wie sie vorher und immer noch Schritt für Schritt aus Deutschland abwandert.

Orbán hat gegen die Autobauer nichts in der Hand

Klaeden wird das Orbán nicht so direkt verklickert haben, doch der Landesvater spricht die Sprache der Paten und der Lobbyist brauchte für seinen Vorstand klare - zählbare - Argumente, warum auch das nächste und übernächste Kompaktmodell möglichst vollständig in Ungarn gefertigt werden und die notwendigen Investitionen in Kapazität und Technologie nach Kecskemét und nicht an den Rio Grande fließen sollen. Immerhin hatte Daimler mit Grundsteinlegung der Kecskeméter Fabrik bereits eine zweite Investitions-Phase im dreistelligen Millionenbereich angekündigt, die seit Jahren - vor allem wegen globaler Überlegungen - auf der Kippe steht. Ungarn muss also kostenseitig nachlegen, sonst werden die Premium-Schwaben noch einmal den Taschenrechner zücken.

Orbán, der sonst so gern als magyarischer Robin Hood auftrumpft, in dem er anhand seiner Sondersteuern behauptet, "die Bürden der Krise gerecht" zu verteilen oder "die Multis daran hindert, Extraprofite aus dem Land zu schaffen", muss beim Thema Autobranche in Ungarn sehr kleinlaut sein. 2013 erwirtschaftete der Sektor mit knapp 18 Mrd. EUR fast 20% des Bruttoinlandsproduktes Ungarns. Von diesem Wert gingen jedoch 93% direkt in den Export, weitere 5% indirekt (über später exportierte Flottenkäufe von Unternehmen). Rund 40.000 Arbeitsplätze hängen direkt, weitere ca. 200.000 Arbeitsplätze indirekt von den vier großen in Ungarn tätigen Herstellern ab, bei insgesamt nur rund 1,8 Mio. echten Arbeitsplätzen in der freien Wirtschaft.

“Ich bin überzeugt, dass es sich um mediale Übertreibungen und bewusste Missverständnisse handelt, die die Regierung in Misskredit bringen sollen”. Eckart von Klaeden (CDU, rechts auf dem Foto neben Kanzlerin Merkel) 2012 in einer Ansprache vor der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft aus Anlass der Kritik an der Justiz- und Verfassungsreform in Ungarn. Vor seiner Lobbyistentätigkeit für Daimler war der Vorsitzende der "Deutsch-Ungarischen Parlamentariergruppe" offenbar als Lobbyist für Orbán unterwegs. Oder war er beides gleichzeitig?

Asozioale Symbiose aus Premier und Premium

Allein diese Zahlen machen klar, dass die Autoindustrie nicht die Spur auf Ungarn angewiesen ist, sondern das Land von ihr abhängt. Diese ökonomische Monokultur, die von Orbán -"Ungarn wird Produktionsstandort Nr. 1 in Europa" - eher noch gefördert als diversifiziert wird, obwohl dem Land etliche andere Wege offenstünden, sorgt - gepaart mit der Klientelorientierung der Regierung - für derart asoziale Zustände, dass Kommunalbeschäftigte (170.- EUR im Monat) und auch Empfänger des gesetzlichen Mindestlohnes in der freien Wirtschaft (350.- EUR) Einkommen generieren, von denen sie nicht einmal ansatzweise würdig leben können, die aber mit 16% (Flat tax!) plus Sozialabgaben besteuert werden, während Daimler und Co. mit geschmeidigen 10% davonkommen sollen, die sonstigen Vergünstigungen gar nicht mitgerechnet.

Probefahrt im künftigen Fluchtwagen? Premier Orbán und Konzernchef Zetsche besteigen einen in Kecskemét gefertigten CLA. Fotos: MTI, Daimler AG

Auch das in dem quasi gewerkschaftsbefreiten Ungarn seit Orbán ganz besonders "flexible" Kündigungsrecht sollte man im Hinterkopf haben, wenn von Klaeden, der Ex-Staatsminister Angela Merkels für "Bürokratieabbau und bessere Rechtsetzung", gegen den seit Ende 2013 übrigens die deutsche Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Vorteilsnahme (im Amt) ermittelte, sagt, dass man "zufrieden ist, mit den Bedingungen, die wir in Ungarn vorfinden" und sich deutsche und ungarische Spitzenpolitiker bei jedem Treffen der "strategischen Bedeutung" der Wirtschaftsbeziehungen versichern.

 

Der gewissensbefreite Ständestaatler Orbán und die unermessliche Gier der von ihm sonst so gescholtenen Konzerne samt ihrer schmierigen Lobbyisten sind das perfekte Gespann für die Errichtung der idealen "Arbeitsgesellschaft", Orbáns national-klerikalem Gegenentwurf zur "abgewirtschafteten westlichen, liberalen Dekadenz". In Orbáns feiner Gesellschaft leben mittlerweile nicht mehr 25, sondern 40% an oder unter der Armutsgrenze und finanzieren damit das obere Drittel, denn ein "Mehr" gibt es schon lange nicht mehr zu verteilen. Das Elend hat System.

An diese asozioale Symbiose aus Premier und Premium sollte man auch denken, wenn einmal wieder von der unverbrüchlichen deutsch-ungarischen Freundschaft die Rede ist oder CDU-Politiker ihre Fidesz-Kollegen verteidigen oder deren Sünden totschweigen. Auch beim nächsten Autokauf sollte man vielleicht an die Umstände der Produktion denken oderm wenn wieder jemand anfängt, Orbán als Rächer der Bankkunden zum volksnahen Vorbild gegen den bösen Westen zu stilisieren.

red. / cs.sz.

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