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(c) Pester Lloyd / 24 - 2015   POLITIK    07.06.2015

 

Ungarn macht die Grenzen dicht: Militär und Zäune sollen Flüchtlinge abhalten

Laut der "Napi Gazdaság", dem neuen Zentralorgan der Regierungspartei Fidesz, prüft das Kabinett derzeit, welche rechtlichen, militärischen und finanziellen Mittel notwendig sind, um die (grünen) Grenzen des Landes im Süden und Osten so dicht zu machen, dass "illegale Einwanderung" verhindert werden kann. Noch im Sommer soll das Gesetz stehen.

UPDATE, 8. Juni: Sicherheitsexperte bestätigt Regierungspläne
UPDATE, 9. Juni:
Fidesz-Fraktionschef bestätigt Grenzschließung auch für Kriegsflüchtlinge

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Stacheldratzaun an der ungarisch-österreichischen Grenze: 1989 begann man im Westen mit dem Abbau, 2015 im Süden und Osten mit dem Aufbau. Das Know how ist vorhanden, der Wille auch...

 

Die Fidesz-Fraktion bearbeite derzeit die zuständigen Minsiterien, entsprechende To-Do-Listen anzufertigen, die darlegen sollen, was notwendig ist, Flüchtlinge am Eintritt nach Ungarn zu hindern. Dabei werden auch Baumaßnahmen wie hohe Zäune oder Mauern nicht als Tabu behandelt, auch der reguläre Einsatz von Armeeeinheiten, im Inland in Friedenszeiten eigentlich verfassungswidrig, wird durchgespielt. Dabei ist die Gründung einer eigenen Grenzarmee (ga es schonmal, wurde in die Polizei eingegliedert) wieder in Betracht gezogen.

Die Kommunikationsabteilung des Amtes des Ministerpräsidenten bearbeitet verschiedene PR-Szenarien bei entsprechendem Widerstand aus dem In- und Ausland. Wie zu hören, bringen sich bereits die ersten, einschlägig bekannten "Familienunternehmen" in Stellung, um die Aufträge für die Errichtung von Sperranalagen an den Grenzen abzugreifen.

Noch bis zum Sommer, so die Vorgabe vom Premier, soll ein Beschluss gefasst und in Form eines prioritären Eilgesetzes im Interesse der nationalen Sicherheit umgesetzt werden. Betroffen ist vor allem der Grenzabschnitt zu Rumänien und Serbien, über welchen die meisten Flüchtlinge ins Land kommen, aber auch Kroatien und die Ukraine, die als Ausweichrouten an Bedeutung gewinnen könnten.

Die Regierung werde ein paar neue Grenzübergänge zur Beschwichtigung der EU einrichten. Die Maßnahme trifft aber auch den "kleinen Grenzverkehr", ergo: tausende Schmuggler (Zigaretten, Drogen, Diesel, Dies & Das) auf beiden Seiten, denen die grüne Grenze sozusagen die Arbeitsgrundlage liefert.

Als Rechtfertigung für den "Mauerbau" sollen die
Antworten zur "Nationalen Konsultation" herangezogen werden. Angeblich hätte sich die Rücksendequote binnen vier Tagen von zunächst 200.000 Fragebögen Anfang der Woche, also 2,5%, auf 400.000 am Freitag, 5%, verdoppelt. Natürlich stimmte die "überwältigende Mehrheit" der Regierungsposition zu.

Die Grenzschließung sei auch daher geboten, da Ungarn mit "Hunderttausenden" Rückabschiebungen aus anderen EU-Ländern zu rechnen habe, von Flüchtlingen, die bereits in Ungarn einen Asylantrag stellten, dann aber umgehend gen Westen weiterzogen. 99,3% aller Flüchtlinge wählen diesen Weg.

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UPDATE, 8. Juni: Der “Sicherheitsexperte” und ELTE-Dozent, György Nógrádi, bestätigte am Montagmorgen im Programm des Staatsfernsehens M1, dass "ein Grenzzaun Teil einer Lösung sein kann, um das Eindringen von Flüchtlingen nach Ungarn einzudämmen". Nógrádi berichtet, dass "die Regierung derzeit die Gesetze und andere Anforderungen prüft, um die südlichen und östlichen Grenzen zu schließen." Nógrádi, der in Kádár-Zeiten als Deutschland-, Sicherheits- und SPD-Experte Karriere in Ungarn machte, gerne aber auch in rechtsextremen TV-Kanälen auftritt, bedient sich damit fast wörtlich der Kundmachung der oben zitierten Fidesz-Parteizeitung, ein Hinweis darauf, dass es sich um eine konzertierte Aktion handelt.

Als Referenz für die Sperranlagen gilt laut Nógrádi der Grenzzaun, der zwischen Bulgarien und der Türkei gezogen wurde, "in Folge dessen es einen radikalen Rückgang der illegalen Einreisen von der Türkei auf EU-Territorium" gegeben habe. Nógradi sagte, dass allein an diesem Wochenende 6.000 Flüchtlinge im Mittelmeer gerettet worden seien, aber "noch 450.000 bis 500.000 Menschen allein in Libyen auf ihren Transfer nach Europa" warteten, eine Zahl, die die EU nicht verkraften könne. Nógrádi nahm ebenfalls Bezug auf die Regierungskonsultation und nannte es "eine gute Gelgenheit noch im Sommer" entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Immerhin seien im gesamten Vorjahr rund 43.000 Flüchtlinge in Ungarn angekommen, bis Mai diesen Jahres schon 50.000, bis Jahresende könnten es über 100.000 werden (ohne die Rückabschiebungen aus westlichen EU-Staaten), allein am letzten Wochenende waren es 1.527 "Eindringlinge", inkl. 9 Schlepper, die aufgegriffen wurden.
 

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Foto: Antal Rogán Anfang des Jahres bei einer Pressekonferenz am Budapester Ostbahnhof mit Grenz-Polizisten

UPDATE, 9. Juni: Fidesz-Fraktionschef bestätigt Grenzschließung auch für Kriegsflüchtlinge

 

Am Montagnachmittag bestätigte der Fidesz-Fraktionschef und designierte Kabinettschef Orbáns, Antal Rogán, dass "die Partei eine gewisse Art der Schließung" der südlichen Grenze des Landes plane. Im staatlichen Kossuth Rádió führte er aus, dass die Fraktion an einem Gesetzentwurf arbeite, der  "Einwanderern aus sicheren Transitländern den Eintritt nach Ungarn verbietet" und verhindern soll, dass diese "in Ungarn Anträge auf politisches Asyl stellen". Die Regeln würden z.B. "für jemanden aus Syrien gelten, der zwar dort in Gefahr sei, aber über Griechenland, Serbien oder einen anderen Balkanstaat" versucht, nach Ungarn zu kommen. Er soll dann eben in einem der Länder, die er durchquere Asyl beantragen. Schon gar nicht könnten "wir in Europa Wirtschaftsflüchtlinge akzeptieren", so Rogán, der also gleich für die anderen 27 Mitgliedsländer mitspricht.

Details nannte Rogán zwar nicht, seine Ausführungen lassen aber darauf schließen, dass das Gesetz nicht nur den Bau von Grenzanlagen und die Schaffung einer eigenen Grenztruppe umfassen wird, sondern auch die Möglichkeit von Sofortabschiebungen aufgegriffener Flüchtlinge enthalten wird, ohne, dass diese Asylanträge stellen können. Das wäre eine klarer Bruch von EU-Recht.

Lajos Kósa, Vizeparteichef des Fidesz, sagte es “wird keinen eisernen Zaun geben”, sondern “wir werden sie einfach nicht reinlassen.” (“Niemand hat die Absicht...”)

red.
 

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