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(c) Pester Lloyd / 48 - 2014   WIRTSCHAFT   24.11.2014

 

Vom Einmaleffekt zur Gewohnheitstat: Ungarn beschlagnahmt auch die letzten privaten Rentengelder

Der Staat argumentiert, dass die von Banken betreuten Fonds ihre Aufgabe als spätere Zusatzsäule zur staatlichen Rente nicht mehr erfüllen können, weil nur noch rund jeder Fünfte seine monatlichen Prämien einzahlt, die Fonds daher nicht profitabel arbeiten. Daher müsse man die Sache nun beenden, die Fonds auflösen und die Mittel in den zentralen Rentenfonds stecken, "um die Renten zu sichern". Eine etwas umständliche Erklärung für einfachen Diebstahl.

Erinnern wir uns. Bei der gesetzlichen Beschlagnahme der einstmals verpflichtenden privaten Rentenzusatzversicherung gab es für Unwillige eine Aussteigsklausel. Wer unbedingt bei seinem privaten Anbieter bleiben wollte, durfte das, unter der Bedingung, dass er auf Ansprüche aus dem staatlichen System verzichtet. Rund 3% der Versicherten gingen diesen Weg. Die Staatskasse kassierte vom "Rest" 2011 umgerechent rund 10 Mrd. EUR ein und jubelte, die "Rente ist sicher!".

Zwei Jahre später war von dem Geld schlicht nichts mehr da. Nur ein paar Hundert Millionen EUR wurden dem Rentenfonds gut geschrieben, das Gros ging für die Bedienung der Staatschulden drauf und schminkte die Haushaltsbilanz auf. Der damalige Nationalwirtschaftsminister Matolcsy meldete tatsächlich einen Haushaltsüberschuss von 6,5% nach Brüssel, woraufhin man dort nur milde lächelte und ihm die -3,5% nach Herausrechnung des Einmaleffektes nachwies.

 

Einige Hundert Millionen Euro der gigantischen Summe, wohlgemerkt: mit Rendite- und Leistungsansprüchen gekoppelte Ersparnisse ungarischer Bürger, wurden diversen Sonderfonds, u.a. für Bauprojekte (Stadien etc.) zugeteilt, in Summe ergaben sich aber auch "Streuverluste" von schlappen rund 500 Mio. EUR, u.a. durch "Währungseffekte" und Verluste bei der Auflösung von Aktien- und anderen Fonds, in denen die Gelder angelegt waren. An wen und wohin dabei Provisionen und Bearbeitungsgebühren in welcher Höhe flossen, wird die Staatsanwaltschaften wohl erst in ein paar Jahren beschäftigen dürfen.

Die Regierung ordnete den Buchwert der nicht mehr existenten Gelder den Anspruchsberechtigten in individuellen Rentenkonten zu und sandte ihnen dazu einen Brief, in dem die virtuelle Summe aufscheint und der die Gemüter beruhigen sollte. Damit hatte sich die Sache regierungsseitig erstmal erledigt. Die Ansprüche müssen dann, sobald sie fällig werden, eben aus den laufenden Haushalten gedeckt werden. Sollte sich das nicht ausgehen, kommen ein neues Rentengesetz und oder ein paar neue Steuern zur "gerechten Teilung der gesellschaftlichen Lasten" auf den Tisch. Man kennt das ja.

In den vergangenen Jahren wurden die Renten stets um die Inflationsrate angehoben. Allerdings nur die offizielle. Die Kerninflation (also z.B. Minus Energie- und Kraftstoffkosten) lag immer höher und der spezielle Warenkorb für die Bedürfnisse der Rentner stieg zweistellig, gleichzeitig wurden Medikamentenzuzahlungen massiv gekürzt. Rentner, die neben ihrer Pension einen Job annahmen oder den alten weiterführten - die Regel in Ungarn - wurde die Rente gestrichen. Auch so kann man die Rentenkasse "ausgeglichen" betreiben. Eine Weile.

Die beschlagnahmten Rentenbeiträge retteten hingegen Orbáns "unorthodoxe" Politik über die Jahre. Diese Quelle ist nun versiegt, Sondersteuern sind weitgehend ausgereizt, die Banken bis zum Anschlag belastet, die Wirtschaft boomt jedoch nur nominal, - strukturell ist der Staat aber teurer denn je, die Nettoschulden liegen auf einem Allzeithoch, die Staatsquote bei 54%. Woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Also stehlen. Rund 650 Mio. EUR kassiert der Staat über die jetzt geplante endgültige "Eliminierung" auch der letzten privaten Rentenversicherer. Finanzminister Varga erklärte den Gesetzentwurf des Finanzministerium am Samstagabend im Staatsfernsehen. Auch hier geht es offiziell lediglich um die Umbuchung also "Sicherung" der Gelder in die Staatskassse. Man könne keine "privaten Rentenversicherungen akzeptieren, die nur auf dem Papier existieren", meinte Minister Varga. Und aufgrund der mangelnden Zahlungswilligkeit der Kunden, seien die Fonds gar nicht in der Lage, später aus den Geldern eine Zusatzrente zu generieren. Ja, man überließe die Menschen in ihrem Elend dann einfach dem Staat. Wohlgemerkt jene Menschen, die der Staat wegen Widerborstigkeit zuvor selbst aus dem Rentensystem auschloss...

 

Normalerweise wäre die Antwort der Finanzwirtschaft darauf, dass es den Herrn Minister einen feuchten 100er angeht, warum die Leute ihr Geld wo und für wieviel anlegen, doch Vater Staat kümmert sich bei uns bekanntermaßen um alles. Wirklich alles. Die Banken könnten diese Fonds, so mag man meinen, einfach umbenennen oder in ein Bankprodukt umwandeln, in eine Lebensversicherung oder flexibles Festgeld, einen Aktienfonds oder was auch immer. Aber so einfach ist es nicht. Per Gesetz legt der Staat die Hand auf diese Gelder, denn sie waren - früher - einmal ein Teil des staatlichen Rentenplans. Den gibt es so nicht mehr, die Gelder aber bleiben mit staatlichem Vorrecht belegt, obwohl es private Gelder sind. Eine weitere interessante Interpretation von Eigentumsrechten.

Heute gibt es in Ungarn noch fünf private Rentenanbieter, Budapest, Horizont, MKB, Szövetség. MKB ist bereits verstaatlicht und der größte Fonds, jener der OTP schloss bereits 2009 die Pforten.

Die linksliberale Opposition, voran die kleine Partei "Gemeinsam", will eine Demonstration vor dem Parlament organisieren, um den Leuten die Dimension dieses Eingriffs in private Rechte zu verdeutlichen. Die Regierung habe längst demonstriert, dass sie diese Gelder "für Luxusausgaben ihrer Fidesz-Freunde oder den Bau von Fußballstadien" verschwendet. Bloß wenn die Menschen wegen 10 Mrd. nicht auf die Barrikaden gingen, wieso sollten sie es jetzt bei 650 Mio. tun?

Dass die Regierung beim "Schutz der Anleger" in anderen Fällen nicht so wachsam ist, wie sie das bei den Rentenfonds behauptet, sieht man u.a. auch bei der Takarékbank. Auch hier hat man per Gesetz Abermilliarden von den Zigtausenden Mitgliedern von über einhundert Spargenossenschaften
erst verstaatlicht, um sie dann wieder zu privatisieren, natürlich in ausgewählte Hände. Diese gaben nun die freien Aktiva der neuen Takarékbank zum Management an einen Fonds, an dem sie selbst Anteile halten und der vor allem durch reale Verluste der ihm anvertrauten Gelder bekannt geworden ist...

Weitere Beispiele von retroaktiver Gesetzgebung mit Auswirkungen auf Eigentums- und Vertragsrechte sind u.a. die Auswüchse des Bodengesetzes, die selbst die sonst zaghafte EU offen als “Raub” bezeichnete, die Forex-Gesetze 1 und (teilweise) 2, aber auch die kommenden Einschränkungen für Handelsketten.

red.

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