Hauptmenü

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

Ost-West-Drehscheibe
Pester Lloyd Stellenmarkt

 

 

 

(c) Pester Lloyd / 48 - 2014   POLITIK / WIRTSCHAFT 28.11.2014

 

Aufstand der Nikoläuse: Öffentlicher Dienst in Ungarn ruft zu Großdemo auf

Ungarn ist dieser Tage Schauplatz einer lange nicht gesehenen Protestwelle. Es fanden Großdemonstrationen gegen die Internetsteuer, Montagsdemos in 40 Städten gegen Korruption und Amtsmissbrauch statt, sowie kleinere und mittelgroße Kundgebungen von Lehrern, Metallgewerkschaftern und um ihre Pensionen besorgte Bürger. Nun ziehen sogar die "Staatsdiener" nach, als kampfbereite Weihnachtsmänner...

Gemeinsam ist allen Demos der letzten Wochen, dass sie nicht von Parteien, sondern von Bürgerinitiativen und Internetgruppen also der Zivilgesellschaft organisiert wurden und die Forderungen - auch nach Absetzung der Regierung - kein Selbstzweck, sondern an sachpolitische Foderungen geknüpft waren. Den Menschen wird immer deutlicher, dass sie dabei weder auf ein Einlenken der Orbán-Regierung, noch auf eine adäquate Formierung der demokratischen Oppositionsparteien hoffen können.

Am 6. Dezember setzen Angestellte des Öffentlichen Dienstes den Demonstrationsreigen unter dem Motto: das Faß ist übergelaufen, fort. Das ist deshalb so bemerkenswert, weil der Gang auf die Straße für die staatlich und kommunal Bediensteten besonderen Mut erfordert. Gehorsam ist vertraglich verankert, die Kündigung mit dem einen Wort "Vertrauensverlust" jederzeit möglich und gerichtlich gedeckt. In dem Demo-Aufruf für den Nikolaustag, 6. Dezember, 14.00 Uhr auf dem seit den Internetprotesten schon symbolisch gewordenen József Nádor Platz vor dem Nationalwirtschaftsministerium, wird aufgelistet wofür und wogegen man mobilisiert.

 

Die Proteste richten sich gegen:

- Arbeitsarmut (also eine Bezahlung, die für eine würdige Existenz nicht ausreicht)
- einen 10-Stunden-Arbeitstag (die aktuellste Idee aus dem Hause des Kanzleramtsminister Lázár, wobei die Mehrarbeit nicht vergütet werden soll)
- Personalreduzierungen (befürchtet werden bis zu 70.000 Kündigungen in den kommenden Monaten, das ist angesichts der hohen Staatsdienerquote in Ungarn eigentlich geboten, bezieht sich allerdings auch auf Mitarbeiter im Schulwesen, in den verstaatlichten Krankenhäusern etc. Befeuert wird die Wut hier durch die aktuelle Ernennung von Sportskameraden des Außenministers auf hochdotierte Posten, für die sie nicht einmal die formale Mindestqualifikation mitbringen oder die Positionierung von "Spezies" in anderen Bereichen)
- Perspektivlosigkeit (die Karrieren der öffentlich Bediensteten hängen vom Gutdünken der politischen Vorgesetzten ab, es gibt keine einheitlichen Karrieremodelle)

Gefordert wird:

- 5% Gehaltserhöhung für die 300.000 öffentlich Bediensteten, mindestens jedoch 10.000 Forint mehr pro Monat (rund 30 EUR)
- ein umfassender Tarifvertrag resp. Karrierepläne, also eine Grundverlässlichkeit für die Einkommens- und Enwticklungsperspektive
- einheitliche Regeln für Lohnnebenleistungen (sie sog. Cafeteria-Gutscheine, Wertgutscheine für verschiedene Leistungen und Waren, die für viele existentieller Teil ihres Auskommens sind und in den Ämtern und Beehörden nach Gutsherrenart verteilt werden)
- bezahlte Überstunden, Einhaltung der Mindesturlaubsregelungen, d.h.: menschenwürdige Arbeitsbedingungen

 

Der immer noch - bzw. durch die Verstaatlichungsstrategien - wieder aufgeblähte öffentliche Sektor in Ungarn wird zweigeteilt geführt. Kaderschmiede und Versorungseinrichtung hier, dienstbare Untertanen dort. Loyalitäten erkauft man sich durch Wohltaten und Angst, so gibt es ein völlig intransparentes Bonussystem für die oberen Etagen, während man Lehrer, Feuerwehrleute und andere wichtige Berufe um ihre Abfindungen brachte und ihnen die Pensionen streicht, wenn sie im Rentenalter weiterarbeiten (müssen).

Die Demo am 6.12. sei, so die Veranstalter von der MKKSZ, der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes (einer davon), "die letzte Chance vor dem Kollaps des öffentlichen Sektors." Eine klare Ansage in Richtung Regierung, die man mit einem weihnachtlichen "Geschenksack" voll "verlorenen Vertrauens" illustriert.

red

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.

 

 

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

Unterstützen Sie den Pester Lloyd!