Hauptmenü

 

Das Pester Lloyd Archiv ab 1854

Ost-West-Drehscheibe
Pester Lloyd Stellenmarkt

 

 

(c) Pester Lloyd / 50 - 2014   NACHRICHTEN   11.12.2014

 

Protektionismus im Lebensmittelhandel: "Regierung nicht für Folgen der Gesetze zuständig"...

Die Vereinigung der ungarischen Handelsbetriebe hat Präsident Áder aufgefordert, die von der Regierungspartei aktuell beschlossenen Gesetze zum Lebensmittelhandel nicht zu unterzeichnen. Sie seien diskriminierend, kosten Arbeitsplätze, führten zu Teuerung und Kartellen und verstießen gegen EU-Recht. Doch die Regierung hält an ihrem CBA-Protektionismus fest. Man ist der Firma wohl was schuldig...

Nein heißt ja und Krieg heißt Frieden. Regierungssprecher Zoltán Kovács ist ein klassischer Vertreter eines unverhohlenen Doppelsprechs.

Beanstandet werden vom Branchenverband:

- das Verbot der Sonntagsöffnung für Shoppingcenter und Supermärkte über 200 qm Verkaufsfläche (Ausnahme: 4 Advente und ein Sonntag nach Wahl). Gekoppelt wurde dieses Gesetz aktuell noch mit einer Adaption im Arbeitsrecht, wonach niemand mehr als zwei Sonntage im Monat arbeiten müssen darf und das Doppelte des sonstigen Lohnes zu zahlen ist. Binnen 10-15 Jahren, so Fidesz-Fraktionschef soll Sonntagsarbeit "gänzlich eliminiert" http://www.pesterlloyd.net/html/1449sonntagsarbeit.html werden.

- das Geschäftsverbot für Lebensmittelhändler mit Jahresumsätzen über 50 Mrd. HUF (wenn mehr als 50% dieser Umsätze aus Waren des täglichen Bedarfs, lies Lebensmittel, bestehen)in Weltkulturerbestätten ab 2016 sowie - für alle Filialen von Handelsketten oder Einzelbetriebe, die zwei Jahre hintereinander Verluste machten (ausgenommen jene, die in den ersten vier Jahren der Geschäftsgründung sind) ab 2018

- die Erhöhung (im Schnitt um das 15fache) der nach Jahresumsatz gestaffelten sogenannten Lebenmittelaufsichtssteuer ("Lex Tesco")

- die Ausweitung der "Chipssteuer" sowie der "Umweltsteuer" auf weitere Produktgruppen ("Seifensteuer")

- die erneute Verlängerung des "Shopping-Mall-Bannes", also des grundsätzlichen Verbots der Erteilung neuer Betriebs- bzw. Baugenehmigungen für Einzelhandelseinheiten über 400qm Fläche (offiziell zum Schutz von kleinen Händlern und Innenstädten, allerdings befindet eine anonyme Kommission in einem vollständig intransparenten Verfahren über "Ausnahmen")

Hintergründe dazu in:
Konsumgenossenschaft: Ungarn drängt ausländische Handelsketten aus dem Land

 

Diese Gesetze seien wettbewerbsrechtlich diskriminierend, verstoßen teilweise gegen EU-Regeln, führen unweigerlich zu massiven Entlassungen und bevorzugen einzelne Unternehmen (lies: CBA etc.), was zu Kartellbildung und damit Preissteigerungen führen wird. "Der gesamte Lebensmittelhandel in Ungarn wird damit gefährdet", fürchtet der Verbandspräsident, der einmal mehr feststellen muss, dass die Regierung große gesetzliche Änderungen im Vorfeld geheim hält, anstatt sie mit den Betroffenen zu diskutieren, um die "beestmögliche Lösung zu finden".

Regierungssprecher Zoltán Kovács, der sich in den letzten Wochen immer mehr für den Ehrentitel "Orwell des Jahres" zu qualifizieren sucht, meinte, es sei "nicht Aufgabe der Regierung, sich darüber Gedanken zu machen, wie viele große Geschäfte umziehen oder schließen müssten oder wie viele Angestellte entlassen werden." Es ist also nicht Aufgabe der Regierung, sich über die Auswirkungen ihrer Gesetze Gedanken zu machen. Es geht einzig um die Erreichung der primären Ziele: Erhöhung der Einnahmen für den Haushalt, Protektionierung regierungsnaher geschäftlicher Strukturen. "Die Folgen werden von denen berechnet, die sie betreffen", so Kovács.

Doch das genügte dem Regierungssprecher noch nicht: Ein "reduzierter Wettbewerb" werde "nicht zu höheren Lebensmittelpreisen" führen, zumal "der Preis für die Konsumenten gar nicht der wichtigste Faktor" sei, denn: "Es ist nicht im Interesse der Ungarn, Produkte von schlechter Qualität zu Diskont-Preisen zu kaufen." Das ist die angepasste Variante von Lázárs Kultsager: "Jeder ist so viel wert, wie er verdient." oder der zynischen Anmerkung von KDNP-Fraktionschef Harrach zur Kinderarmut, der gestern in einem Radiointerview behauptete, dass es nicht die Armut der Eltern, sondern "wohl ihre Lebensart" sei, wenn Kinder ohne zu frühstücken in die Schule gehen müssten.

Die Schieflage bei der Behandlung der Unternehmen negiert Kovács im Stile eines "Wahrheitsministers", denn es gibt keine "Benachteilung, weil das Gesetz für alle gleich" sei. Das Gesetz betreffe nur Firmen, die "ungerechtfertigte Marktdominanz" erlangt hätten. Ein weiterer Lehrsatz der "unorthodoxen Wirtschaftslehre", die auch den Begriff "Extraprofite" umfasst, eine Kategorie von Gewinn, die es nur in Ungarn zu geben scheint.

Wie schon bei der Krisensondersteuer für Handelsketten achtete Wirtschaftsminister Varga beim Design der Gesetze sehr genau darauf, dass die ungarischen Ketten CBA, Coop, Reál weitgehend unberührt bleiben. Der Kniff ist simpel: die Steuerklassen werden nach Umsätzen gestaffelt, die großen, ausländischen Ketten als ein Unternehmen bewertet, die Standorte der "eigenen" Strukturen hingegen einzeln berechnet (mit Hilfe eines gefakten Franchise-Systems gerechtfertigt). Durch diese Besteuerung gelangen die großen Lebensmittelketten in den Minusbereich, somit kann der Geschäftsbann entsprechend wirken, CBA und Co. sichern sich so exklusive Standorte und bauen ihre Marktposition mit Regierungshilfe aus.

 

Der CBA-Chef László Baldauf gehört zu den orbánnahen Oligarchen und reichsten Ungarn, er finanziert massiv die Fidesz-Wahlkämpfe. Für Aufsehen sorgte ein Brief an seine Angestellten, in dem er diese zum Jubel für den "besten Premier" aller Zeiten anhielt und dienstlich zum "Friedensmarsch" entstandte. Dass er mit einem fast 1 Mio. EUR teuren Luxusschlitten durch die Gegen kurvt, war auch Thema von Leserfragen an Orbán bei Blikk. Hier mehr. CBA taucht auch im Rahmen der Vorwürfe systematischen Steuerbetrugs durch Ex-NAV-Inspektor Horváth auf.

Der Verband der Lebensmittelhändler und die Fachgewerkschaften werden sich der Demonstration von über einem Dutzend Gewerkschaften und Bürgerinitiativen gegen die Haushalts- und Steuergesetze am Sonntag vor dem Parlament anschließen.

red.

Der Pester Lloyd bittet Sie um Unterstützung.

 

 

 

 

 

Effizient werben im
Pester Lloyd!
Mehr.

Unterstützen Sie den Pester Lloyd!